Es fing einfach schon nicht gut an. Einmal hingeguckt, zweimal die Augen gerieben, dreimal gestutzt: Wie sieht denn Gary Barlow aus? Was tanzt der denn die Bühne runter wie ein zweitklassiger Animateur auf der Aida? Kurz gegoogelt, ist ja eine interaktive Show: Barlow hat Stress mit dem Finanzamt. An seiner Stelle rückte kurzfristig Ricky Martin in die Jury. Ricky Martin. Der Latin Lover für Aquawalker und Kneippgänger. Seine Platten findet man mittlerweile nur noch in Ein-Euro-Shops. Später in der Show durfte er seinen neuen Song zur WM zum Besten geben, einen mit so Samba-Tschaka-Tschaka, so richtig originell. Da war aber auch eh schon alles egal.
Denn da hatte die Moderatorin schon zehnmal "Wow! Wow! Wow!" geschrien und zwanzigmal "Hallo Köln! Was für ein Auftakt!". Annica Hansen heißt sie, ein Ex-Playmate, erprobt in verschiedenen Scripted-Reality-Formaten und bei Stefan Raab schon mehrmals vom Zehn-Meter-Brett gesprungen. Sie klebte an ihren Moderationskarten fest wie mit Sekundenkleber, und wenn sie mal in der Zeile verrutschte oder den unüberlegten Versuch unternahm, frei zu sprechen, purzelten Hilflos-Sätze aus ihr heraus wie "Ich bin unglaublich geflasht" oder: "Ich bin wirklich ergriffen!". Dann krakeelte und johlte das Studiopublikum sogleich auf das Kommando der Vorklatscher hin und die Fans und Angehörigen der Sänger rissen ihre idiotischen Schilder hoch.
Rauskegeln der Kandidaten im Akkord
Die ganze falsche Hysterie, das permanente Selbstlob, die panische Selbstbeschwörung, wie neu und innovativ und einfach nur geil das Konzept von "Keep Your Light Shining" doch sei, konnten allerdings weder die Null-Substanz noch die Nicht-Spannung und den Anti-Charme der Show überdecken. Sie ist eine auf dem Schrottplatz der bekannten Castingformate zusammengeklaubte Zumutung. Ein bisschen Lebensschicksal, ein bisschen Fachsimpeln, ein bisschen Pampern, ein bisschen Wettbewerb. "Keep Your Light Shining" will ein Best-of des Bestehenden sein und ist doch nur eine billige Seifenkiste, die nach der ersten Runde ihren Geist aufgibt.
30 Sekunden hat jeder Kandidat pro Durchgang, um die App-Voter vor den Bildschirmen zu überzeugen. Mit jeder Runde wird der Singkreis kleiner. Es ist ein Rauskegeln im Akkord. Die neun Sänger bleiben einem so fremd wie Straßenmusiker, an denen man im Alltag meist vorbeieilt. Dagegen halfen auch die kurzen, seltsam lieblosen Einspieler nichts, die die Kandidaten vorstellen sollten.
Darin bekannte eine Maschinenbauingenieurin, dass das Singen ihre zweite Leidenschaft sei, neben dem Maschinenbau eben. Wahnsinn. Ein Postbote sagte, dass ihm sein Beruf Spaß mache, weil man da das schöne Wetter um sich habe. Bei Regen, kann das ja nur im Umkehrschluss bedeuten, trägt er keine Post aus, was einiges erklären würde. Und ein Kandidat, so ein Großer, Bäriger, der ein bisschen wie Axel Schulz aussah, nur ohne Fackelmann-Käppi, glaubte an Gott. Er nannte das die "Kraft von oben". Die half ihm irgendwann jedoch auch nicht mehr weiter.
Musikesoterischer Stuss vom Feinsten
Natürlich gab es ihn der Runde auch den "lustigen Paradiesvogel". Er hieß Paul, konnte kaum Deutsch und bekam von der Redaktion den Satz "Normal sein mag ich nicht" in den Mund gelegt. Den melancholischen Part hatte Willy, ein ehemaliger US-amerikanischer Soldat, der in Deutschland stationiert war und mit seiner Familie hier lebt, aber - Achtung Streichereinsatz - in Übersee noch einen Sohn hat, den er aus Geldmangel so gut wie nie besuchen kann. Die Geschichte brachte Willy die 50.000 Euro-Siegprämie ein. Singen konnte er auch ganz gut, aber diese ganze Castingshow-Singerei kann man nach dem fünfzigsten Cover von Katy Perry und der achtzigsten Version von Bruno Mars ja schon überhaupt gar nicht mehr hören.
Richtig rätselhaft blieb die Rolle der zweiköpfigen Jury. Sie hatte nichts zu entscheiden und noch weniger zu sagen. Ricky Martin beließ es klugerweise überwiegend beim Zahnpastalächeln und kollegialen Abklatschen. Alina Süggeler von der Band "Frida Gold" jedoch fuhr die Nena-Mieze-Katz-Schiene. Das heißt: musikesoterischer Stuss vom Feinsten. Ihre Lieblingsvokabel ist "Energie". Mal war die Energie "unglaublich", mal "überwältigend", mal "super", mal war sie im Studio, mal im Gesang. Nur durchs Gehirn wollte sie einfach nicht fließen. Annica Hansen, die Moderatorin, störte das naturgemäß nicht. Sie hielt mal wieder ihre Moderationskärtchen falsch rum und schrie völlig außer sich: "Ich bin noch begeisterter von der Show, als ich dachte!"