»Egal was ich mache, ich bin ein Hip-Hop-Künstler«, sagt Wyclef Jean. Sein bisheriges Schaffen spricht allerdings nicht unbedingt für diese Aussage - nicht nur, weil er gerade mit dem Pink-Floyd-Cover »Wish You Were Here« die Charts erobert.
HipHop mit bekannten Melodien
Jeans Abweichlertum vom Hip-Hop hat eine lange Geschichte. Als Mitglied der Band The Fugees coverte er Roberta Flacks Souljazz-Stück »Killing Me Softly With His Song«, übersetzte es in ein Hip-Hop beeinflusstes »Killing Me Softly«. Ähnlich verfuhr er mit Bob Marleys »No Woman, No Cry«. Auch später als Solokünstler ergänzte er seine Musik immer wieder mit bekannten Melodien wie in seinen Stücken »We Try To Stay Alive« mit Bee Gees-Sample, seiner »Guantanamera«-Version oder eben jetzt mit »Wish You Were Here«.
Ureigene HipHop-Praxis
Kritiker, die diese Songs nicht als Hip-Hop anerkennen, sitzen jedoch einem Missverständnis auf. Tatsächlich setzt Jeans musikalischer Ansatz eine ureigene Hip-Hop-Praxis um: Fremdartigkeit wird zur minimalen Größe - sobald sich eine musikalische Komponente, ein Arrangement oder ein ganzer Song in ein Hip-Hop-Format bringen lässt, ist er nicht mehr fremd, wird so zu Hip-Hop.
Nach dieser Lesart verlässt Wyclef keineswegs das oft engstirnig abgesteckte Hip-Hop-Territorium, erweitert vielmehr dessen Grenzen. Vermeintlicher Stilbruch wird hier zu erfrischender Progressivität, die schon das anarchische Moment der Hip-Hop-Pionierzeit kennzeichnete.
Zwischen Mainstream und Underground
Bei ihrem Debüt 1993 hatte die Hip-Hop-Megagruppe The Fugees noch den Beinamen The Tranzlator Crew, die Übersetzer. Seitdem liefern Pras, Lauryn Hill und vor allem Jean aus ihrem Biotop, dem Refugee Camp, musikalische »Übersetzungen«, zwischen Mainstream und Underground, zwischen schwarz und weiß. Gerade Wyclef Jean hat sich nach zwei wegweisenden Soloalben und diversen Produktionen für andere Künstler den Ruf des mutigen Grenzgängers erworben.
Für alle Stilrichtungen offen
Der Sohn haitianischer Amerikaner beherrscht wie kein anderer die gleichzeitige Vereinnahmung musikalischer Hybris und Hip-Hop-Verwurzelung. Man kennt die langen Dreadlocks, das Bild vom Gitarre spielenden Wyclef neben Bob Dylan im »Gone Till November«-Video oder den Gastauftritt von Countrystar Kenny Rogers auf »The Ecleftic«. Ebenso sind Wyclefs große Produktionen wie Santanas »Maria, Maria« oder Destiny's Childs erster Hit »No, No, No« in bester Erinnerung. »Ich stehe eben für alle Stilrichtungen, gleichzeitig jedoch auch für einen unverkennbaren 'Brooklyn Style'«, erklärt er.
Mühelos zitiert er in seinen Stücken Soulgott Stevie Wonder, Rap-Größen wie Rakim oder Mobb Deep, nimmt einen Song in kreolischer Sprache auf oder musiziert mit Youssou N'Dour, Senegals berühmtestem Musiker. Man gewinnt den Eindruck, dass Wyclef sich tatsächlich nicht um Genregesetze schert, es gleichzeitig schafft Hip-Hop zu sein ohne Gefahr zu laufen zum kalkulierenden Crossover-Barden zu werden.
Produzent anderer Künstler
Gleichzeitig vermag er es, anderen Künstlern seine Formel einzuimpfen, ohne ihnen ihre Persönlichkeit zu nehmen. So hat Wyclef mit der Produktion von »My Love Is Your Love« ein neues Kapitel in der Karriere der ehemals balladenfixierten Whitney Houston aufgeschlagen, ebenso Blue Eyed Soul-Ikone Mick Hucknall oder Ragga-Star Bounty Killer zu Höhenflügen verholfen.
Zusammenarbeit mit Bryan Harvey
Die jüngste Zusammenarbeit hat den Fugees-Frontmann mit Bryan Harvey, den Leadsänger der altgedienten Londoner Boyband East 17, zusammengebracht. Hierbei ist das Stück »Loving You (Ole Ole Ole)« entstanden: »Ich habe Bryan getroffen und war von seiner Stimme angetan. Also haben wir den Track aufgenommen.« Was sich simpel anhört, ist doch typisch für den smarten Hip-Hop-Innovator, der es bei allem Perfektionismus in seinen Stücken versteht, improvisatorisches Moment und minimalistische Frische zu erhalten.
So steigt seine Single »Wish You Where Here« schnell in soulige, Hip-Hop getränkte Höhen. »Als Gitarrist muss man schließlich Pink Floyd mögen«, entgegnet Jean auf die Frage, warum es denn ausgerechnet ein Stück der britischen Space-Rocker sein musste. So einfach kann Musik sein.
Neues Fugees-Album im nächsten Sommer
Und es sieht ganz danach aus, als finde die Legende mit seinem im Frühjahr erscheinenden dritten Solowerk (»Masquerade«) und mit dem auf nächsten Sommer datierten, dritten Fugees-Werk eine gebührende Fortsetzung. Der Übersetzer wird seine Arbeit machen...