"Deutschland sucht den Superstar" Von Helden und Diven

  • von Björn Erichsen
Der Versuch, sich mit den Größten der Showbranche zu messen, ging für einige DSDS-Kandidaten nach hinten los. Lauren Talbot schied nach zwei durchwachsenen Auftritten aus, eine ehemalige Kandidatin steht dagegen bereits in den Startlöchern für ihre weitere Gesangskarriere.

Was macht eigentlich Francisca Urio? Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an die attraktive Deutsch-Afrikanerin, die mit viel Showtalent und Stimme zu den Top-Favoriten auf den "Superstar"-Titel zählte, jedoch zum allgemeinen Entsetzen bereits Anfang April bei DSDS ausschied. Von diesen Schock hat sie sich gut erholt, wie man hört. Mehr als 1000 tröstende E-Mails soll sie nach ihrem Ausscheiden erhalten haben. Ebenso hilfreich bei der Frustbewältigung dürfte gewesen sein, dass ihr bereits ein Angebot vom Deutschen Filmorchester Babelsberg vorliegt und angeblich ebenfalls ein unterschriftsreifer Plattenvertrag für sie in der Schublade schlummert. Offiziell bestätigen, möchte das derzeit aber niemand.

Das Problem: Urio braucht noch ein wenig Geduld, das geben die DSDS-Verträge so vor. Bis zum 5. Mai, wenn im großen Finale der Sieger gekürt wird, muss sie die Füße still halten. Kein Misston, schon gar nicht auf CD gepresst, soll das langwierige Procedere der Superstardämmerung stören. Bei RTL bemüht man sich indes, Urio nach dem ungeplant frühen Ausscheiden medial warm zu halten, arrangiert Pressetermine und lässt sie fleißig durch diverse Fernsehshows der Senderfamilie tingeln. Um die Zukunft von "Miss Perfect" muss man sich daher keine Sorgen machen, ihr Weg ins Showgeschäft ist vorgezeichnet. Angesichts ihrer Leistungen bei DSDS wohl auch zu Recht.

Gegen das Geplapper ansingen

Das lässt sich sicher nicht über alle Kandidaten sagen, die sich am Samstag in der 6. Mottoshow als "die größten Helden und Diven der Musik" versuchten. Die verbliebenen Fünf hatten diesmal jeweils zwei Songs vorzutragen, um die rund 100 Minuten Sendezeit zu füllen. Das dürfte jeder dankbar aufgenommen haben, der das seichte Geplapper noch im den Ohren hat, mit dem die Moderatoren Tooske Ragas und Marco Schreyl die Sendung in der Vorwoche streckten. Allerdings glänzten die Kandidaten, wenn überhaupt, nur mit jeweils einem ihrer beiden einstudierten Songs.

Lisa Bund gelang es immerhin, mit Herbert Grönemeyers "Flugzeuge im Bauch" ihren schwachen ersten Auftritt mit "Who Knew" von Pink ein wenig wett zu machen. Teenie-Schwarm Martin Stosch wirkte zwar nicht gerade wie die Reinkarnation von Freddy Mercury, aber seine Interpretation von "Crazy Little Thing Called Love" war immerhin so lebhaft, dass Dieter Bohlen ebenso lobend wie uncharmant anmerkte, dass er sich erfreulicherweise endlich mal den "Stock aus dem Hintern gezogen" habe. Die besten Auftritte des Abends kamen wie gewohnt von Max Buskohl mit "I Was Made For Lovin' You" von Kiss und Top-Favorit Mark Medlock, der Lionel Richies "Three Times A Lady" sehr gekonnt intonierte.

Einzig Lauren Talbot patzte bei beiden ihrer Songs. Seit Wochen schon als heiße Kandidatin auf einen Rauswurf gehandelt, präsentierte sie sowohl "Fields Of Gold" (Sting / Eva Cassidy) als auch "Secret" von Madonna hüftsteif und mit kaum vorhandener Stimme. Ihr Ausscheiden am Schluss war nur folgerichtig, da halfen auch Kulleraugen und Lolita-Charme nicht mehr. "Du hast heute zwei Chancen gehabt und hast zweimal verkackt", brachte es Dieter Bohlen auf den Punkt. "Das ewige Töne versingen fängt langsam an zu nerven."

