Meine Jagdhündin findet alles, was größer ist als eine Maus, unheimlich. Hoppelt ein Hase vor ihrer Nase über das Feld, erstarrt sie vor Schreck und dreht demonstrativ den Kopf zur Seite. Nach dem Motto "Ich sehe dich nicht, du siehst mich nicht, und wir lassen uns schön in Ruhe". Ob der spanische Hobbyjäger Lizzi mit sieben Monaten wohl deshalb herzlos aussetzte, weil sie derart aus der Art schlägt? Zugegeben, ihre Besonderheit macht mir das Leben mitten in München leichter. So kann ich sie an der Isar rennen lassen, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass sie ein Eichhörnchen interessanter findet als mich.
Doch im Frühling, wenn die ersten Schmetterlinge in den Flussauen tanzen, erwacht selbst in Lizzi das Erbe des Blutes. Wie ein Panther schleicht sich mein schwarz-weiß geflecktes Pointer-Mädchen auf der Wiese an. Ihr muskulöser Körper erstarrt. In Zeitlupe winkelt sie ihre Vorderpfote in der Luft an. Sie zeigt an. Plötzlich rennt sie los, den Zitronenfaltern hinterher, und dreht sich vor Freude um sich selbst. Oder steht stundenlang steif in den Isartümpeln, beobachtet schwanzwedelnd Babyfische und erwischt manchmal einen.
Schmetterlings- und Kaulquappenjagdhund
Lizzi entpuppt sich als Schmetterlings- und Kaulquappenjagdhund. Obwohl sich dieses Tier auf dem Sofa weit wohler fühlt als im Regen, beschleicht mich ein schlechtes Gewissen. Vielleicht braucht mein Hund mehr als nur Liebe und lange Spaziergänge? Etwas Artgerechtes? Wie wäre es also, in eine Jagdhundeausbildung hineinzuschnuppern?
Ein paar Wochen später stehen wir an einem düsteren Wintervormittag auf der Trainingswiese von Kathrin Ullrich. Die 53-Jährige führt seit fünfzehn Jahren die Hundeschule Hundsmäßig, in den grünen Hügeln von Weyarn gelegen, und bildet seit 2013 Jagdhunde für die Kreisgruppe Miesbach des Bayerischen Jagdverbandes aus. Obwohl mich Kathrin Ullrich zur Begrüßung aus warmen grünbraunen Augen freundlich anlächelt, bin ich nervös. Viel beigebracht habe ich Lizzi nämlich nicht. Warum auch? Sie kommt, wenn sie soll, ist lammfromm und benimmt sich im Café. Okay, ihr Gezerre an der Leine nervt, aber um stundenlang Fuß zu üben, bin ich zu faul.
Dank meiner Töchter beherrscht sie nur Sinnlosigkeiten wie Rolle und Give me five. Noch dazu hätte das Wetter nicht ungünstiger sein können: nasskalt und matschig. Und wenn Lizzi mit ihrem dünnen Fell eines nicht mag, dann Regen um den Gefrierpunkt. Folgerichtig wird sie sich heute nur auf ihrer Hundedecke niederlassen. Der Förster vom Silberwald würde bloß noch den Kopf schütteln. Kathrin – wir duzen uns gleich – ist verständnisvoller und überhaupt eine einfühlsame Person. Sie schlägt von sich aus vor, der zitternden Lizzi ihr Jäckchen überzuziehen. Ich fühle mich sofort wohl mit dieser großen, entspannten Frau in Outdoorklamotten und Jagdfilzhut auf dem Kopf. Auch bei Lizzi und Kathrins Deutsch-Langhaar-Rüden Finn stimmt die Chemie auf den ersten Schnüffler. Der prachtvolle braune Hund gibt heute das Vorführmodell. Sein Frauchen stellt ihn uns als "richtiges Arbeitstier" vor. Lizzi schafft es trotzdem mühelos, ihn zum Herumfetzen zu überreden.
Nachdem sich die Hunde ausgetobt haben, geht es nicht in Kathrins Revier ins nahe Reichersdorf, wir bleiben im umzäunten Trainingsgelände. Greenhorns wie wir wären im Wald zu abgelenkt. Außerdem muss ein Hund dort die Grundbefehle hundertprozentig beherrschen und braucht ein gutes Sozialverhalten. Geht gar nicht, dass er sich streitet oder herumkaspert. Kathrin sagt: "Auf der Pirsch muss mein Hund funktionieren und ruhig sein. Gleichzeitig sollte ein guter Jagdhund im nächsten Moment von null auf hundert gehen, Bringetreue haben, aufmerksam sein und gut im Team mit mir arbeiten." Den idealen Jagdhundeführer zeichnen "Ruhe, Konsequenz und Liebe" aus.
