Frau Slomka, es gibt Menschen, die wollen Sie abschaffen.
Bitte?
Die wollen das System des öffentlich-rechtlichen Fernsehens abschaffen. Was sagen Sie dazu?
Ich glaube, dass das ein großer Fehler wäre. Dann hätten wir eine andere Medienwelt. Und ganz sicher keine bessere.
Sie gelten als kritische Journalistin und TV-Moderatorin, soeben wurden Sie mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Trifft Sie dieses Schlechtmachen von ARD und ZDF auch persönlich?
Manchmal finde ich das schmerzhaft, ja. Weil die Kritik oft sehr aggressiv formuliert wird. Mich schmerzt auch, wenn Journalismus generell verachtet wird und es heißt: "Wozu brauche ich die überhaupt? Meine Infos hole ich mir aus dem Netz."
Kann man ja zum Teil auch.
Aber was sind das für Informationen? Sind die seriös? Woher stammen sie und von wem? Um das zu prüfen, brauchen Sie professionelle Analyse, Korrespondentennetze, Kontakte vor Ort. Sie müssen Quellen hinterfragen, auswählen, einordnen. Das können Sie als einzelner Bürger gar nicht leisten. Und die Fülle öffentlich-rechtlicher Informationssendungen können private Sender nicht bieten.
Eine Pauschale von 17,50 Euro im Monat – nicht nur AfD-Wähler sehen darin eine "Zwangsabgabe".
Klar, das ist nicht schön, jeden Monat zur Kasse gebeten zu werden. Alternative wäre, wenn wir aus Steuermitteln finanziert würden wie viele andere Institutionen auch, ohne dass der einzelne Bürger berechnen kann, wie viel ihn das selbst kostet. Aber dann müsste der Intendant des ZDF mit der jeweiligen Regierung verhandeln, wie viel Geld wir bekommen. Das wäre das Ende der Unabhängigkeit.
Jetzt aber mal zur besten TV-Moderatorin Deutschlands.
Oh je ...!
Was ist Ihr Trick für die erste Frage?
Tricks habe ich nicht, aber die erste Frage ist natürlich wichtig. Die muss sitzen. Es ist die einzige, die ich vorher ausformuliere. Danach reagiere ich spontan und hab dafür nur noch Stichworte auf dem Zettel.

Wie fanden Sie unsere?
Na ja, der Überraschungseffekt war okay. Blöd ist nur, wenn der andere überlegen muss, wie es gemeint ist.
Also haben wir es versemmelt.
Wir sagen im Fernsehen bei der ersten Abnahme gern: Da war aber schon viel Schönes drin!
Das letzte Slomka-Interview, das Aufmerksamkeit erregte, führten Sie mit der neuen Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär. Wie schafften Sie es, die CSU-Politikerin so in Fahrt zu bringen, dass sie plötzlich von "Flugtaxis" sprach?
Ich glaube nicht, dass Frau Bär mich brauchte, um in Fahrt zu sein! Ich wollte wissen, warum der Breitbandausbau für schnelles Internet so schleppend läuft, sie wollte stattdessen lieber über Zukunftsvisionen sprechen, etwa über Flugtaxis. Auch interessant, aber ich wollte gerne in der Gegenwart bleiben. Das wirkte dann etwas schräg, wie wir in unterschiedlichen Zeitzonen verharrten.
Der Eindruck war, dass Sie von einer professionell unterdrückten, doch spürbaren Fassungslosigkeit gepeinigt wurden.
Das ist Ihr Eindruck. Mich fassungslos zu machen ist inzwischen auch nicht mehr ganz einfach. Ich war höchstens etwas erstaunt, mit welchem Tempo ich von den aktuellen Problemen des Netzausbaus weggeführt werden sollte. Aber ich find's gut, wenn Politiker dazu beitragen, dass Interviews lebhaft werden.
Die Publizistin Beate Wedekind nannte Sie nach dem Bär-Gespräch auf Facebook "stutenbissig". Viele stimmten ihr zu. Was sagen Sie dazu?
Was für ein Quatsch! Mich interessiert nicht, ob ich einen Mann oder eine Frau vor mir habe. Ich frage hartnäckig nach, wenn ich das Gefühl habe, dass jemand ausweicht oder die Frage nicht beantwortet. Aber mir weibliche Zickigkeit zu unterstellen, wenn ich das bei einer Frau mache, ist im Jahr 2018 nur noch ermüdend.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie manchmal allein durch Ihren Augenaufschlag provozieren?
