Herr Krassnitzer, Frau Neuhauser, ist Freundschaft verlässlicher als Liebe?
Krassnitzer: Ich glaube, beides sind sehr fragile Gebilde. Aber sie unterscheiden sich in ihrer Herangehensweise: Bei der Liebe ist die Erwartungshaltung größer. Und damit auch die Gefahr, verletzt oder enttäuscht zu werden. Aber wenn die Liebe wahrhaftig ist, ist die Liebe stärker als Freundschaft. Freundschaften kann man kündigen. Bei der Liebe ist das schwierig.
Neuhauser: Für mich ist Freundschaft eine andere Form der Liebe. Für mich, die ich gerade nicht in einer Beziehung bin und das auch ganz gern, ist Freundschaft sehr wichtig. Interessanterweise habe ich erst mit zunehmendem Alter Freundinnen gewonnen. In jungen Jahren war ich mehr auf Männer fixiert. Das ist eine schöne Erfahrung. Ich habe bei meinem Vater auch erlebt, dass tiefe Freundschaften das Leben verlängern. Er hatte unglaublich tolle Freunde.
In Ihrem neuen "Tatort" "Dein Verlust" geht es auch um die Grenzen von Freundschaft. Als Moritz unter Mordverdacht gerät, steht die Frage im Raum, ob Bibi bereit ist, dies zu vertuschen. Was wären Sie bereit, für einen Freund, eine Freundin zu tun?
Neuhauser: Ich glaube, ich würde in einen ähnlichen Konflikt geraten wie Bibi im "Tatort". Sie steckt ja in einem doppelten Zwiespalt: Weil sie so eng mit Moritz befreundet ist. Aber auch, weil sie als Polizistin der Wahrheitsfindung besonders verpflichtet ist. Sie will zu ihm stehen, kann es einfach auch nicht glauben, aber die Beweise werden immer erdrückender.
Krassnitzer: Man kann versuchen, es zu verstehen. Man kann versuchen, den Freund dazu zu bewegen, sich zu stellen und Verantwortung für seine Tat zu übernehmen. Aber man kann es nicht dulden. Auch nicht im Namen einer Freundschaft. Das ist für mich eine klare Grenze. Alles, was die menschlichen Grundprinzipien missachtet, hat in einer Freundschaft nichts zu suchen. Zumal wir in der deutschen Geschichte erlebt haben, was passiert, wenn "Freunde" sich gegenseitig bei staatlich organisiertem Morden decken. Sechs Millionen ermordete Menschen waren das Ergebnis.
Stimmt es, dass Sie beide beim Dreh geweint haben?
Neuhauser: Ja, und zwar bei der Szene, in der Harry im Gefängnis sitzt und weint. Beim Dreh in der Zelle konnte ich nicht dabei sein. Aber als ich es später sah, musste ich auch weinen. Harry hat so eine aufrichtige und ehrliche Art, zu spielen. Das berührt mich besonders. Weil seine Intensität und Ehrlichkeit beim Spiel auch meine schützt. Und umgekehrt.
Krassnitzer: Wir weinen aber oft, auch wenn wir uns bei den Dreharbeiten wieder treffen. Weil wir uns so freuen, uns wiederzusehen. Wie so junge Hunde. Am ersten Drehtag sind wir für die Kamera unbrauchbar.
Hat der Dreh Ihre echte Beziehung noch einmal verändert?
Neuhauser: Nein, die ist und bleibt stabil. Unsere Freundschaft steht nie zur Diskussion.
Krassnitzer: Die Freundschaft mit Adele gab es vom ersten Augenblick an. Für mich ist sie so groß und elementar, dass ich sie kaum in Worte fassen kann. Wir sind an einem Punkt zueinandergekommen, wo wir nichts mehr nötig hatten. Wir mussten nicht mehr um unsere Rolle kämpfen, wir mussten uns nichts mehr beweisen. Es ging und geht nur um eines: eine Geschichte gemeinsam so zu erzählen, dass die Zuschauer nach 90 Minuten nicht nur sagen "War ja ganz nett und die ganz gut", sondern: "Was für eine geile Geschichte". Mir ist nie jemand begegnet, mit dem ich das so kann, wie mit ihr. Ich bin eher ein bodenbehafteter Mensch, aber mit Adele wachsen mir beim Spielen Flügel.
