Mike Krüger im stern-Interview "Schläge waren an der Tagesordnung"

Von Kester Schlenz
Er ist einer der dienstältesten und erfolgreichsten Komiker des Landes. Aber seine Kindheit war hart: Mike Krüger über Gewaltexzesse in einem Internat, den frühen Tod seiner Mutter und seine große Liebe Birgit.

Herr Krüger, Frühgeburt in Ulm, 6 Monate im Brutkasten, halbseitig gelähmt. Es ging nicht gut los mit Ihnen am 14.12.1951.
Das war wirklich ein klassischer Fehlstart. Meine Eltern waren auf Reisen. Ich kam zwei Monate zu früh und habe wohl nur überlebt, weil es in Ulm eine gut ausgestattete Kinderklinik gab. 

Ihre Mutter starb unter mysteriösen Umständen in einem Pariser Hotelzimmer, als Sie drei Jahre alt waren. Was wissen Sie darüber?
Wenig. Man hat mir damals nichts gesagt, nichts erklärt. Ich wusste nur, dass es etwas wirklich Schlimmes passiert war. Mein Vater hat immer extrem abgeblockt. Er mochte darüber nicht reden. Auch später. Meine Mutter ist vermutlich auf einer Reise an einem Herzinfarkt gestorben. Dass das in Paris geschah, habe ich aber erst nach seinem Tod in seinen Unterlagen entdeckt. Da war ich 40.

Was genau fanden Sie?
Ich sah die Papiere meines Vaters durch und hielt auf einmal den Totenschein meiner Mutter in der Hand. In Paris ausgestellt. Das war ein gespenstischer und bedrückender Moment. Da kam einiges wieder hoch.

Wie war das? Die Mutter zu verlieren und nichts darüber zu erfahren?
Quälend. Ich wusste ja nicht, was wirklich los ist. Etwas Wichtiges war weg. Und keiner kümmerte sich richtig um mich. Ich habe darauf mit Aggressivität reagiert. Ich wurde das, was man ein schwieriges Kind nennt. Es hat auch nicht wirklich geholfen, dass mein Vater dann nach einem halben Jahr seine Sekretärin heiratete und beide dann ein Kind bekamen, meine Stiefschwester. Ich habe dann vor allem gestört.

Sie waren ein einsames Kind.
Ja,  das war ich. Mein Vater war Direktor einer Wohnungsbaugesellschaft in Hamburg. Dem war es wichtiger, Deutschland wieder aufzubauen. Er wurde morgens von seinem Chauffeur mit dem Wagen abgeholt und war dann weg. Er hat sein schlechtes Gewissen ab und an mit Geschenken beruhigt. Einmal bekam ich ein Rennrad. Ich war dann nur noch unterwegs damit.

Vor allem zu Ihrer Tante Minna und Ihrem Onkel Gustav. Die beiden waren ja sozusagen Ihre Rettung.
Absolut. Dort bekam ich ein bisschen Wärme und Zuwendung. Die beiden wohnten in einer kleinen, ärmlichen Siedlung in einer Wellblechhütte weit draußen. Aber ich fand´s klasse. Gustav hat mir mal ein Blasrohr gebaut, und bei Minna konnte ich immer ein bisschen kuscheln. Ich weiß nicht, was ich ohne die beiden gemacht hätte.

Aber diese kleinen Fluchten hörten dann auch auf...
Ja, als ich zehn war wurde ich von zuhause entfernt und in ein Internat in Norddeutschland gesteckt.

Ein wahres Horror-Haus mit brutalem Gruppendruck und einem zeitweiligen Dasein als beinahe leibeigener Diener eines älteren Schülers. Was war dort das Schlimmste?
Dass ich einer von den Kleinen war. Man ist dann vor allem Opfer. Die Älteren machen praktisch mit dir, was sie wollen. Schläge waren an der Tagesordnung.

Sie schildern ein Bestrafungs-Ritual - die Prügelgasse.
Wenn irgendeiner in den Augen der Älteren Mist gebaut hatte, wurde eine Vollversammlung einberufen und Strafen beschlossen. Die Höchststrafe war die so genannte Prügelgasse. Die 42 Insassen stellten sich parallel in zwei Reihen auf, und der Verurteilte musste einmal dazwischen durchlaufen. Und alle schlugen zu. Das endete dann meist für das Opfer im Krankenzimmer des Internats.

Mussten Sie auch mal da durch?
Nein, aber es hat mir gereicht, das zum ersten Mal mit anzusehen. Ich habe von da an nur noch versucht, möglichst unauffällig durch den Tag zu kommen. Später hatte ich dann einen älteren Beschützer. Aber der tat das nicht aus Freundschaft. Ich war so eine Art Diener für ihn, musste seine Schuhe putzen, Einkäufe erledigen und so was. Und er sorgte dann dafür, dass ich nicht schon von den Zwölfjährigen verprügelt wurde.

