Ein Stückchen Käse, ein paar Oliven, Kirschtomaten, vielleicht zwei, drei Cornichons und natürlich frisches Brot – fertig ist das "Girl Dinner", also das "Mädchen-Abendessen", das aktuell als Foodtrend des Sommers durch die sozialen Netzwerke schwirrt. Angefangen hat alles mit einem TikTok-Video der Drehbuchautorin Olivia Maher, die den Begriff anhand ihres eigenen Abendessens erklärte: "Irgendjemand meinte, wie schrecklich es sei, dass man im Mittelalter nur Brot und Käse zu essen hatte – für mich ist das das perfekte Abendessen, ich nenne es 'Girl Dinner'!" Kameraschwenk auf Baguette und Käse, dazu ein Glas Rotwein.
Das Video wurde inzwischen 1,4 Millionen Mal aufgerufen. Für ein so simples Abendessen erfährt das "Girl Dinner" ein gewaltiges Echo. Aus deutscher Sicht ist es natürlich ein wenig amüsant, dass die klassische Käsebrot-Gürkchen-Kombi, das geliebte Abendbrot, es unter einem neuen Hashtag zum internationalen Foodtrend geschafft hat. In unzähligen Posts zeigen nun nämlich Girls weltweit, welche abendlichen Snackteller sie sich im Sommer selbst gern zubereiten: Mal sind es überbackene Nacho-Chips, mal liegt neben dem Käse noch eine Scheibe Schinken oder eine Mini-Kabanossi, mal kommen noch Weintrauben dazu.
Die Idee ist immer die gleiche: Man bereitet sich zum Abendessen einen einfachen, aber sorgfältig zusammengestellten Teller zu, nur für sich selbst – mit lauter Leckereien, die den Feierabend ein wenig schöner machen. Im Interview mit der "New York Times" sagte "Girl Dinner"-Erfinderin Maher: "Meine Freundinnen und ich lieben es, so zu essen, und es fühlt sich einfach nach einem Mädchenessen an, weil wir das so nur zubereiten, wenn unsere Boyfriends nicht zu Hause sind, wir also kein typisches Abendessen zu uns nehmen."
Kulinarisch schließt das "Girl Dinner" an andere TikTok-Trends an
Gemeint ist damit ein warmes Abendessen, wie es vor allem im angloamerikanischen Raum üblich ist, im Kontrast zu einer Social-Media-kompatiblen, weil besonders hübsch angerichteten Form des kalten Abendbrots. Kulinarisch schließt das "Girl Dinner" damit an Trends an, die bereits in Pandemie-Zeiten Hochkonjunktur hatten: Man denke nur an das "Charcuterie Board", also eine Art Brettljause mit gefalteten und gerollten Schinken- und Salamischeiben, oder an das "Butter Board", das vor gar nicht allzu langer Zeit die Runde durch Instagram & Co. drehte und bei dem aufgeschlagene Butter gewürzt und mit Kräutern und essbaren Blumen dekoriert serviert wurde.
Kalte Platten erleben schon länger ein Revival unter jungen Leuten, was ja eigentlich nicht sonderlich verwunderlich ist – die Zutaten sind schnell eingekauft und ein Abendbrot viel schneller arrangiert als ein aufwändiges, gekochtes Dinner. Wer hat schon Lust, vor allem im Sommer abends ewig in der Küche zu stehen?!
Neu beim "Girl Dinner" ist aber die Idee, die hinter der Inszenierung steht: Frauen bereiten einen köstlichen Teller nur für sich selbst zu. Sie nehmen sich die Zeit, lauter Delikatessen auszuwählen und hübsch zu arrangieren, die sie selbst mögen, ohne Rücksicht auf die kulinarischen Vorlieben anderer ("Der Käse ist mir aber zu stinkig!"). Mit den entsprechenden Posts zum persönlichen "Girl Dinner" wird in den sozialen Netzwerken das perfekte Käse-Wurst-Arrangement dokumentiert, aber vor allem die Freude am Genuss.
Und wenn man Food Content in den sozialen Netzwerken mal genauer unter die Lupe nimmt, dann ist dieser Aspekt wirklich ungewohnt. Selbst zubereitete Mahlzeiten, gerade von Frauen gepostet, dienen hier meist eher repräsentativen Zwecken: Entweder, es geht darum zu demonstrieren, wie wahnsinnig gesund man sich ernährt ("hier seht ihr meine Açai-Bowl") – oder darum, welch opulente Mahlzeiten man für Freunde oder Familie zubereitet hat. Da steht dann der Aspekt des Sich-Kümmerns im Vordergrund. Dass man sich als Frau an einer kleinen, köstlichen, vielleicht sogar etwas dekadenten Mahlzeit ganz allein erfreut? Das passt nicht ins Konzept einer Esskultur, in der Genuss für besondere Anlässe reserviert ist und die zu Hause Restriktion und Bescheidenheit verlangt. Bei zu viel Käse schlägt schließlich jede Abnehm-App sofort Alarm!
Beim "Girl Dinner" wird der Genuss im Alltag zelebriert
Das "Girl Dinner" setzt die weibliche Freude am Genuss in Szene. Und einfach mal zu genießen, das Essen auch im Alltag ein wenig zu zelebrieren, ist mit Sicherheit ein begrüßenswerter Trend in einer Welt, in der Frauen nach wie vor tagtäglich mit Diät-Anweisungen zugeballert werden. So stellt das "Girl Dinner" eine willkommene Kontrastidee zum "Cheat Meal" dar, also dem vorsätzlichen "Sündigen", wenn es ums Essen geht – weil man ja nach der genussreichen Schummelei am nächsten Tag wieder mit der gewohnten Diät aus Haferflocken und Quinoa-Bowl weitermacht.
So weit, so köstlich. Doch wie immer, wenn es um Frauen und Essen und im weiteren Sinne auch ihre Körper geht, ruft das "Girl Dinner" natürlich direkt Bedenkenträger auf den Plan. In den US-amerikanischen Medien wird als Reaktion auf den Trend bereits unter Ernährungsexperten diskutiert, ob so ein spartanisches Brot-und-Butter-Abendessen nicht "problematisch" sei, weil die Mahlzeit nicht ausgewogen genug sein könne und man unter Umständen nicht die perfekte Zusammensetzung von Makro-und Mikro-Nährstoffen zu sich nehme.
Ganz ehrlich: Allein diese Pseudo-Debatte, bei der Frauen offenbar noch nicht mal zugetraut wird, dass sie sich einen Abendbrot-Teller zusammenstellen können, von dem sie auch satt werden, zeigt doch, warum der "Girl Dinner"-Trend zur Abwechslung mal eine erfreuliche TikTok-Erscheinung ist. Es geht bei dem Trend um die Botschaft, dass es wohl sinnvoller ist, Frauen einfach mal machen zu lassen, wenn es ums Thema Essen geht, anstatt ihnen auch in diesem Lebensbereich ständig mit "gut gemeinten" Ratschlägen reinreden zu wollen. Einen freudvollen Bezug zum Thema Essen zu entwickeln, ist für viele schwierig genug. In diesem Sinne: happy Abendbrot!