Frau Neuhauser, was macht für Sie die Freundschaft zu Herrn Krassnitzer aus?
Neuhauser: Ich kann so sein, wie ich bin. Er holt das Beste aus mir heraus, auch menschlich. Wir sprechen über wirklich alles. Er bringt mich auf eine Weise zum Lachen, dass ich Tränen in den Augen habe. Aber er war auch in schwierigen Phasen für mich da. Wenn es mir nicht gut geht, nimmt er mich einfach in den Arm. Dass sich das deckt mit dem großen Spaß an der gemeinsamen Arbeit, ist für mich phänomenal.
Ist eine solche Freundschaft in einer Branche, in der viel Konkurrenzdruck herrscht, eher eine Ausnahme?
Krassnitzer: Ja, weil die Schauspielerei viele Achillesfersen in sich trägt. Es ist ein Beruf, der stark von Resonanz abhängt, vom Urteil der anderen. Man ist in einem permanenten Beurteilungsraster. Das macht was mit den Menschen. Das Geheimnis unserer Freundschaft ist, dass wir das nicht mehr brauchten. Das hat uns frei gemacht. Mit Adele kann ich den Gedanken loslassen, ich müsse eine Rolle spielen. Da reicht ein Blick und schon hat der andere verstanden.
In "Dein Verlust" erleben wir eine ziemliche Rollenverkehrung. Während Moritz komplett ausfällt, rettet ihm Bibi doppelt das Leben. Andererseits erscheint sie emotional so abhängig von ihm, dass der Täter sich dies zunutze macht. Konterkariert das nicht das zuvor aufgebaute Bild von der starken Frau?
Neuhauser: Nein. Gar nicht. Im Gegenteil! Das ist doch zutiefst menschlich. Es wird einem ja erst in einer Ausnahmesituation bewusst, wie lebensnotwendig ein vertrauter Mensch für einen ist. Das merkt man nicht in den guten Zeiten, sondern dann, wenn etwas ins Wanken gerät. Diese Ambivalenz ist feministisch.
Krassnitzer: Die Wahrheit ist doch: Bis vor wenigen Jahren hätte das ausschließlich ein Mann gespielt. Der wäre heldenhaft da durchgegangen wie das Messer durch die Butter, mit allen Klischees des Heroen: "Ich box dich raus, Baby." Dieser Tatort erzählt die Geschichte einer starken Frau, die bei all ihrer Emotionalität das tut, was zu tun ist, klar, entschlossen, vernunftbegabt. Das ist das Besondere.
In einer Szene knistert es gewaltig zwischen Ihren beiden Figuren. Werden Bibi und Moritz doch noch ein Paar?
Krassnitzer: Nein.
Neuhauser: Nein. Wir haben uns immer gegen eine Liebesbeziehung gewehrt. Weil wir zeigen wollen, dass man eine tiefe Freundschaft haben kann, ohne dass das zwangsläufig in eine Liebesbeziehung mündet. Ich finde das erwachsen und modern.
Neben Freundschaft ist das große Thema dieses "Tatort" der Verlust. Zum Beispiel der Verlust der Erinnerung. Hatten Sie schon mal im echten Leben einen "Filmriss"?
Neuhauser: Ja, leider.
Krassnitzer: Ich hatte noch keinen. Ich hab da so eine natürliche Sperre: Wenn ich zu viel Alkohol trinke, übergebe ich mich und dann ist eh vorbei mit dem Trinken. Aber beim Film gibt es ja die so genannten Schnapsklappen...
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Sie meinen die Tradition, dass der Regisseur oder ein anderer Mitarbeiter dem Team einen ausgeben muss, wenn eine Szene zu oft wiederholt, also zu oft die Klappe geschlagen werden muss?
Krassnitzer: Ja, genau. Wir haben einige legendäre "Schnapsklappen" miteinander erlebt. Das ist eine viel schönere Erinnerung als ein Hangover, der nichts bringt.
Welchen Verlust fürchten Sie am meisten?
Neuhauser: Es gibt einen. Aber ich möchte das gar nicht aussprechen. Deshalb grundsätzlich: Ich habe in meinem Leben sehr viel Verlust erlebt. Von Menschen, von Lebensqualität, von Vergangenheit. Der letzte Mensch, den ich verloren habe, war mein Ex-Mann, den ich sehr geliebt habe und immer noch liebe. Er ist vor knapp zwei Jahren gestorben. Ich bemühe mich, die Liebe und die Erinnerung weiter in mir zu tragen. Und im Jetzt zu leben. Erst recht, seit ich doppelte Großmutter bin.
