Die EU und die Nato sortieren sich – aber nur an der Seitenlinie des Krieges. Der Westen will Geschlossenheit und Stärke gegen Putin zeigen. Aber welche Möglichkeiten hat man, den Druck auf den Kreml-Chef noch zu erhöhen? Da beginnt die Uneinigkeit. "Krieg in der Ukraine – tut der Westen genug?" ist die Frage bei Maybrit Illner, die an diesem Abend von Marietta Slomka vertreten wird.
Wer hat diskutiert?
- Katarina Barley, SPD – Vizepräsidentin des EU-Parlamentes
- Norbert Röttgen, CDU – Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestag, von 2014 bis 2021 dort Vorsitzender
- Alexander Rodnyansky – Berater des ukrainischen Präsidentes Selenskyj
- Florence Gaub – Stellvertretende Direktorin des Europäischen Instituts für Sicherheitsstudien in Paris
- Constanze Stelzenmüller – Expertin für transatlantische Beziehungen und Sicherheitspolitik der Denkfabrik Brookings Institution in Washington, D.C.
Wie lief die Diskussion?
Es beginnt mit Durchhalteparolen und Selbstvergewisserung. "Wir müssen diesen Krieg gewinnen", sagt der ukrainische Präsidentenberater Alexander Rodnyansky. "Wir werden die besetzten Gebiet niemals aufgeben." Und CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagt: "Entscheidend ist, dass Putin nicht gewinnt". Immer wieder ist in der Runde davon die Rede, dass Druck aufgebaut werden müsse.
Aber wie?
Katarina Barley munkelt aus der EU-Perspektive, dass manche Lösungen aus gutem Grunde "nicht öffentlich" diskutiert würden und lobt ansonsten die seltene Geschlossenheit der EU in außenpolitischen Fragen. "Wir haben schon für wesentlich weniger interventiert", sagt unterdessen die Sicherheitsexpertin Constanze Stelzenmüller mit Blick auf die EU und die Nato – jetzt ist das aber ein Tabu, weil Russland eben Atomwaffen hat.
"Nicht die Bombe ist die Waffe, sondern die Angst davor", sagt Florence Gaub vom Europäischen Instituts für Sicherheitsstudien in Paris. Der Westen werde "manipuliert", so Gaub, weil Russlands Spiel mit der atomaren Angst ihn davon abhalte "härtere Grenzen" zu ziehen. Doch während Rodnyansky Putins nukleare Drohungen momentan noch eher als "Bluff" sieht, warnt Röttgen: "Je stärker Putin unter Druck gerät, desto weniger berechenbar wird er." Es gebe für Putin "keinen Rückweg" und er suche die "militärische Lösung". Der ukrainische Wille sei "nicht zu brechen", da ist sich Gaub sicher – auch nicht durch biologische oder chemische Waffen. Andererseits würde Russland seine Expansionspolitik nicht beenden, gewönne das Land den Krieg: "Das endet nicht in Kiew", so Gaub. Niemand widerspricht.
Lage der Russen besser als vermutet
Die Lage der Russen sei derzeit aber wohl eher besser als hierzulande gemeinhin vermutet, sagt Stelzenmüller, die der Ukrainer aber wohl eher schlechter. Ein Fall der Hafenstadt Odessa, über die Hälfte des Im- und Exports des Landes abgewickelt wird, könne die Lage der Ukraine massiv verschlechtern und auch Moldawien in Gefahr bringen. Rodnyansky nutzt die Gelegenheit, um massive Waffenlieferungen aus dem Westen zu fordern: Luftabwehrsysteme, Panzer, Kanonen, Munition. "Deutschland ist da zu zögerlich", sagt Röttgen, selbst Dänemark und Schweden seien freigebiger.
Gnadenlos, unbeugsam, furchtlos: der Krieg und seine vielen Gesichter

Damit droht der frühere Geheimdienstchef auch, sollten sich die USA oder die Nato in die "militärische Spezial-Operation" einmischen. Putin lehnt es zwar ab, dort von Krieg zu reden. Aber das Wort benutzt er längst selbst. Angesichts der beispiellosen internationalen Sanktionen spricht er von einem Wirtschaftskrieg, mit dem der Westen die Rohstoffgroßmacht zerstören wolle. Trotzdem zeigt sich Putin weiter siegessicher.
Sowohl der CDU-Politiker als auch Stelzenmüller und Rodnyansky machen sich für ein Öl- und Gasembargo stark: "Wir finanzieren jeden Tag die russische Kriegsmaschine", sagt Röttgen. Doch die SPD-Politikerin Barley hält das für nicht umsetzbar – allein beim Öl hänge die EU zu einem Viertel von Russland ab. Der Westen, seine Wirtschaft, sie können sich ein Energieembargo gar nicht leisten. Auch Kanzler Olaf Scholz argumentiert so. "Diese Diskussion wird nicht ehrlich geführt", so Barley. So richtig gründlich debattiert wird die Frage an diesem Abend aber leider auch nicht.

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Die Erkenntnisse
Röttgen prophezeit einen "Auszehrungskrieg" und sagt: "Eine Lösung" des Konfliktes könne nur aus Russland selbst kommen; auch Stelzenmüller sieht das so. In Gespräche setzt sie derzeit indes keine Hoffnung: "Ich sehe keine Verhandlungslösung, die stabil ist", schon gar nicht für den Machterhalt Putins. Zwar sagt Rodnyansky, man könne über einen neutralen Status der Ukraine reden, wenn es Sicherheitsgarantien gebe, über die territorale Integrität des Landes rede die Ukraine aber nicht.
Fazit
Irgendwie sind sich zwar alle einig, dass der Westen zu wenig tut. Was genau zu tun ist, wird aber auch nicht so richtig klar. Der Krieg geht derweil in seinen 30. Tag.