Im Sonnenstudio getönte Haut, blonde Strähnchen und T-Shirts mit lustigen Sprüchen: So sehen sie aus, die Schlagerfans aus dem Ruhrpott. Einmal in der Woche treffen sie sich, um die Sorgen des Alltags zu vergessen und zu Schlager bis in die Morgengrauen zu tanzen. Disco-Fox-Gestampfe, Mitgegröle, stumpfer Frohsinn. Einfach grauenhaft.
Das ist das Klischee, das Arne Birkenstock in seiner TV-Dokumentation "Schlagerland" zeigt. Der Filmemacher besuchte eine Gruppe von Schlagerfans, die wie aus der Zeit gefallen schienen. Sie wollten so gar nicht zum neuen Image einer Musikindustrie passen, die Helene Fischer und Co. gerne als hip und angesagt verkaufen möchte. Gibt es die modernen, jungen, hedonistischen Schlagerfans aus der Großstadt also gar nicht?
Ausgerechnet Jürgen Drews soll das Gegenteil beweisen, ausgerechnet mit "Anita". "Ein 71 Jahre alter Musiker spielt ein 40 Jahre altes Lied", erläutert ein Kommentator den Auftritt Drews auf der Berliner Waldbühne. "22.000 Menschen jedweden Alters feiern dazu." Die Kamera schwenkt in die Reihen. Und siehe da: Hier sind sie, die Fans, die ebenso gut zu Justin Timberlake oder Andreas Bourani passen würden. Ganz so einfach in Schubladen zu stecken sind Schlagerfuzzis eben doch nicht.
In "Schlagerland" kommen Granden wie Roland Kaiser zu Wort
Um der Faszination Schlager näher zu kommen, hat Filmemacher Birkenstock viele Granden vor die Kamera geholt - schon alleine deshalb ist die Doku sehenswert: Ralph Siegel kommt ebenso zu Wort wie Roland Kaiser, Costa Cordalis, Kristina Bach oder Gitte Haenning. Was macht einen guten Schlager zum Hit und was fasziniert so viele Menschen am Phänomen Schlager? Das Erstaunliche: Sie alle scheinen gleichermaßen ratlos zu sein.

Planbar sei ein Hit wie "Atemlos" nicht, erklärt Kaiser. "Viel Fleiß, viel Talent, viel Glück - es gibt kein Rezept." Der Song müsse auch in Diskotheken gespielt werden können, ist Platten-Chef Jörg Hellwig überzeugt. Und Erfolgsautorin Kristina Bach ("Atemlos") sagt: "Der deutsche moderne Schlager ist technoid. Und Techno ist verkappte Marschmusik. Das liebt der Deutsche." Rumtata und Umpf-umpf als Erfolgsformel. Erstaunlich.
"Der Beruf der Schlagersängerin wird aussterben", prophezeit Michael Jürgens, einer der erfolgreichsten TV-Produzenten Deutschlands. Bitte? Eben haben wir Helene Fischer im Berliner Olympiastadion vor 62.000 Zuschauern gesehen. Zwei Mal ausverkauft! Und da will er uns weiß machen, dass die Fischers dieser Welt bald aussterben würde? Wie kann das sein?
Den Erfolg von Helene Fischer schaffen nur wenige
"In Schlagerland Deutschland sieht es ganz düster aus. Nur fünf Prozent der Künstler können davon leben", erklärt Ralph Siegel. Und Florian Silbereisen erläutert: "Der Schlager heute ist eben nicht mehr der Schlager von 1970. Wir müssen uns mit Events wie Musicals oder Sportveranstaltungen messen lassen." Auch dort werde eine große Show geboten.
Der Film begleitet die junge Sängerin Franziska Wiese, die in einem Jobcenter Hartz-IV-Anträge bearbeitet hat und nun Schlagersängerin werden will. Eine Managerin hat sie bereits, auch ein Plattenlabel. Doch mit der Karriere will es trotzdem nicht recht klappen. Was ihr fehlt ist der große Fernsehauftritt, um zum Durchbruch zu kommen.
"Schlager wird nicht mehr übers Radio verkauft, Schlager wird übers Fernsehen verkauft", weiß Produzent Jürgens. Deshalb verordnet er Wiese einen neuen Look. Statt Locken und Lippenstift soll sie barfuß und mit offenem Haar auftreten. Verordnete Natürlichkeit - damit eben nicht nur die Schlagerfans von der Sonnenbank mitfeiern.
In einer Welt von Netflix und Internet verhilft das Fernsehen dem Schlager zur neuen Blüte. Noch geht das gut. Mal sehen, wie lange noch.
"Schlagerland", Mittwochabend, 23.00 Uhr, ARD
Einmal atemlos bei 38 Grad, einmal klatschnass
