Interview zum verschobenen "Tatort" "Die Leute sind überempfindlich"

Der "Tatort" "Schatten der Angst" ist im Februar nach einem Hausbrand mit neun türkischen Toten verschoben worden. Am Sonntag wird der Krimi, in dessen Mittelpunkt eine Migrantenfamilie steht, nun ausgestrahlt. Der Sprecher des Türkischen Bundes sagt im stern.de, was er davon hält.

"Ich glaube, dass es zur Demokratie gehört, dass wir besonders auf Randgruppen Rücksicht nehmen." Mit diesen Worten hat ARD-Chefredakteur Thomas Baumann im Februar die Verschiebung des "Tatorts" "Schatten der Angst" begründet. In dem Sonntagskrimi ermittelt Kommissarin Lena Odenthal in einem Mordfall in einer türkischen Familie in Ludwigshafen. Nachdem in der Stadt ganz real ein Haus brannte und neun türkische Bewohner starben, wurde der Film vorerst aus dem Programm genommen.

Zwei Monate später wird er nun an diesem Sonntag gesendet. Safter Çinar, Sprecher des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg, hat ihn schon gesehen.

Sind Sie wütend über den Film?

Überhaupt nicht. Auch wenn ich wahrscheinlich unter Migranten mit dieser Meinung in der Minderheit bin. Schauen Sie sich doch US-Serien an, wie da die Lateinamerikaner dargestellt werden. In den USA gibt es gut organisierte Anti-Diskriminierungsorganisationen, die regen sich nicht dauernd auf. Wir müssen in Deutschland mit unserer Befindlichkeit zur Normalität finden. Natürlich hat diese Befindlichkeit mit der allgemeinen Diskussion zu tun: So lange Politik und Gesellschaft uns nicht als vollständige Mitglieder ansehen, bleiben die Menschen sehr sensibel. Für mich ist dieser "Tatort" ein normaler Krimi, sogar ein gut gemachter. Mal sind die Reichen die Bösen, mal die Priester, und mal sind es eben die Migranten. Ich kann mir aber denken, dass es Leute gibt, die Probleme damit haben. Die Medien erwecken teilweise den Eindruck, dass türkische Familienväter nichts anderes tun, als den ganzen Tag Frau und Kinder zu schlagen.

Ist er also nicht zu Recht abgesetzt worden?

Die Absetzung hatte damit zu tun, dass der Film in Ludwigshafen spielt. Es lag also nicht am Inhalt des Films, sondern am Ort. Ich hätte solch eine Forderung nicht gestellt, aber die Reaktion fand ich löblich. Diese Sensibilität würden wir uns sonst auch erhoffen. Es war eine gute Geste in Zeiten aufgeheizter Stimmung.

Safter Çinar

1967 kam Safter Çinar zum Studium nach Deutschland und ist geblieben. Er hat sich früh politisch engagiert, war 1989 als Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft der erste türkischstämmige Vorsitzende einer Gewerkschaft in Deutschland. Er ist Gründungsmitglied der Türkischen Gemeinde sowie Gründungsmitglied und Sprecher des türkischen Bundes in Berlin Brandenburg. 2005 wurde ihm für sein außergewöhnliches Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Sie würden Freunden also nicht davon abraten, den Film zu sehen?

Auf jeden Fall sollen sie ihn sehen, damit sie wissen, worüber sie diskutieren. "Wut" wurde damals schon kritisiert, bevor die Leute ihn gesehen haben. Der Aleviten-Film ("Wem Ehre gebührt") war wiederum heikel. Die Drehbuchautorin hätte wissen müssen, dass Aleviten in der Türkei seit hunderten von Jahren unter dem absurden Verdacht des Inzests leiden müssen. Das ist für die wirklich ein Problem. Da hätte man Rücksicht nehmen sollen.

Kann solch ein Film das Verhältnis von Deutschen und Türken denn überhaupt beeinflussen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Film jemanden so sehr beeinflusst, dass er seine Einstellung gegenüber anderen Menschen ändert. Einzelne Idioten gibt es überall, aber das kann man nicht auf den Film schieben. Früher waren immer die Reichen die Bösen, und das hat auch nicht zum Klassenkampf geführt, sage ich jetzt mal aus dem hohlen Bauch heraus. Ein Kritikpunkt wäre allerdings, dass die Medien zu wenig über positive Entwicklungen in der Integration berichten. Das kann man schon sagen, auch wenn man es nicht an einen Film hängen sollte.

Fühlen Sie sich durch diese Diskussion bevormundet? Man sollte doch davon ausgehen, dass Menschen zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können.

Obwohl der Inhalt es nicht hergibt, war die Verschiebung eine gute Geste. Wie gesagt: So viel Sensibilität hätte ich nicht erwartet. Aber eigentlich müssen wir dahin kommen, dass solche Filme gar nicht erst zu solchen Diskussionen führen.

Wie viel Realität ist in dem Film?

Ein Film muss nicht Realität sein, es ist eben ein Film. Aber wie gesagt, die Leute sind überempfindlich. Diese Geschichte ist eine mögliche Realität. Es wäre auch real, wenn der Junge seine Schwester am Ende erschossen hätte, wie wir leider immer wieder erfahren müssen. Ich habe nichts entdeckt, wo ich dachte, das geht aber gar nicht. Die Darstellung der Familie ist fast moderat, es kann härter aussehen.

Beobachten Sie eine positive Entwicklung in den realen Familien?

Jein. Es ist ein ökonomisches, soziales und psychologisches Problem. Es gibt keine Mitte mehr. Die einen sind modern und aufgeschlossen, der andere Teil zieht sich zunehmend zurück, konserviert einen Lebensstil, den es im Ursprungsland schon gar nicht mehr gibt. Die Diskussionen der vergangenen Jahre zeigen, dass der Rückzug auf Traditionen zunimmt. Die Leute fühlen sich einfach nicht akzeptiert. Es liegt bei der Politik, dafür zu sorgen, dass sich das ändert.

Sehen Sie das in naher Zukunft?

Nach den vergangenen zwei Jahren habe ich wenig Hoffnung! Es hatte ja gut angefangen mit Frau Merkel und dem Integrationsgipfel, doch nun scheint so viel Porzellan zerschlagen wie nur möglich. Früher habe ich gedacht, sie wollen es nicht kapieren, heute denke ich, sie können es nicht. In den Gesetzen geht es nicht um Chancengleichheit, sondern darum, was der Migrant alles tun muss, und wenn er es nicht tut, gibt es was auf den Deckel. Es geht nicht um Sprachkenntnisse, es ist ein psychologisches Problem. Der Mehrheit wird vermittelt: Die wollen nicht. Der Minderheit wird vermittelt: Wir akzeptieren euch nicht. Die Atmosphäre ist im Moment wirklich schlecht.

"Tatort: Schatten der Angst" läuft am 6. April um 20:15 Uhr in der ARD

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