Marcus Miller hat das Bass-Spielen nicht erfunden. Aber perfektioniert. Seit den frühen Achtzigern schafft sein typischer Klang ein Fundament für die populäre Musik. Er hat auf Hunderten von Pop-, Soul- und Jazz-Alben gespielt, dazu Legenden von Miles Davis bis Luther Vandross produziert. Jetzt veröffentlicht der 41-Jährige sein neues Soloalbum »M²« (dreyfus/act). Ein Meisterwerk, auch dank der freundlichen Unterstützung von Chaka Khan, Wayne Shorter oder Branford Marsalis.
Götz Bühler im Gespräch mit dem Bass-Virtuosen.
Ihr neues Album heisst »M hoch zwei«. Das wäre M mal M. Sie reden aber von Marcus Miller und dem Millenium, also MM. Meinen Sie vielleicht »M mal 2«?
Ich bin Bassist, nicht Mathematiker. Die kleine 2 oben am M sieht einfach besser aus.
Sie sind berühmt für ihr Baßspiel. Aber Sie singen auch. Was machen Sie lieber?
Ich spiele von morgens bis abends Bass. Aber Singen macht mir auch Spaß. Und mit Worten und Stimme kommuniziert man natürlich auch direkter mit dem Publikum. Das Schöne an instrumentaler Musik ist, dass sie für jeden, der sie hört, nur das bedeutet, was er will. Aber es ist auch eine sehr männliche Angelegenheit. Jeder Musiker, der hauptsächlich Männer im Publikum hat, sollte sich fragen, ob er nicht etwas falsch macht.
Auf Ihrem neuen Album sind etliche Coverversionen, von »Burning Down The House« von den Talking Heads über »Lonnie's Lament« von John Coltrane bis zum Gospelklassiker »Amazing Grace«. Warum?
Ich liebe diese Songs. Ich weiß, dass viele Leute Cover aufnehmen, um im amerikanischen Radio einen Hit zu landen. Das interessiert mich nicht. Man muss die richtigen Stücke finden, die man eben nicht zerstört, um sie modern zu machen. Viele meinten: »Marcus, ich habe 'Amazing Grace' auf deiner Songliste gesehen. Das meinst du doch nicht ernst?« Als sie es dann hörten, diese völlig neue Version mit dem Gesang von Chaka Khan, haben sie mich verstanden. Wir brauchen Musik für uns, für jetzt! Es wird immer diese Musik geben, die vor uns kam und die wir feiern können, aber wir brauchen wirklich einen Jazz, den wir für uns in Anspruch nehmen können. Etwas, was wir in 20 Jahren hören und sagen: »Weißt du noch, damals?«
Sie haben in den letzten Jahren besonders viele Soundtracks komponiert. Vor kurzem erst kam der Film »Brothers« in den USA mit Ihrer Musik in die Kinos. Was reizt Sie an dieser Arbeit?
Wenn man in LA lebt, kann man sich leicht in der Soundtrack-Szene verfangen. Das Gute daran ist, dass man nicht demselben Druck ausgesetzt ist wie bei einem eigenen Album. Viele Leute machen ihre beste Arbeit für Soundtracks, weil sie nicht ständig denken: »Mann, dies ist mein Album, alles muss jetzt großartig werden.« Sie lassen es einfach fließen und das Ergebnis wird besser.
Ein großer Unterschied zu Ihrer Arbeit als Sessionmusiker in New York in den Achtzigern. Da ging es doch nur darum, möglichst schnell und auch unter Druck Perfektes abzuliefern.
Ich habe meinen Sound bei diesen vielen Studiojobs in New York entwickelt. Da gab es immer drei Sessions täglich: die erste von 10 bis 13 Uhr, die zweite von 14 bis 17 Uhr und die letzte von 19 bis 22 Uhr. Ich ging von einer zur nächsten und wusste nie, was mich erwartet. Man kam rein, bekam die Noten und spielte sofort los. Country, Pop, Jazz, Funk, Rock. Heute Elton John und morgen vielleicht Miles Davis. In Los Angeles ist das anders. Da wird man sofort in eine Nische gezwängt: »Ah, da kommt Marcus, der Funk-Bassist.« Naja, das ist eben L.A.
Ihr Name fällt immer öfter, wenn es um den Sound der Achtziger geht. Gefällt Ihnen das?
Neulich habe ich mit Ahmir von der HipHop-Band »The Roots« gespielt. Ich war richtig geschockt, als er meinte: »Marcus, ich muss Dir etwas beichten. Die Luther-Vandross-Alben, 'Never Too Much' und so, die sind absolut mein Ding. Diese Musik liebe ich wirklich.« Ich dachte, er nimmt mich auf den Arm. Aber er meinte es ganz ernst. Der Rapper Mos Def will ein Big Band Album mit mir aufnehmen. Ein modernes, ähnlich im Sound wie die Miles-Davis-Alben, die ich produziert habe. Es gibt langsam wieder Anerkennung für Musiker der Siebziger und Achtziger, auch in der schwarzen Community. Das war eine ganze Zeit lang nicht so. Als es »Breakdancing Unterricht« in den Malls gab, wussten wir: »Okay, die Zeit ist vorbei. Es muss etwas Neues her«.