Wenn man nach so langer Zeit - es sind tatsächlich sechs Jahre, ich habe es nachgeschlagen - wieder einmal beim "Supertalent" landet, ist das so ein bisschen wie der letzte Tag der großen Ferien. Halt, Stop, denkt man torschlusspanisch. Alles vorbei? Wirklich? Jetzt geht es wieder los? Verdammich. Man hätte die Zeit davor doch viel bewusster verbringen sollen. Ein gutes Buch lesen, Bergman-Filme gucken, Platten sortieren. Nichts da. Jetzt gilt es. Und wie schnell man doch wieder drin ist. Gut, da und dort scheint am Bühnenbild etwas renoviert worden zu sein und die Dame in der Mitte ist augenscheinlich nicht die Ex von Rafi van der Vaart. Aber sonst - fast alles beim Alten.
Und mit dem Softlaunch von Tauri und Jaan fällt der Einstieg leicht. Die beiden Esten machen Slackline-Akrobatik und liegen mit ihrer Nummer ein gutes Stück über dem bundesdeutschen Stadtpark-Mittel. Ceyda senkt den Altersdurchschnitt anschließend um ein weiteres gutes Stück. Die 10-Jährige ist mit dem Radl da, will hoch hinaus und muss erstmal gleich wieder absteigen.
Mantra Talking vom Meister persönlich
Als hätte die Matrix einen Moment gezuckt, entpuppt sich ausgerechnet Bohlen als einfühlsamer Fahrradflüsterer, als Mediator und Psychologe. Mantra Talking vom Meister persönlich - und wie von Geisterhand geleitet, zieht die Gymnasiastin aus Friedrichshafen plötzlich durch, wackelt hier mal leicht, lässt dort ein wenig mitzittern, steht die Nummer aber durch und lässt sich vom Applaus und der Knopfdruck-Triade in die nächste Runde tragen. Dahin folgt ihr der wackere Giancarlo, der aus seinem kreisrunden Haarausfall nicht nur einen filmreifen Haarschnitt improvisiert hat, sondern zeigt, dass man die Hänseleien der Schuldeppen auch einfach mal wegtanzen kann.
Der biegende Holländer Paul, ein Sixpack auf zwei Beinen, tanzt nicht, sondern stemmt, stützt, windet und wendet sich - alles mit der Kraft seiner Hände. Breakdance hat er probiert, beim Ein-Hand-Hebeln ist er gelandet - fast ein wenig unwirklich, das Auge sucht nach den versteckten Fäden, aber nichts ist davon zu sehen. Und doch ist dies nur das Vorspiel zum viel zu frühen Höhepunkt der Sendung.
Ausdruckstanz aus der Zwischenwelt
Guido - mit Betonung auf dem U - kommt aus Wien und hat, auch wenn man es ihm bis zum vorschnellen Ende seiner Darbietung in keinem Moment anmerkt, einiges an Fernseherfahrung. In seiner TV-Sendung "Guido sucht das Glück" spricht der Mann mit der Augenbraue von Groucho Marx am Kinn mit pinkgefärbten Callcenter-Empfangsdamen über den Erosfaktor - feucht, süß, rot - von Wassermelonen. Sein Pech, dass er keinen Bauernhof hat. Hierzulande würde man ihn auf einem Spanferkel zum Kennenlern-Stammeln in einen geschmückten Kuhstall reiten lassen. So aber muss er weiter "nach seinem Lebensinhalt suchen".
Ein paar Schritte auf die Bühne gestolpert, dazu der Blick in den Augen von Bruce Darnell - man ahnt schnell, dass es mit der Sinnfindung von Guido auch hier nichts wird. Dabei ist seine, nennen wir es der Form halber Performance, durchaus leiwand. Das ist Ausdruckstanz aus der Zwischenwelt. Würde Bob Ross statt zu malen Pogo tanzen - ungefähr so könnte es aussehen. Und als man drauf und dran ist, zu Hause ein, zwei Figuren dieser Choreographie aus der Tanzschulen-Vorhölle nachzustellen, ist der Spaß schon wieder vorbei, hat das Jury-Trio das Wiener Würstchen im goldenen Höschen wieder nach Hause geschickt. Scho’ schad’!
"Das Supertalent": Harzer Käse unterm Jurypult
Team Recycled baut anschließend mit wirbelnden Leuchtstäbchen berühmte Filmszenen nach und während man noch versucht, sich vorzustellen, wie man auf so eine Idee kommt, zeigt Pausen-Moderator Daniel Hartwich, der einen Werbeblock ganz programmatisch mit Alkohol im Arm einläutet, dass merkwürdige Ideen hier alles andere als Bückware sind. Der Mann mit der Brille versteckt doch tatsächlich ein Stück Harzer Käse unterm Jurypult - so zynisch muss man erstmal mit dem eigenen Produkt umgehen. Mal gucken, was die Dödel sagen, wenn es hier müffelt - das ist Teamspirit, in der Redaktion möchte man nicht müde überm Zaun baumeln.

Und die übelriechende Rechnung geht auf. "Da hat doch einer gefurzt?" pöbelt Bohlen und einen Moment lang gehen die Gedanken kurz Richtung Naddel. "Vielleicht sind es meine Haare?" mutmaßt die opferbereite Frau Swarowski, um sofort Bohlen-gebasht zu werden: "Deine Haare riechen doch nicht nach Scheiße, oder?“ Ach, du wunderbarer Samstagabend - Käse unterm Pult, Furzdampf im Haar, könnte es schöner sein? Und was dem Cantz im Ersten sein Blackfacing, das ist der guten Alkeda ihr Burkafasching.
Pointenbefreite Standup-Comedy
In der Ganzkörper-Kabine kommt die Albanerin auf die Bühne geschwebt, lässt den Vorhang dann aber fallen, um sich an pointenbefreiter Standup-Comedy zu versuchen und die zumindest mal Bohlen anfassen möchte, bevor sie den verdienten Weg nach Hause antritt. Dahin folgt ihr auch die aufgebretzelte Zoe L’Amore, deren funkensprühender Mix aus Hagebau-Markt und Turbojugend-Tagen zumindest beim Bohlen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Zum Abschluss schließlich noch das obere und untere Ende der gesanglichen Fahnenstange: Die 28-jährige Angel hatte sich schon bei "DSDS" erfolglos warmgesungen, diesmal wird sie direkt ins Finale gebuzzert. Eine Veranstaltung, die das Tina-Turner-Double Emiliana auf dem heimischen Sofa wird verfolgen dürfen. Zum Grande Finale stehen Bohlen und Darnell schließlich, beide mit Perücken auf dem Kopf, auf der Bühne und luftgitarrisieren zum Playback von "You’re my Heart, You’re my Soul". Was wird in dieser Sendung gesucht? - hatte eine Frage im Quizbreak im gelautet. A. Die Supernasen oder B. Das Supertalent? Ich schicke zuversichtlich eine SMS mit dem Buchstaben A an RTL und freue mich auf sechs Jahre Pause.