In der öffentlichen Diskussion rund um den Regisseur Wedel scheint die Unschuldsvermutung nicht mehr viel wert zu sein: Mit Strohmannargumenten, Killerphrasen und agitatorischer Agnosie wird eine Schweigespirale der Männerfeindlichkeit erzeugt. Verdachtsberichterstattung als Kommunikationsguerilla in welcher beleidigt und verleumdet werden darf. Da fragt man sich schon, in welcher Zeit leben wir gerade?
Dass Filmregisseur Simon Verhoeven Dieter Wedel als "Drecksack", "Scheißtypen" oder "Arschloch" diffamiert und damit eine strafbare Beleidigung begeht, ist schlimm genug. Aber Verhoeven geht weiter und behauptet in seinem öffentlichen Facebook-Beitrag, dass Wedel ein "brutaler Gewalttäter", "Vergewaltiger" und "Menschenquäler" sei.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Dass bis zu einer rechtsstaatlichen Überprüfung solcher Vorwürfe auch in unserem Kulturkreis die Unschuldsvermutung gilt, die in unserem Grundgesetz verankert und auch ein Menschenrecht ist, scheint Herrn Verhoeven nicht sonderlich zu interessieren.
Dass auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum elementaren Konzept eines Rechtsstaates gehört, scheint sowieso belanglos. Ebenso, dass in der öffentlichen Diskussion um Dieter Wedel niemand - außer den unmittelbar Beteiligten selbst - weiß, was "wirklich" passiert ist (Stichwort Aussage gegen Aussage). Wobei, auch dieses Wissen ist stark zu relativieren, denn gerade bei Anschuldigungen nach so langer Zeit, entspricht die Wahrheit nicht unbedingt immer der Wirklichkeit. Dazu muss man nicht erst an Gina-Lisa denken - die Leitfigur der sogenannten "Nein-heißt-Nein-Bewegung", die sich dann aber blöderweise als Falschbeschuldigerin erwies.
Gerade wenn es um zwei kontradiktorische Aussagen geht, ist immer Vorsicht geboten. Nicht nur, weil es sehr viele intentionale Falschbeschuldigungen gibt (Jörg Kachelmann, Andreas Türck oder Horst Arnold sind da nur die prominenten Spitzen des Eisbergs), es gibt vor allem noch viel mehr Fälle nicht intentionaler Falschbeschuldigungen, in denen das Gehirn eine andere Wahrheit schreibt, als das Auge gesehen hat.
Das ist aus gedächtnispsychologischer Sicht fast zwangsläufig so, weil schon die Wahrnehmung von Tatsachen im Erlebniszeitpunkt subjektiv ist, ferner weil bereits die erste Abspeicherung unter Anreicherung von Assoziationen erfolgt. Weil die gespeicherte Information laufend durch neue Eindrücke verändert wird. Und schließlich, weil der Abruf sowie die Verbalisierung weiteren Verfremdungsvorgängen unterliegt. Hinzu kommen kognitive Dissonanzen, Anker- und Schulterschlusseffekte sowie antizipierte Typisierungen bei den Rezipienten.
Das Gesamtprodukt der Wahrheitsermittlung mit Hilfe von Zeugenaussagen ist daher gedächtnispsychologisch höchst zweifelhaft, zumal eine genaue Inhaltsdokumentation in anachronistischer Weise fast immer fehlt.
Der Juraprofessor Klaus Volk sagt: Unsere Erinnerung verzerrt, sie beschönigt, verziert, unterdrückt, schneidet aus. Aber der Wahrheitsfindung dient es natürlich nicht. Denn, wann ist eine Aussage wahr? Wenn sie mit dem wirklichen Geschehen übereinstimmt, und nicht, wenn sie der Wahrheit des Zeugen entspricht!
Der eine sagt: "Ich will die Sache wiederhaben, denn ich bin der wahre Eigentümer!"Der andere hält dagegen, dass er der wahre Eigentümer sei, weil sie ihm gestohlen wurde. Wer muss nun beweisen, dass er der wahre Eigentümer ist? Und was, wenn sich das nicht klären lässt?
Gefährliches Halbwissen
Das ist allenfalls Aufgabe von Juristen und Sachverständigen Ermittlungen anzustellen, Aussagen auf ihren Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt zu überprüfen und gegebenenfalls Sachbeweise zu erheben, eh man zu einem Urteil kommt - soweit das nach so langer Zeit überhaupt möglich ist.
Verhoeven und wie sie alle heißen beziehen ihr gefährliches Halbwissen hingegen ausschließlich aus der Presse. Es wird aufgrund bloßer Verdachtsberichterstattung darüber geurteilt, was wirklich passiert ist. Das macht aber die Anschuldigungen mutmaßlicher Opfer nicht wahrer und die Gegenbehauptung von Dieter Wedel nicht unwahrer! Es gibt auch keinerlei neutrale Sachbeweise, die einen solch dringenden Tatverdacht gegen Wedel rechtfertigen würden, um ihn dermaßen akritisch in der breiten Öffentlichkeit vorzuverurteilen. Alle, die sie in den Massenmedien Wedel-Bashing betreiben, sind Agnostiker unseres Rechtsstaates.
Vielleicht sollte Verhoeven anstatt sich zum Großinquisitor der Hexenprozesse zu küren, lieber auf das konzentrieren, was er kann: Filme machen. Die finde ich nämlich richtig gut, so wie ich auch die Filme von Dieter Wedel richtig gut finde.
Dr. Alexander Stevens ist nicht nur spezialisierter Anwalt für Sexualstrafrecht (weit über 200 Sexualstrafverfahren pro Jahr), auch weiß der ehemalige TV-Anwalt (u.a. "Richter Alexander Hold"), wie es hinter den Kulissen von Filmproduktionen zugeht.