Warum griffen die Erzieher bei diesen ganzen Gewaltexzessen nicht ein?
Ich denke, die wollten das nicht sehen. Außerdem schlugen sie selber. Das Erschütternste ist für mich bis heute, dass die Eltern das damals ausdrücklich erlaubten. Sie unterschrieben, dass ihre Kinder auch körperlich gezüchtigt werden durften.

Wenn man sich Ihre Kindheit betrachtet und Ihre spätere Karriere, dann drängt sich das Klischee vom traurigen Clown ja förmlich auf.
Ist auch was dran. Witzig zu sein, war auch eine Überlebensstrategie für mich. Ich habe im Internat und in der Schule schnell gemerkt, dass die Leute einen mögen, wenn man einen guten Gag drauf hat. Und dass das im Zweifel auch sympathischer ist, als andere zweimal am Tag zusammenzuschlagen. Irgendwann hatte ich viele Freunde, die dann auch auf mich aufgepasst haben.

Andere machen wegen einer solchen Kindheit später eine Therapie. Haben Sie sich professioneller Hilfe gesucht?
Nein, ich denke, das habe ich zusammen mit meiner Frau Birgit aufgearbeitet. Sie hatten auch keine sehr prickelnde Kindheit. Da haben sich zwei Menschen getroffen, die beide Einsamkeit kannten. Wir haben uns gegenseitig Halt gegeben und viel geredet.

Aber bevor Sie Birgit kennenlernten, trafen Sie ein Mädchen namens Roger, Ihre erste Liebe. Die hat Sie ja auch sofort zu Ihrem ersten Gedicht animiert...
Ja, meine lyrische Seite erwachte. Der Vers ging so: "Im Bett lief flottes Petting - Und im Radio Otis Redding."

Sie entdeckten dann bald ihre Liebe zu Musik und gründeten als Jugendlicher Ihre erste eigene Band. Und bei einem Konzert traf es sie dann wie ein Blitz: Birgit!
Ich sah sie im Publikum und war sofort hin und weg. Ich bin nach dem Auftritt hin zu ihr und wollte den lockeren Musiker geben. Aber stattdessen sagte ich: "Hallo, rauchst du auch?" Sie sagte "Nein" und ging. Und ich dachte: Mike, du bist wirklich der größte Aufreißer der Welt.

Geheiratet haben Sie Birgit trotzdem.
Ja, ich ließ nicht locker, und wir haben dann beide schnell gemerkt, dass wir uns gesucht und gefunden hatten. Das ist jetzt 45 Jahre her. Und wir sind immer noch glücklich miteinander. Und vor allem weiß ich genau: Sie meinte mich und nicht mein Geld. Denn damals hatte ich keins.


Sie sind in Hamburg in einem Club namens "Danny's Pan" entdeckt worden.
Ich studierte damals Architektur und verdiente mir dort ein bisschen Geld dazu. Mit dem Nachsingen bekannter Songs, aber ich streute auch eigene Gags und Parodien ein. Und der Besitzer und ich merkten schnell, dass die Leute die lustigen Sachen besonders mögen. So entstand nach und nach mein erstes Programm. Und irgendwann saß jemand von einer Plattenfirma mit im Publikum und dachte sich: Das kann man doch mal versuchen.

Ihr erster Plattenvertrag brachte Ihnen dann aber auch gleich einen Manager ein, der sie mächtig über den Tisch gezogen hat.
Aber so was von mächtig. Es war der damalige Besitzer des "Danny's Pan". Über den lief der Kontakt mit der Plattenfirma. Ich unterschrieb den Vertrag, den er mir hinlegte, einfach so. Er bekam von da an 50 Prozent von all meinen Einnahmen. Drei Jahre lang. Ich nannte ihn Castor, weil er immer so gestrahlt hatte, wenn er mich sah. 

"Mein Gott Walter" hieß ihre erste Platte, und als die fertig eingespielt war, sind Sie erst mal vier Wochen mit Ihrer Frau in Urlaub gefahren. Und als sie zurückkamen, waren sie plötzlich ein Star.
Es war unfassbar. Ich weiß bis heute nicht, warum "Mein Gott, Walter" so ein Erfolg wurde. Ein musikalisch dürftiger Song über einen Looser, der von einem langhaarigen Typen mit einer fast genau so langen Nase gesungen wurde. Aber es wurde ein Nummer-1-Hit. Ich hatte einen Nerv getroffen. Die Leute wollten lachen. Auch über sich selbst und ihre Unzulänglichkeiten.