Krassnitzer: Ich habe wenig Furcht vor dem klassischen Verlust, der zum Zyklus des Lebens gehört. Meine größte Angst ist, mich selbst zu verlieren. Also, dass ich an Demenz erkranke, allmählich wegdämmere, die Verankerung verliere oder von Dämonen getrieben werde. Ich erlebe das gerade bei meiner Mutter, die dement ist.
Was ist passiert?
Meine Mutter hatte eine Zeit lang Traumaschübe aus der Kriegszeit. Ihr Vater war von den Nazis gefangen genommen worden, was zur Auflösung der Familie führte. Diese Angst hat sie jetzt wieder eingeholt, aber mit so einer Heftigkeit, als würde sie es in der Gegenwart noch einmal erleben. Du siehst dann deine Mutter dasitzen, eine 93-jährige Frau, die am ganzen Körper zittert. Und du erreichst sie nicht mehr. Der Gedanke, selbst in so einen Zustand zu verfallen, macht mir tierisch Angst. Dann würde ich mir wünschen, selbstermächtigt über mein Schicksal entscheiden zu können.
Sie würden über Sterbehilfe nachdenken?
Ja. Auch weil man nicht weiß, was in diesem Zustand zum Vorschein kommt. Vielleicht etwas ganz Bösartiges, Grausames, Tyrannisches. Das würde ich meinen Angehörigen nicht zumuten wollen. Aber die Schwierigkeit ist, dass es oft ein schleichender Prozess ist. Oft steckst du schon mittendrin und merkst es gar nicht.
Wie gehen Sie mit der Erkrankung Ihrer Mutter um?
Krassnitzer: Meine Schwester und ich bemühen uns, sie liebevoll zu begleiten. Die Traumaschübe haben glücklicherweise wieder aufgehört. Und es gibt auch sehr schöne, ja sogar lustige Momente. Etwa, wenn wir uns über Dinge unterhalten und ich keine Ahnung habe, von was sie spricht. Es ist wie ein Rollenspiel: Sie hält mich für ihren Ehemann, Bruder oder Hund, und ich gehe einfach darauf ein, spiele mit. So kommen teils sehr skurrile, aber auch spannende Gespräche zustande, bei denen ich oft viel erfahre, weil sie die Tür zu Räumen öffnen, die ich bislang nicht kannte.
Herr Krassnitzer, Sie mögen diese Frage nicht, aber ich muss sie trotzdem stellen. Momentan gehen eine Reihe von "Tatort"-Kommissaren in Rente oder quittieren den TV-Dienst. Sie haben im Januar Ihr 25-Jähriges als Ermittler Moritz Eisner gefeiert, seit über zehn Jahren mit Adele Neuhauser an Ihrer Seite. Müssen wir uns Sorgen machen?
Krassnitzer: Ich habe Ihre Frage nicht verstanden, ich glaube die Verbindung ist gerade ganz schlecht… Nein, im Ernst. Wir sind dieses Jahr mit drei Folgen am Start und diskutieren bereits, was wir 2025 machen wollen. Wir verspüren kein Abschiedsgefühl, im Gegenteil: Die jungen und tollen Regisseure und Regisseurinnen, die wir bekommen haben, haben auch uns nochmal einen Schub gegeben.
Am "Tatort" gab es zuletzt viel Kritik: Er sei zu links, zu altbacken, zu stereotyp. Haben die Kritiker einen Punkt?
Neuhauser: Das kann man doch nicht über einen Kamm scheren. In dem einen oder anderen Fall mag die Kritik zutreffen, aber grundsätzlich ist der "Tatort" ein großartiges Format. Weil er wie keine andere Serie ein Spiegel der Zeit ist und erlaubt, aktuelle Fragen abzubilden. Wo sonst hat man so eine Plattform, um diese fiktional zu thematisieren? Und was das "Altbackene" betrifft: Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Aus.
Was macht den perfekten "Tatort" aus?
Neuhauser: Wenn einfach alles stimmt: das Buch, der Plot, ein wichtiger Zugang zur Welt, großartige Schauspieler, die sich in die Geschichte investieren und nicht in ihr Ego. Dann sind das magische Momente.