Für das Booklet ihres neuen Albums "Enfants d'Hiver" zeigen Sie eine Handvoll sehr atmosphärischer Fotos aus ihrer Kindheit. Die Bilder zeigen Sie, Ihre Eltern und Ihre Geschwister - wie wichtig sind Ihnen Bilder als Verbindung zur Vergangenheit geht?
Die Wände meiner Wohnung sind dicht gepflastert mit Fotos. Meine Eltern, Großeltern, meine Kinder, meine Ehemänner - und das in jedem Alter. Neulich habe ich überlegt, ob ich den Leuten, die mich besuchen, zeigen möchte, wie großartig, wie interessant meine Familie ist. Dann fiel mir jedoch auf, dass ich eher selten Besuch habe und das sie letztlich nur für mich an der Wand hängen. Meine Mutter hatte früher ständig ihren Fotoapparat dabei und ich dachte oft: "Gute Güte, Maman, kannst du die Kamera nicht einmal zu Hause lassen?" Heute bin ich so dankbar dafür. Nach ihrem Tod habe ich mehr als 20 Alben auf dem Dachboden gefunden und sie dokumentieren meine ganze Kindheit und Jugend. Bild für Bild, Album für Album.
Brauchen Sie von Zeit zu Zeit eine Rückversicherung, dass all diese Dinge tatsächlich passiert sind?
Das ist sehr gut möglich. Gerade, wenn wir die Dinge ein wenig aus den Augen verlieren und Phasen der Unsicherheit haben, dann setzt ein Bild die Fantasie wieder in Gang. Fotos sind das Schwungrad der Erinnerung.
Oftmals ist das nicht nur Spaß und Vergnügen. Die Reisen in die Vergangenheit beginnen oft lustig und enden in Tränen, oder?
Ganz genau. Und zwar immer wieder! Ich muss an meinen letzten Film "Boxes" mit Michel Piccoli und Geraldine Chaplin denken. Es geht um dieses Mädchen, deren Eltern gestorben sind. Sie zieht in ein neues Haus, die alten Kartons werden geliefert und sie sind voll mit Erinnerungsstücken. Briefe, Milchzähne, Zeitungsausschnitte, Puppen - und sie wird zurück geworfen in die Vergangenheit und das ist sehr, sehr traurig und schwer. Letztlich ist das aber auch eine Typfrage. Mir passiert das genauso, es gibt aber auch genügend Menschen, die nichts, aber auch gar nichts aufbewahren. Sie leben in der Gegenwart. Sie kämpfen für die Zukunft. Die Vergangenheit ist ihnen gleich. Gerade, wenn sie einfach keine guten Erinnerungen haben. Ich bin da ganz anders.
Zur Person
Jane Mallory Birkin wurde am 14. Dezember 1946 in London geboren, Vater David ein Lieutenant-Commander, ihre Mutter Judy Campbell eine erfolgreiche Schauspielerin. Aus der Ehe mit dem Komponisten John Barry ging Tochter Kate hervor. In zweiter Ehe lebte sie mit dem Musiker und Schauspieler Serge Gainsbourg zusammen, Tochter Charlotte, selbst Sängerin und Aktrice, stammt aus dieser Beziehung. Auch mit ihrem dritten Lebensgefährten, dem Regisseur Jacques Doillon hat sie eine Tochter, Lou. Als Schauspielerin spielte sie in Klassikern wie "Blow Up" von Michelangelo Antonioni und "Die schöne Querulantin" mit Michel Piccoli. Auch als Sängerin hat die 61-Jährige Glanzpunkte gesetzt, ihr erotisch aufgeladenes Duett "Je t’aime, moi non plus", zus. mit Serge Gainsbourg, ist ein echter Pop-Klassiker. Auf ihren Solo-Alben arbeitete sie mit Künstlern wie Johnny Marr (The Smiths), Bryan Ferry und Brian Molko (Placebo) zusammen.
Auf einem Bild sitzen sie mit ihrem Bruder Andrew an einem Kindertisch und blinzeln in die Sonne. Hat er einen ähnlich nostalgischen Blick auf diese Zeit?