Sie durften dann sofort in Ilja Richters Show "Disco" auftreten. Damals ein Ritterschlag. Die Sendung gucken im Schnitt 15 Millionen Zuschauer. Sie wurden auf einen Schlag bundesweit bekannt. Kamen Sie klar mit dem Erfolg?
Ja, vor allem dank Birgit. Sie ist ja gelernte Kauffrau. Als ich die erste Abrechnung der Plattenfirma bekam, dachte ich: Krüger - ausgesorgt. Dann nahm sie mir den Zettel aus der Hand und sagte: So und davon darfst du jetzt 50 Prozent an den Staat zahlen. Das nennt man Steuer. Ich war fix und fertig. Ich hätte gedacht, das wären höchstens zehn Prozent.

Man hat nach der Lektüre Ihres Buches den Eindruck, dass damals im Showgeschäft, insbesondere in der Musikbranche, unfassbar gesoffen wurde.
So war es auch. Alkohol war immer dabei. Heute stehen bei morgendlichen Konferenzen bei Plattenfirmen oder TV-Sendern sechs Sorten Mineralwasser auf dem Tisch, damals stand da die ganze Palette: Bier, Wein, Champagner, Whisky.

Beeindruckt war der "Schaubuden-Bagger".
Ja, den hat ein Redakteur erfunden, der bei dieser TV-Sendung arbeitete. Er wollte den damals beliebten Likör Fernet Branca geschmacklich abrunden und hat den in einer großen Schale mit Kirschwasser, Wodka und Champagner aufgefüllt. Carlo von Tiedemann hat mal vier geschafft. Das war Rekord. Ich wollte den in der Bar des Schweizer Hofs in Berlin brechen. Die wurde Todeszelle genannt. Es ist mir nicht gelungen.

Verharmlosen Sie das Saufen nicht ein bisschen?
Ich erzähle, wie es war. Gesund war das sicher nicht. Muss auch keiner nachmachen. Aber es war eben auch sehr lustig.

1979 ist dann ihre Tochter Nina geboren worden.
Inmitten der legendären Schnee-Katastrophe. Es galt ein absolutes Fahrverbot. Ich konnten sie und ihre Mutter nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Landesregierung aus dem Krankenhaus nach Hause holen. Ich hatte da einen Fan im Innenministerium.

Was bedeutet Ihnen Ihre Tochter?
Sie ist der wichtigste Mensch für mich. Gerade auch im Hinblick auf meine eigene Kindheit. Wir haben ein sehr inniges Verhältnis.

Herr Krüger, irgendwas passt da nicht zusammen. Sie erzählen, wie wichtig Ihnen Ihre Familie ist. Und dann sind Sie etliche Jahre so gut wie nie zuhause gewesen. Einmal hatten Sie fast 298 Reisetage. Das klingt nicht nach einem gemütlichen Familienleben. 
Das stimmt. Ich hätte mehr zuhause sein sollen. Aber meine Frau ist ja auch meine Managerin. Wir beide sind die "Firma Mike Krüger" und haben das zusammen entschieden. Wir wussten ja nicht, wie lange das noch geht mit dem Erfolg. Und irgendwann ist man drin in der Mühle.

Sie sind ja auch Filmstar als "Supernase" und dazu ein bekanntes Werbegesicht geworden: Kaffee, Baumärkte, Galas in Möbelparks - sind Sie eigentlich vor nichts zurückgeschreckt?
Hätte ich Werbung für Schönheitscreme machen sollen? Für mich muss auch Werbung glaubwürdig sein, damit sie funktioniert. Ich habe einen Gesellenbrief als Betonbauer. Den habe ich zwischen Schule und Studium gemacht. Ich kenne mich aus auf dem Bau. Und deshalb passt das.

Sie berichten mit einigem Stolz von Ihren Erfolgen und den Dingen, die Sie  hinbekommen haben. Gab es nicht auch Misserfolge? Zweifel? Trotz allem nicht gelebte Träume?
Nicht gelebte Träume ist lustig. Ich hätte mir nie träumen lassen, es mal so weit zu bringen. Klar, ist auch mal was daneben gegangen. Das erzähle ich ja auch in meinem Buch. Aber, wie Sie ja eben selber festgestellt haben: Ich habe immer sehr viel gemacht. Wenn mal was nicht lief, hatte ich schon die nächste Sache am Wickel.

Sie sind jetzt 63. Was kommt noch?
Herr und Frau Krüger machen jetzt erst mal viel Urlaub. Hatten wir schon darüber gesprochen, dass ich ja früher selten zuhause war?

Mike Krügers Autobiografie "Mein Gott, Walther" ist am 5. Oktober im Piper Verlag erschienen.

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