Ich bin sehr konzentriert bei solchen Gesprächen und beobachte mich nicht selbst dabei. Aber wenn man in Großaufnahme im Fernsehen zu sehen ist, darf man sich nicht beschweren, wenn die Leute einen anschauen und das, was sie sehen, interpretieren. Ich selbst will eigentlich nicht durch Mimik werten.
Viele empfinden Ihre Fragen dennoch als belehrend und ironisch im Grundton. Woran liegt das?
Ironisch bin ich auch manchmal. Warum denn auch nicht? Das "Heute-Journal" ist ja keine Informationsabfrage-Sendung. Die grundsätzliche Nachrichtenlage ist häufig schon klar. Wir müssen die Themen weiterdrehen, einen Minister fragen, warum er so oder so entschieden hat, welche Kritik es gibt und wie er damit umgeht. Das zeichnet unsere Sendung ja auch aus.

Muss man Politiker jagen?
Ach, dieser AfD-Begriff. Natürlich nicht! Gejagt werden sollte niemand. Im Übrigen kommen Politiker ja freiwillig zu uns in die Sendung und stellen sich kritischen Fragen. Das ist bekanntlich nicht in jedem Land so. Wir können stolz auf diese Diskussionskultur sein.
Horst Seehofer beschwerte sich einmal beim ZDF-Intendanten über ein Slomka-Interview mit Sigmar Gabriel. Das muss man erst mal schaffen!
Ja, das war interessant. "Willkommen in der großen Koalition", habe ich damals zu meinen Kollegen gesagt. Wäre die CDU/CSU in der Opposition gewesen, hätte sich Herr Seehofer wohl kaum für Herrn Gabriel starkgemacht. Glaube ich zumindest. Aber man kann ja nie wissen.
Hat mal jemand "blöde Kuh" gesagt, als die Kamera aus war?
Nein, jedenfalls noch nie, solange ich mithören konnte. Joschka Fischer war mal etwas vergnatzt und murmelte zu seinen Leuten: "Die wollte mich grillen." Aber der war ja schnell mal grummelig, wenn ihn Journalisten nervten.
Trauen sich Männer in Interviews offenere, knalligere Antworten als Frauen?
Nö. Finde ich nicht. Ich finde es auch zunehmend langweilig, heute noch darauf zu achten, was Frauen in der Politik anders machen als Männer.
Manchmal wirken Ihre Gespräche wie ein Spiel. Mühle auf, Mühle zu.
Das Bild mag ich nicht. Das klingt mir zu sehr nach: Wer gewinnt? Darum geht es nicht. Es ist mehr wie ein Schachspiel mit offenem Ausgang. Der Gewinner sollte der Zuschauer sein.
Ihr Name bezeichnet – zum Verb gemacht – inzwischen eine Interview-Methode. Bald steht womöglich im Duden: "slomkan" – "entschieden nachfragen", er slomkat, sie wird geslomkat. Stolz, dass Sie Sprachgeschichte schreiben?
Ach, das finde ich lustig. Dass eine journalistische Fragetechnik mit meinem Namen verbunden wird, hätte ich mir vor 17 Jahren, als ich den Job begann, auch nicht träumen lassen.
Sie sind gefürchtet für Ihre Unterbrechungen ...
... ja, ich unterbreche manchmal. Gelegentlich auch mal zu oft. Aber entgegen anderslautenden Gerüchten mache ich das nicht gern. Das ist jedes Mal unangenehm. Nur wenn jemand seine Wahlkampftexte noch mal runterspult oder vom Thema ablenkt, dann muss ich einfach eingreifen.
Die großen Klartextredner, Steinbrück, Gabriel, Schäuble – alle weg. Traurig?
Die gehörten tatsächlich zu meinen Lieblingsgesprächspartnern. Nicht aus politischen Gründen, sondern weil mir deren Art von Schlagabtausch Spaß gemacht hat.
Was muss man beachten, wenn man Angela Merkel befragt?
