Fernsehen und Serien Warum in deutschen Serien die Corona-Pandemie kaum vorkommt

  • von Gerrit-Freya Klebe
Eine Fernbedienung wird in der Hand gehalten
Auch in der Pandemie schauen viele Menschen gern Serien
© Britta Pedersen / DPA
Ein Medienwissenschaftler und eine Psychologin erklären, warum in unseren Lieblingsserien niemand eine Maske trägt und warum auch der Lockdown nicht thematisiert wird.

Menschen, die ohne Maske einkaufen gehen. Andere, die in Clubs feiern und tanzen ohne Abstandsregelung. Was in der Realität aktuell unmöglich erscheint, ist in Serien und im Fernsehen immer noch möglich. Von GZSZ bis zum Tatort: Im deutschen Fernsehen scheint es die Corona-Pandemie nicht zu geben.

Ein Tatort Anfang Dezember hieß sogar ‚Masken’, aber niemand trug Masken. Auch um den Lockdown ging es nicht. Anders sieht das in englischsprachigen Produktionen aus, in Grey’s Anatomy etwa wird die Pandemie thematisiert. Wollen wir die Realität nicht sehen und uns lieber in unsere Wohlfühlserie flüchten? Ist Corona zu gruselig – und das, obwohl doch True-Crime-Podcasts und Krimis so beliebt sind?

Eine Medienpsychologin und ein Medienwissenschaftler können das erklären.

Ist Corona zu gruselig?

„Häufig hören wir ja in diesen Tagen die Wortneuschöpfung ‚mütend’. Ein Mischung aus müde und wütend. Das beschreibt für viele die Corona-Pandemie ziemlich gut“, sagt Katrin Brinkhoff. Sie ist Psychologin mit dem Schwerpunkt Medienpsychologie.

Es sei viel Angst da und das vor unterschiedlichen Dingen. Vor Corona, vor der Impfung oder vor Isolation und einem neuen Lockdown. Für viele kommt eine starke, zunehmende Komplexität und vor allem Ambiguität, also Widersprüchlichkeit, in der Pandemie dazu.

Medienpsychologin Katrin Brinkhoff 
Medienpsychologin Katrin Brinkhoff 
© Katrin Brinkhoff 

„Das Schauen von Geschichten und vor allem von manchen Serien erzeugt hingegen ein Wohlgefühl. Bestimmte Filmstoffe fördern sogar den Dopaminfluss. Sie helfen uns dabei, das Glückshormon im Körper zu verströmen. Können dadurch sogar einen suchtartigen Effekt erzeugen.“

Ein Beispiel dafür sind Weihnachtsfilme. Sie sind ein Ritual, das Halt gibt und ein Gefühl von Geborgenheit. In der Psychologie nennt man es auch den Lagerfeuereffekt: Viele schauen das und alle können dann mitreden.

Effekte auf unseren Alltag

Es kann sogar einen Effekt auf unseren Alltag haben, wenn man abends vor dem Fernseher immer nur Leute ohne Maske sieht. „Es gibt zwei Theorien, die man hier anwenden kann“, erklärt Brinkhoff. Das eine ist die Nachahmungstheorie. Man sieht wieder Menschen ohne Maske in Alltagssituationen  – und möchte das nachahmen. Dabei kann es passieren, dass sich einige so sehr in maskenfreie Welten denken und dann vergessen, im Alltag selbst eine zu tragen.

„Das ist natürlich sehr individuell, aber solche Effekte könnte es schon geben.“ Die zweite Theorie in der Medienwirkungsforschung ist die Katharsistheorie. Die Menschen empfinden es einfach als befriedigend und wohltuend, ja als erleichternd, wenn sie andere ohne Maske sehen können. Die meisten empfinden die Maske ja als einschränkend und belastend. Fiktionale Geschichten ohne Maske werden dann als entlastend erlebt- als eine Art Stellvertretung. Psychologisch ist das dann eine Wirklichkeit, die weniger kompliziert ist.