Gute Lukaseder, böser Bohlen

Wie Anja Lukaseder den ersten Auftritt von Talbot mit einem "Das war hot, Baby!" adeln konnte, bleibt ein Rätsel, das vermutlich nur ein Ohrenarzt schlüssig erklären kann. Die Dame im Jury-Trio fiel häufiger durch butterweiche, teils schlichtweg falschen Bewertungen auf: Bei Max Buskohl fabulierte sie, dass sein schmallippig vorgetragenes "Suspicious Minds" sogar Elvis Presley höchst selbst beeindruckt hätte. Möglicherweise sollte sie nach dem Schema "Guter Bulle, böser Bulle" ein Gegengewicht zu Dieter Bohlen darstellen, der sich in seinen Urteilen um einiges derber und bissiger zeigte als noch in den Wochen zuvor. Max Buskohl teilte er unumwunden mit, dass er nicht singen könne, dann witzelte er ausgelassen über "den schiefen Ton von Lisa".

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Wenn Bohlen motziger wird, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass man sich bei RTL um die Quoten von DSDS sorgt. Der Mammutveranstaltung scheint auf der Zielgerade ein wenig die Puste auszugehen, immer noch auf bemerkenswert hohem Niveau versteht sich. Nach dem staffelinternen Minusrekord in der Vorwoche hat sich die Show etwas berappelt und lockte 4,16 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme bei einem Marktanteil von 28,3 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe. Von den Spitzenwerten der Casting-Shows im Januar ist man jedoch noch ein gutes Stück entfernt.

Zusätzlich zum bewährten Bohlen-Bashing wurde daher noch ein weiteres Element aus der DSDS-Mottenkiste gekramt, das für viele Zuschauer den eigentlichen Charme des Formates ausmachen dürfte: der immense Fremdschämfaktor. Jenes spontane Verlangen, sich ein Sofakissen vor die Augen zu halten, um nicht mit ansehen zu müssen, wie sich talentfreie Teenager mit geradezu obskuren Darbietungen vor einem Millionenpublikum blamieren. Per Einspielung wurde während der Show immer wieder an solch bessere Tage der Staffel erinnert: An die kleine Nadine Emmelmann aus Berlin-Neukölln etwa, die, erwartungsfroh durch ihre Brille schielend, mit den Titanic-Song "My heart will go on" dermaßen absoff, dass selbst ein Eisberg vor Scham geschmolzen wäre. Oder an den selbst ernannten "Mr. Love", einem eitlen Gecken, der sich nach dürftiger Darbietung auf der Wandergitarre, bei der Jury mit einer Wasserglasdusche für die negative Bewertung revanchierte.

Peinlichkeiten überstrapaziert

Mit dem Dauereinsatz von Menderes überreizt RTL das Fremdschäm-Prinzip allerdings ein wenig. Nachdem der laut Schreyl "hartnäckigste DSDS-Kandidaten aller Zeiten" bei Mottoshow Nummer vier eine ebenso schräge, wie viel umjubelte Interpretation von Michael Jacksons "Beat it" abgeliefert hatte, durfte er diesmal die gesamt Show über neben Jury sitzen und sämtliche Titel der Kandidaten im Schnelldurchgang mit seiner Piepsstimme verunstalten. Sein zweiter Live-Auftritt am Schluss überforderte die selbstzweifelfreie Nervensäge dann sichtlich, seine Version von "Bad" klang wie ein einziger Reizhusten mit Musikbegleitung. Der Applaus in der Halle fiel äußerst mäßig aus, Fremdschämen will nicht so recht klappen, wenn die Peinlichkeit derart gewollt ist.

Jedoch ließ Bohlen durchblicken, dass man auch in der fünften Staffel mit ihm plane. Vielleicht sollte man bei RTL viel eher darüber nachdenken, ob man der Zuschauermüdigkeit nicht lieber mit größerer Qualität der Kandidaten begegnen könnte. Dass nach einem mehrmonatigen Mega-Casting aus 28.000 Bewerbern von den Top 5 noch derart durchwachsene Leistungen angeboten werden, wirft kein gutes Licht auf den gesamten DSDS-Auswahlprozess. Vom Talent und Gesamtpräsentation her werden noch am ehesten Mark Medlock - und vielleicht auch noch Max Buskohl - Francisca Urio Gesellschaft auf der Karriereleiter leisten. Völlig gleichgültig, wer Anfang Mai zum neuen Superstar gekürt wird.

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