Sie gibt ja leider nur selten Interviews. Deshalb hat man bei ihr schnell das Problem, dass man eine Tour d'Horizon machen will. Putin, Giftgasanschlag, Tillerson, Trump, Macron – das alles in wenigen Minuten. Man kann kaum zu einem Thema in die Tiefe gehen und nachhaken.
Haben Sie mal richtig Bammel gehabt vor einem Interview?
Ich kann mich nicht entsinnen.
?. Das tolle Fernsehinterview mit Herrn Erdogan oder Herrn Putin ...
... das muss mir erst noch einer zeigen. Ich hab noch keins gesehen. Autokraten und Diktatoren zu interviewen ist auch etwas anderes als Politiker, die im Wettbewerb um Wähler stehen und bereit sind, sich auf Diskurs einzulassen.
Wer ist das größere "Emotionsbrötchen" – Annegret Kramp-Karrenbauer oder Olaf Scholz?
Olaf Scholz legt tatsächlich großen Wert darauf, Emotionen in Interviews nicht zuzulassen. Bei der CDU-Generalsekretärin weiß ich noch nicht, wie sich das entwickelt. Auch Frau Merkel ist kein "Emotionsbrötchen" in dem Sinne, wie Martin Schulz das neulich gemeint hat.
Nicht jeder kann die große Bühne eines Fernsehinterviews gut bespielen.
Stimmt, aber es gibt Situationen, da muss man die große Bühne kraftvoll bespielen. Ich erinnere mich etwa an Merkel und Peer Steinbrück in der Finanzkrise. Das waren dramatische Tage, in denen es auf Überzeugungskraft ankam, auch in Interviews.
Wer gilt bei Nachrichtenmoderatoren als gefürchteter Gegner?
"Gegner" eh nicht.
Partner?
Ich würde lieber von einem Gegenüber sprechen.
Horst Seehofer lächelt Fragen gern aus.
Warum auch nicht! Er ist jedenfalls ein Politiker, der sich nicht an Sprechzettel hält. Bei ihm kommen natürlich enormes Selbstbewusstsein und politische Erfahrung zusammen. Aus journalistischer Sicht ein guter Gesprächspartner, huch, jetzt sag ich selber "Partner". Ein gutes Gegenüber.
2015 wurden Sie zur schönsten Nachrichten-Frau Deutschlands gewählt. Es gibt dazu ein Video im Netz, ein Sprecher erklärt, Sie hätten sich danach "extrem verändert". Gemeint war aber lediglich Ihre Frisur. Irritiert Sie diese Form der Aufmerksamkeit?
Also ich könnte da gut drauf verzichten. Ich würd schon abends die Zeit, die ich in der Maske verbringe, lieber für die Sendungsvorbereitung nutzen. Mir geht da eine halbe Stunde verloren. Das ist ein echter Wettbewerbsnachteil gegenüber meinen männlichen Kollegen. Mir wäre lieber, der optische Bereich spielte nicht so 'ne Rolle. Aber es ist nun mal Fernsehen. Ein Skispringer beklagt sich ja auch nicht, weil es im Winter kalt ist.
Komplimente sind ja auch nicht immer blöd.
Klar, ich bekomme oft auch sehr schöne. Und nicht nur über Äußerlichkeiten. Die Gesellschaft ist politisch wieder interessierter geworden, glaube ich. Inzwischen höre ich auch schon mal: Danke, Frau Slomka, wie Sie diesen Job machen! Früher hieß es öfter: Ach, Frau Slomka, Sie haben ja wirklich so blaue Augen!
Gut, dann mal gleich die Anschlussfrage: Was ist das Geheimnis Ihres Augen-Make-ups?
Weniger ist mehr.
Fernsehkameras, so heißt es, machten jeden um mindestens sieben Kilo dicker. Wie halten Sie dagegen?
Jedenfalls nicht mit bewusstem Hungern. Ich mache auch nicht groß Sport. Ich esse oft Ungesundes, wenn wir vor der Sendung überhaupt dazu kommen, etwas zu essen. Stressdiät sozusagen. Ja, stimmt, Fernsehen macht breiter. Komisch, dass das bei Männern wieder ziemlich egal ist, oder?
HD-Fernsehen sei der Schrecken für jede Moderatorin über 30. Man sähe jede Falte, heißt es. So schlimm?