Es kann aber auch das Gegenteil passieren: „Ich habe manchmal eine plötzliche, seltsame Irritation, wenn ich viele Menschen ohne Maske in einer Serie sehe. Ich erkläre es mir so: Wir sind inzwischen so auf die Maske im Alltag konditioniert, dass wir sie als Schutz erleben. Es ist eine neue Realität geworden. Die projizieren wir dann auf das Bewegtbild und finden sie dort nicht, und das sorgt dann für Irritation. Interessant wäre zu erforschen, wie diese neue Realität sich auf Träume auswirkt.“

Im Fernsehen und in Serien ist es aber noch nicht so weit: „Ich habe ja auch Menschen in meinem Umfeld, die in die Film-Stoffentwicklung eingebunden sind und die sagen: Es ist noch zu früh, es ist zu nah dran. Das sind Schauspielende, Produzierende und Drehbuchschreibende.

Der Wunsch nach Eskapismus

Denn eine Funktion von Geschichten und Filmen ist der Wunsch nach Eskapismus. Die Flucht aus der Realität. Vor den Masken und dem Virus. Mir tun gerade Filme gut, die in den 90ern spielen oder historische Stoffe. Damals gab es noch keine sozialen Medien, und es fühlte sich einfacher und leichter an. So wird es auch anderen gehen. Aber vermutlich hat da jeder seine eigenen Wohlfühlfilme.“

Auch Rainer Winter benennt das Motiv des Eskapismus, er ist Professor für Medien- und Kulturtheorie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt: „Es ist ein imaginärer Ausbruchsversuch. Solange wir eine Serie anschauen, kommt Corona nicht vor.“ So könne man sich von der bedrückenden Situation im Alltag distanzieren.

Medienwissenschaftler Rainer Winter
Medienwissenschaftler Rainer Winter
© Universität Klagenfurt

„In der Serienforschung heißt es, eine Serie wird dann populär, wenn sie vieldeutig angelegt ist und für jeden etwas anbietet. Sie muss unterschiedliche Personen ansprechen und relevant in ihrem Leben sein. Die Gesellschaft ist in der Pandemie, wie die sozialen Medien zeigen, aber inzwischen so gespalten, dass dies schwer wird.

Wenn eine Serie über Corona populär werden soll, muss die ganze Bandbreite an möglichen Einstellungen in der Gesellschaft gezeigt werden, eben auch Impfgegner oder die Kritik an den staatlichen Maßnahmen. Dies will man aber natürlich nicht im Fernsehen oder beim Streamingdienst zeigen. Gerade ARD und ZDF bemühen sich ja um eine einheitliche Linie. Impfen lassen und Abstand halten sind der Konsens. Da kann man nicht plötzlich Menschen in einer Serie zeigen, die alldem widersprechen.“

Dramaturgisch wäre es nicht schwer, das umzusetzen. Aber es brauche Mut von den Machern. Man würde vielleicht sehr viel Kritik ernten. Also lassen sich viele nicht darauf ein. Man könne leicht etwas falsch machen, erklärt er.

Ein anderer Grund könne laut Winter noch sein, dass die Serie von den Zuschauern unterschiedlich verstanden oder sogar falsch interpretiert werden könne. Man würde dabei in den Lockdown zurückversetzt werden. Bei bedrückenden Szenen würden dann eigene Erinnerungen an Ängste und Isolation wach.

Medien und Kunstwerke könnten helfen

Im Bereich der Unterhaltung könne man auch immer etwas anders interpretieren, als es von den Produzenten gemeint war. Werden dann Menschen gezeigt, die im Lockdown sehr isoliert waren und gelitten haben, wird vielleicht die Frage laut, ob das überhaupt gerechtfertigt war. „Ich glaube, es gibt da auf der Medienseite eine Angst, dass eine Panik und noch mehr Unbehagen bei den Menschen entstehen könnte, wenn man die Corona-Pandemie und die politische und journalistische Reaktion auf sie in all ihren Ambivalenzen und Widersprüchen darstellen würde.“

Dabei könnten Medien und Kunstwerke sogar dabei helfen, sich damit auseinanderzusetzen und mit der eigenen Situation in der Pandemie zurechtzukommen.

Winter sagt: „Ich finde, man sollte Serien und Filme dazu machen. Die Schauspieler müssen gar nicht die ganze Zeit die Maske aufhaben. Das haben wir im Alltag ja auch nicht. In bestimmten Szenen reicht es, nur die Augen zu sehen. Die schauspielerischen Möglichkeiten werden dadurch eingeschränkt, sie verschwinden aber nicht. Ich sehe eher ein anderes Problem: Eine Flucht vor der Wirklichkeit ist sowohl individuell als auch gesellschaftlich auf Dauer nicht gut. Das Virus wird nicht mehr so schnell verschwinden, wie wir zu Beginn gehofft haben.“

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