Wahrscheinlich hat sich Joel Gibb selbst am meisten über diesen Interviewort gewundert. Der Gründer des kanadischen Künstlerkollektivs The Hidden Cameras liegt auf einem Bett in Recklinghausen, eingerahmt von Kuscheltieren. An den Wänden hängen Poster von Mickey Mouse, Christina Aguilera und dem deutschen Alexander, auf der Bettwäsche sind weitere Teenageridole zu erkennen.
Des Rätsels Lösung: Gibb, dessen Band ihr jüngstes Album "Mississauga Goddam" veröffentlicht hat, verwandelt sich für ein paar Stunden in ein lebendiges Kunstobjekt inmitten der Installation "Sleepover", die die Briten Liane Sommers und Alex Large den Ruhrfestspielen zur Verfügung gestellt haben.
Der Traum von der eigenen Band
Als Joel Gibb im richtigen Alter für so einen Teenager-Schlafsaal war, begann er, sich für Jungs und für Musik zu interessieren. "Aber die heterosexuellen Jungs in den Bands in Toronto, die ich kannte, haben mich eher eingeschüchtert. Gitarre in so einer Band zu spielen, kam nicht in Frage." Also brachte er sich das Gitarrespielen selber bei, zeichnete Songs auf, von denen kein Mensch etwas wusste, und träumte von einer Band, die er später vielleicht einmal gründen würde, die Hidden Cameras. Eine Band, die wachsen und sich wieder verkleinern kann, die den Musikern Raum lässt für ihre eigenen Karrieren als Schauspieler oder Künstler.
"Ich habe mir nie Gedanken über die perfekte Band oder das perfekte Line-up gemacht. Du musst kein toller Musiker sein, um in unsere Band zu gehören, du musst dich noch nicht einmal auf irgendetwas festlegen".
Phil Spector vor dem der Ungläubigen
Die Joel-Gibb-Gospel-Show für Klatschhände, Tambourinschwinger, Gitarrenschrammler und Glockenspieler wächst im Extremfall bis auf 30 Mitglieder an, macht aus 10 Stimmen 1.000 und tritt in Kirchen, Gemeindezentren und Pornoschuppen auf. Das klingt, als hätte man Phil Spector vor den Altar der Ungläubigen gezerrt, damit er sich das einmal anhöre: "Music Is My Boyfriend" singt Joel Gibb in einem der rauschhaften Songs der neuen Hidden-Cameras-CD "Mississauga Goddam" und findet zu einem genialen Spiel mit den Leidenschaften und Pronomen: "I found music and he found me/I gave him some tambourine, he gave me a scream/I washed his dirty underwear, he made me toast/Music filled my mug with Vaseline, I gave him a choke".
Gibb glaubt an die Sprache seiner Lieder, an ihren universellen Charme. "Träum dir doch deine 'she', wenn du mit den Hidden Cameras in den Musik-Himmel fährst! Es geht bestimmt", sagt Gibb. "Ich kann mich ja auch in klassische, heterosexuelle Love-Songs verlieben."
Interaktion zwischen Band und Publikum
Raus will Gibb nur aus dem üblichen Rock-Zirkus. Rock-Clubs mag er nicht. "Die Türsteher benehmen sich oft ungehobelt, Kinder werden erst gar nicht reingelassen, die Luft ist vom Zigarettenrauch verpestet." In Gotteshäusern und Gemeindezentren hatten die Hidden Cameras ihre bisher besten Auftritte: "Das sind Orte, an denen die Grenzen zwischen Publikum und Musikern und Tänzern aufgehoben werden. Wir können die Kirchenorgel und das Piano benutzen. Manchmal endete alles in einer großen Party, unsere Tänzer übernahmen die Instrumente und wir Musiker tanzten", sagt Joel Gibb und guckt plötzlich reichlich verdrießlich: "Die meisten Bands spielen mit dem Rücken zum Publikum. Sie spielen ihre Songs, und denken nicht über Performance nach. Aber die Präsentation der Musik ist eine Kunstform für sich."
Heimliche Schellenkranzhits
Ob die Hidden-Cameras-Performance auch in Deutschland dieses Jahr noch zu sehen sein wird, steht in den Sternen. Ein Betriebsausflug von Joel Gibb und seinen "Boys Of Melody" ist ungefähr so umfangreich und so teuer wie eine Tournee mit fünf normalen Bands. Derweil ist das Publikum mit den beiden Alben "The Smell Of Our Own" und "Mississauga Goddam", all den Überflieger-Hymnen, den heimlichen Schellenkranzhits und süßen Harmonien bestens bedient. Soviel Raum Gibb seinen Melodien in weiträumigen, luftdurchlässigen Arrangements auch gibt, zum Songschreiben zieht der Kanadier sich immer wieder an stille Orte zurück, um über die Liebe zu träumen. Und es gebe noch ein paar paar simple Zwei-Akkord-Stücke, meint er, dunkle Lieder, die auf ihre Veröffentlichung warten.
Letztes Jahr kam das Hidden-Cameras-Debüt "The Smell Of Our Own" (Rough Trade/Sanctuary) heraus. Dazu gibt es das 6-Track-Live-Album "Play The CBC Sessions" (Rough Trade/Sanctuary). Auf Wunsch von Fans hat Joel Gibb inzwischen frühe 4-Track-Aufnahmen unter dem Titel "Ecce Homo" (Evil Evil Rec.) veröffentlicht.