Netflix "Midnight Mass": Eine exzellente Grusel-Serie, die perfekt für dröge Winterabende ist

Riley Flynn (Zach Gilford) im Gespräch mit Pfarrer Paul (Hamish Linklater)
Riley Flynn (Zach Gilford) im Gespräch mit Pfarrer Paul (Hamish Linklater)
© © Netflix / Courtesy Everett Collection / Picture Alliance
Sie sind kein Fan von Horror, Blut und Zombies? Dann lesen Sie trotzdem weiter: "Midnight Mass" bei Netflix ist eine spannende, wunderbar durchdachte Serie, die vor allem auf psychologischen Grusel und das Zwischenmenschliche setzt.

Bevor wir uns groß darauf einrichten können, was uns in dieser Serie erwartet, passieren schon lauter Dinge: Ein Unfall – ein junger Mann hat betrunken ein junges Mädchen angefahren. Es stirbt an der Unfallstelle. Der reumütige Fahrer gesteht vor Gericht seine Schuld, muss ins Gefängnis. All das in den ersten paar Minuten der ersten Folge von "Midnight Mass", der neuen Grusel-Serie von Regisseur Mike Flangan ("Spuk in Hill House", "Doctor Sleeps Erwachen"). Und dann hat dieser Unsympath, der etwas Unverzeihliches verschuldet hat, nach einigen Jahren seine Strafe abgesessen. In Ermangelung von Alternativen zieht er zurück zu seinen Eltern auf die kleine Insel Crockett Island, wo jeder jeden kennt und man größtenteils noch von der Fischerei lebt. Hier beginnt die wirkliche Geschichte, und hier freunden wir uns als Zuschauer langsam damit an, dass ausgerechnet dieser Riley Flynn, der betrunken ein junges Mädchen tötete, der "Held" dieser Serie sein wird.

Genau wie Riley braucht man als Zuschauer eine Weile, um mit der dahinsiechenden Insel warm zu werden. Nur Kinder, Teenies und Ältere sind noch da – wer kann, hat sich hier aus dem Staub gemacht, sobald es ging. Nach einer Ölkatastrophe wird durch die Fischerei kaum noch Geld verdient. Die Menschen sind resigniert, mutlos, aber halten sich an ihrem Glauben fest: Die katholische Kirche St. Patrick's ist ein wichtiges Zentrum der Insel – bis auf einige Außenseiter trifft man sich hier mindestens jeden Sonntag. Das Mädchen Leeza, das nach einem fatalen Vorfall querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, kommt sogar täglich.

Katholizismus versus Kapitalismus

Nach und nach lernen wir die Inselbewohner kennen: Rileys Familie, den bodenständigen Sherrif Hassan, die selbstgefällige und fanatisch gläubige Küsterin Beverly Keane, den Trinker Joe. Und natürlich Erin Greene, Rileys Jugendliebe, die einst mit 16 von Zuhause weglief, ein wildes Leben lebte, und nun nach dem Ausbruch aus einer gewalttätigen Ehe, schwanger, nach Crockett Island zurückkam. Hier arbeitet sie als Lehrerin und wirkt, zu Rileys Erstaunen, zufrieden und angekommen auf dem Eiland, das ihr einst genauso auf die Nerven gegangen war wie ihm selbst. Es dauert nicht lange, bis die beiden sich wieder näher kommen.

Und dann ist da der neue Pfarrer: Monsignore Paul Hill. Jung, unkonventionell, sympathisch, ein begnadeter Redner. Er meint es augenscheinlich gut mit der Gemeinde, bringt frischen Wind ins Dorf und sorgt schließlich für ein waschechtes Wunder. Doch er trägt, das merkt man als Zuschauer schnell, ein Geheimnis mit sich herum. Mindestens eines. Aber was ist es? Ist der charmante Geistliche ein Bösewicht? Oder ein Heiliger? Und was ist sein Ziel mit den Menschen auf Crockett Island?

Grusel mit nur wenigen Schockmomenten

"Midnight Mass" ist eine Grusel-Serie mit einigen wenigen Schockszenen, die aber größtenteils auf psychologische Spannung und das Zwischenmenschliche setzt. Absolut ansehbar auch für Menschen, die um übliche Horrorfilme einen großen Bogen machen. Im Vergleich zu den letzten beiden Serien aus der Feder Flanagans – "Hill House" und dem eher enttäuschenden Nachfolger "Spuk in Bly Manor" – punktet diese damit, kaum je ins Kitschige abzudriften und auf unnötige Längen zu verzichten. Abgesehen von einigen verzichtbaren Monologen im letzten Drittel bleibt die Story packend und wird dicht erzählt. Wie immer lässt die Spannung nach, wenn der böse Gegenspieler bekannt ist und das Publikum sein Gesicht sehen konnte, doch "Midnight Mass" hat zu diesem Zeitpunkt so viel Konflikt zwischen den übrigen Figuren aufgebaut, dass die Geschichte quasi von selbst mitreißend bleibt bis zum bitteren Ende. Als Zuschauer bleibt man schließlich seltsam zufrieden zurück, wie es nach der letzten Episode einer Serie sonst fast nie der Fall ist.

Entscheidend für den Erfolg sind auch die Schauspielleistungen, die durchweg gut sind. Besonders Zach Gilford als wortkarger, mit sich selbst hadernder Riley Flynn und Kate Siegel (die Ehefrau des Regisseurs) als vernünftige, empathische Erin Greene tragen viel erzählerische Last auf ihren Schultern und meistern das exzellent. Ohne einen hätte "Midnight Mass" aber nur halb so gut funktioniert: Hamish Linklater als Priester Paul Hill – das ist fulminant anzusehen und zu -hören. Der 45-Jährige wirkt mitunter, als improvisiere er vor der Kamera, so charismatisch und real kommt seine Figur rüber. Für ihn dürfte diese Rolle wohl ein Sprungbrett zu größeren Projekten sein.

Insgesamt ein wirklich erfrischender Ansatz, eine Gruselserie zu erzählen, der beinahe rundum gelungen ist. Dröge Winterabende in Zeiten von Corona kann einem "Midnight Mass" jedenfalls bestens verkürzen!

Die Serie ist auf Netflix zu sehen und wird von der FSK ab 16 Jahren empfohlen.

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