Ja, das ist der Horror! HD ist gut für Natur-Dokus und Sportereignisse, aber nicht für Menschenfotografie. Mit HD sehen Sie den kleinsten Make-up-Krümel auf der Backe. Das ist auch nicht authentisch, weil Sie in natura ja normalerweise nicht mit Vergrößerungsglas und Lampe an ein Gesicht rangehen, außer Sie sind Kosmetikerin. Und wie oft hab ich schon mit zugeschwollenen Augen moderiert – wenn ich mal eine Erkältung hatte! Das lässt sich zwar wegschminken, aber seit wir in HD senden, viel, viel schwerer.
Ein Highlight Ihrer Kindheit: "Bademantel, Sofa, Schnittchen; und dann lange aufbleiben und Fernsehen gucken." Machen Sie das heute noch?
Ja, als Gemeinschaftserlebnis finde ich das immer noch schön, man sitzt zusammen und guckt und hat Schnittchen. Ich guck sowieso viel Fernsehen. Ich gehöre nicht zu den TV-Kollegen, die sagen: "Ach, ich selbst seh nur Netflix-Serien." Ich verdiene da mein Geld, und ich gucke auch viel.
Was denn?
Natürlich nur Nachrichten und Arte-Dokumentationen. Nö, Quatsch! Ich gucke auch gerne Serien.
Welche?
Gerade habe ich bis morgens um sechs "Bad Banks" in einem Rutsch durchgeguckt. Ich konnte einfach nicht aufhören. Ich fand auch super, dass das ZDF "Downton Abbey" gekauft hatte.
Sie mochten als Kind besonders gern "Dick und Doof".
Da kann ich mich auch heute noch drüber totlachen.
Sind Sie schnell zu erheitern?
Ja!
Was ist mit dem ZDF-Film "Südstadt" mit Anke Engelke?
Den habe ich natürlich auch gesehen, ich bin schließlich in der Kölner Südstadt geboren.
Eben! Wie kommen Sie da in Mainz klar?
Na ja, Mainz ist ja auch Rheinland. Nur, dass man da im Karneval "Helau" ruft und nicht "Alaaf".
Als Sie vor 17 Jahren das "Heute-Journal" übernahmen, bestanden Sie darauf: Mindestens eine Karnevalswoche frei!
Inzwischen hab ich gar nicht mehr die Kraft, so ausführlich Karneval zu feiern wie mit 30. Ich werde im nächsten Jahr schließlich 50!
Warum machen Sie sich älter? Sie sind doch erst 48.
Ach ja, stimmt. Man verliert irgendwann den Überblick. Gut, vielleicht feiere ich im nächsten Jahr wieder. Stichwort "Emotionsbrötchen".
Mal Schulsprecherin oder Klassensprecherin gewesen?
Klassensprecherin ja. Schulsprecherin nie!
Welchen Spitznamen hatten Sie damals: Slotti? Jetta?
Jetti. So nennt mich eine Freundin heute noch.
Hatten Sie mal eine politisch radikale Phase?
Nein. Radikale waren mir immer unheimlich. Meine Radikalität war, dass ich immer gern mal die entgegengesetzte Meinung vertreten habe, einfach aus Prinzip. Ich habe zum Beispiel im Konfirmandenunterricht in meiner sehr grünen und bürgerbewegten Gemeinde gesagt: Nato-Doppelbeschluss – finde ich gut. Diese Provokation hat mir Spaß gemacht.
Wenn Sie als Junge zur Welt gekommen wären: Zivildienst oder Bundeswehr?
Hm, interessante Frage. Für mich war das, ehrlich gesagt, damals gleichwertig. Im Altenheim zu helfen oder behinderten Kindern, ja, gute Sache. Aber den Bund durchzustehen wäre auch spannend gewesen, eine Herausforderung – ich hätte wahrscheinlich lange überlegt. Und die Bundeswehr nicht von vornherein ausgeschlossen.
Marietta Slomka ist nie so richtig mit dem Mainstream geschwommen, richtig?
Ich würde eher sagen: Ich hatte einen großen Widerspruchsgeist, bei Eltern, Lehrern, Vorgesetzten.
Deshalb kann man Sie sich auch nur schwer im Kampfanzug vor einem kommandierenden Spieß vorstellen.
Ja, das stimmt. Mit Angebrülltwerden und Hacken-Zusammenschlagen hätte ich sicher schon damals Probleme gehabt.