Kein Artikel, in dem ihre Maße nicht genannt werden: 1,53 Meter klein ist Kylie Minogue, 45 Kilo leicht, eine Frau, die Beschützerinstinkte wecken könnte. Wenn sie das wollte. Aber statt auf Liebmädchen macht Miss Minogue lieber auf Vamp, Lady oder, seit neuestem, auf Rockerbraut. Denn wenn Minogue eines nicht nötig hat - nach 50 Millionen verkaufter CDs, kultartig verehrter Videoclips und sechs Welttourneen - dann einen auf Püppchen zu machen. Oder gar auf Opfer. Daran ändert auch der Krebs nichts.
So selbstverständlich betritt Kylie Minogue denn auch das Berliner Hotel de Rome: in knallgelber Lederjacke, knöchelhohen Lackstiefelchen und mit fettem Lidstrich. Es ist ihr erster Deutschlandbesuch seit längerer Zeit und Deutschland ist neben Australien und Großbritannien ihr wichtigstes Fanland. Hier ließ sie sich einst von Stefan Raab veralbern, hier singt sie am 8. Dezember bei "Wetten, dass..." erstmals ihre neue Single "2Hearts" live, hier läuft ihre Dokumentation "White Diamond" im Kino - wenn auch nur für einen Tag, am 26. November. Nach Berlin ist sie gekommen, um das neue Album "X" zu bewerben, das ab Freitag in den Regalen steht. Und natürlich, um ihren deutschen Fans und der internationalen Presse zu zeigen, dass es sie noch gibt, das gute alte Zirkuspferdchen Kylie.
Das Motto: Sex sells
Denn so selbstverständlich ist das alles gar nicht. Zwanzig Jahre ist es her, dass Minogue mit Dauerwelle und "Locomotion" an die Spitze der weltweiten Charts rauschte, dann kurz in der Versenkung verschwand, bis sie in den 90ern endgültig die Dancefloors eroberte. Immer nach der Devise: Sex sells. Ihre Kleider waren von Dolce&Gabbana geschneidert, ihr Po in güldene Hotpants verpackt, ihre Ausschnitte atemberaubend tief. Alles lief rund, bis man im Frühjahr 2005 einen golfballgroßen Tumor in ihrer linken Brust fand. Diagnose: Brustkrebs. Minogue musste ihre damalige Welttournee abbrechen, durchlitt eine Chemotherapie, verlor ihre Haare. Als nach Monaten das erste, vom damaligen Freund Olivier Martinez geschossene, Foto durch die Gazetten ging, war klar, dass diese kahlköpfige Kylie nicht mehr die sexy Tanzmaus von früher ist - nicht mehr sein könnte.
Dabei lässt der Sound ihres neuen Albums nicht unbedingt auf eine Komplettwandlung schließen: Rockig ist nur die erste Single "2Hearts", die für Erstaunen in ihrer Disco-verwöhnten Fangemeinde sorgte. Statt Syntheziser rockt die Gitarre, statt Robo-Tanzchoreographie räkelt sich Minogue im Marylin-Madonna-Retro-Look auf einem Klavier. Doch die weiteren zwölf Lieder kommen in gewohnter Kylie-Manier daher, "Elektro, Pop, Dance - wie auch immer man es nennen will, ich bin der Kleber, der alles zusammenhält", sagt Minogue. Entstanden ist das Album unter Mitwirken vieler Produzenten in London, Stockholm, Kopenhagen, Los Angeles und auf Ibiza. Klingt nach Stress, aber Minogue wird nicht müde, zu betonen, dass sie sich immer wieder Auszeiten gegönnt habe. "Auf Ibiza haben wir eine Woche im Bikini aufgenommen, die zweite Woche war Urlaub", erklärt sie.
Der personifizierte Charme
Überhaupt wabert das Thema überwundene Krankheit im Raum, doch sie offensiv darauf anzusprechen, wagt kaum einer. Es ist, als ob die anwesenden Journalisten spüren, dass dies nicht der richtige Rahmen für so Persönliches ist. Wer es doch wagt, nach Kinderwunsch, Tournee oder körperlichen Folgen ihrer Krankheit zu fragen, wird von Moderator Steven Gätjen gemahnt. Doch Kylie wäre nicht Kylie, wenn sie sich nicht auch aus solchen Situationen charmant manövrieren würde. Kinder? "Irgendwann, gern, wäre ein völlig neues Leben". Tour? "Liebe die Bühne, wir diskutieren darüber, wird noch nicht verraten". Wie sie es schaffe, trotz ihres Alters, noch so gut auszusehen? "Das sind nur die Scheinwerfer, Herzchen!" Jeder weiß, dass sie bald vierzig wird, derzeit solo ist und nach ihrer Genesung ein Konzert wegen Erschöpfung abbrechen musste.
Doch Kylie Minogue ist der personifizierte Charme; sie umgarnt die Journalisten genauso wie ihr Publikum. Sie solidarisiert sich mit Frauen, indem sie vom Schock erzählt, den sie bei ihrer Dokumentations-Premiere bekam, als sie sich selbst hochauflösend auf einer Kinoleinwand sah, "während meiner nicht allerschönsten Tage". Flirtet mit Männern, die sie auf ihre Schüchternheit ansprechen. Sie findet die Balance zwischen der Frau mit der schlimmen Krankheit und dem professionellen Popstar, der nun weitermachen möchte. Krebs ist nicht sexy, passt nicht auf die Bühne, aber ihre Biografie hat er nicht gebrochen. Im Gegenteil: Ihre Liedchen sind immer noch fluffig leicht, aber ihre persönliche Katastrophe ist tragisch genug, um ihrer Musik seelische Tiefe einzuhauchen.
Sie schlägt kein Kapital aus ihrer Krankheit, aber Reminiszenzen sind erlaubt: Der Titel ihres Albums ist "X" und erinnert an "X-Ray", Röntgenstrahlen. Im Video zu "2Hearts" haucht sie mit blutroten Lippen in ein totenkopfförmiges Mikrofon - eine Rolle als Vamp, die ihr gut gefallen hat. Ob ihre Krankheit ihren Körper manchmal zum Feind gemacht? "Ja", antwortet sie kurz, bestimmt - und ehrlich. Wie schlimm es wirklich war, kann man - bewusst - nur erahnen. Sie entblößt ihren Körper nun nicht mehr wie einst, selbst in ihrer Bademoden-Kollektion für den Bekleidungskonzern H&M wirkte sie irgendwie angezogen. Kylie Minogue ist immer noch unermüdlich, weiß sich immer noch perfekt in Popstar-Szene zu setzen - und wird dafür sicher auch wieder mit Erfolg belohnt werden.