Mit 20 Jahren hat er beinahe Selbstmord begangen, weil er davon ausging, es würde nie wieder so schön werden wie in der Kindheit. Damals hatten wir eine so enge Beziehung, eine so intensive Zeit, fast wie ein kleines Liebespaar. Er hatte Angst, das Beste bereits hinter sich zu haben. Heute hat er selbst Kinder und weiß, wie töricht dieser Gedanke war.
Ist das Altern für Sie ein Problem?
Nicht wirklich. Ich empfand mich nie als schön, daher hatte ich keine Angst davor, eines Tages nicht mehr in den Spiegel schauen zu mögen. Alt werden und auch danach aussehen - das ist nicht das Problem, aber das Leben als solches verändert sich. Ich kann anderen Frauen nur Mut zusprechen und sagen: Wir sind nicht allein in diesem merkwürdigen Dasein als Mutter, Frau, Geliebte. Die Dinge ändern sich erst dann, wenn wir anfangen, abends allein nach Hause zu kommen: Wenn dort niemand mehr ist. Aber auch das geht mit der Zeit. Und dann ist es ganz leicht.
Seit Ende der 60er Jahre sind unzählige Fotos von ihnen gemacht worden, jeder hat ein ganz bestimmtes Bild von Jane Birkin. Sei es in Antonionis"Blow Up" oder in anderen Filmen zusammen mit der Bardot, Ustinov und Delon, singend und seufzend an der Seite von Serge Gainsbourg. Wollten Sie dem Publikum mit dem neuen Album ein anderes Gesicht zeigen?
Das ist sicher ein wichtiger Aspekt. Ich habe die Texte geschrieben, das Booklet zeigt Fotos aus meinem Privatarchiv. Ich habe einfach das Gefühl, meine Kindheit war die schönste Zeit in meinem Leben. Dann begann aus dem Nichts meine Karriere. Ein Wimpernschlag - und ich war berühmt. Und in Nullkommanichts war ich eine Frau von 50 Jahren. Das ging so unfassbar schnell, und ich frage mich zum einen: 'Wo ist die Zeit geblieben?' Aber auch: 'Ist das eigentlich alles so richtig, was aus mir geworden ist?' Wenn heute jemand "Madame" zu mir sagt, dann zucke ich zusammen. Ich fühl mich viel mehr wie ein 60 Jahre alter Teenager.
Erkennen Sie sich überhaupt selbst in dem Bild, das das Publikum von Ihnen hat?
Oh Gott, nein. Wenn die Leute die Songs hören, die ich mit Serge gemacht habe und die ich für ihn gesungen habe, dann denken sie, es würde um mich gehen. Das ist völliger Quatsch. Es ging immer nur um Serge. Ich sang seine traurigen Texte, und er saß mit Tränen in den Augen im Regieraum. Ich besang den Herzschmerz, den ich in ihm ausgelöst hatte. Wenn ich's mir recht überlege - eine ziemlich schräge Angelegenheit.
Hören sie diese alten Songs hin und wieder?
Nein. Niemals. Ich singe sie live, um das Publikum nicht zu enttäuschen. Aber sie allein zuhause hören? Auf keinen Fall.
Mit ihren Songs und Filmen brachen Sie einst Tabus, heute im Zeitalter der Paparazzis und Reality-Formate ist das alles längst Alltag. Hat sich ihre eigene Haltung gegenüber Ruhm und Prominenz über die Jahre geändert?
Nein, es mag schrecklich klingen, aber ich war einfach immer schon berühmt. Einst war ich ein Kind mit berühmten Eltern, mit 18 Jahren heiratete ich den Komponisten John Barry, der plötzlich mit dem Titelthema für James Bond zu Weltruhm gelangte. Danach kam Serge Gainsbourg und so weiter und so fort. Ich war immer mit prominenten Menschen zusammen. Ich bin so gewöhnt daran, um Autogramme gebeten zu werden. Etwas komisch wird es erst, wenn ich aus Frankreich nach England zurückkehre und mich niemand um ein Autogramm bittet. In meiner eigenen Heimat werde ich kaum erkannt.