Als Jagdgespann hätten meine Hündin und ich also einen weiten Weg vor uns. Es hapert ja schon an den Basics. Deshalb übt Kathrin mit uns erst einmal den Befehl "Platz!". Ich gebe Lizzi die Order, führe dazu meine Handfläche nach unten – und erwarte totale Ignoranz. Doch Lizzi legt sich prompt hin. Zur Belohnung füttere ich sie mit Käsestückchen, leider direkt von oben aus der Hand. Klar, dass sie aufsteht, um sich das Leckerchen zu schnappen. Mein Fehler. Kathrin dagegen schmeißt der liegenden Hündin die Goodies aus ihrem Futterbeutel direkt vor die Nase. So kann sie im Liegen fressen. "Lauf jetzt mal um Lizzi herum", ordnet Kathrin an.
Slalom und Stechschritt
Bald ziehe ich immer größere Bahnen, was ebenfalls erstaunlich gut funktioniert: Die hektische Pointer-Dame bleibt am Boden, und ich lasse Manna vor ihr Schleckermaul regnen. "Sei froh, dass sie gerne frisst. Das macht die Ausbildung leichter. Außerdem ist sie sehr auf dich fixiert. Gut so!", sagt Kathrin. Nach dem Lob die lauwarme Dusche: "Geh das nächste Mal nicht einfach weg, wie du das eben gemacht hast, sondern sag: Bleib! Dabei hältst du die Handfläche hinter deinem Rücken aufrecht. So weiß sie, dass sie entspannt unten warten soll." Könnte deutlich schlechter laufen, denke ich gerade, als mich Kathrin aus meinem Höhenflug reißt. Ich soll ihr jetzt zeigen, wie ich normalerweise mit Lizzi gehe. Ach nee! An der Leine gebe ich eine absolute Witzfigur ab. Im Slalom und Stechschritt marschiere ich also um die Stangen, während mich Lizzi wie gewohnt durch die Gegend zerrt. Mal läuft sie mir rechts, mal links vor die Füße. Auf der Jagd im Unterholz hätte ich mir schon ein Bein gebrochen. Kein Wunder, dass Kathrin ruft: "Lizzi schaut nicht nach dir. Sie macht, was sie will. Du bist vorher auch einfach ohne Kommando losgestiefelt. Das wäre, wie wenn dein Mann neben dir geht, und auf einmal rupft er dich wortlos in eine andere Richtung." Stattdessen soll ich Lizzi an der Leine stimmlich bei mir halten und ihr Leckerchen geben, wenn sie nicht zieht.
Bei unserem zweiten Slalom gebe ich alles: "Lizzi, schau! So bist du fein. Ja toll!" Lizzi guckt mich ratlos an: Was hat die denn plötzlich? Immerhin schaut sie. Und bei jedem Blick schmeiße ich mit Leckereien nur so um mich. Das Ergebnis: Die Leine schlackert immerhin öfter als sonst. Zwischendurch bringt mir Kathrin Fachwissen bei. Ich lerne: Welpen, die später jagdlich geführt werden, gewöhnt man von klein auf daran, immer links an der Umhängeleine zu gehen. Auch das Futter gibt es nur aus der linken Hand. Denn Jäger sind zu neunzig Prozent Rechtsschützen. Würde ein Hund – wie meiner – beim Gehen ständig die Seite wechseln, wäre es für seinen Menschen gefährlich. Da hört für Kathrin der Spaß auf. "Mit einem Hund, der mit auf die Jagd geht, muss man konsequent sein. Der hat zu folgen, denn es kann um Leben oder Tod gehen. Wir Jäger sind verantwortlich, dass unsere Hunde nicht wildern und womöglich ein Tier verletzen. Gerade wir müssen Vorbild sein, weil wir eh schon als die bösen Bambimörder gelten." Aber klappt das in der Praxis immer reibungslos? Kathrin schüttelt den Kopf: "Auch bei Jägern nicht immer. Vor allem den sehr lieben, netten Leuten fällt das Einfordern des bedingungslosen Gehorsams schwer."
Vielleicht hat auch Lizzi ein zu großes Herz. Kathrin glaubt trotzdem, dass man ihren Jagdtrieb herauskitzeln könnte. Die Anlage zum Apportieren und den Vorstehmodus habe sie. Ob sie allerdings Wildschärfe mitbringe, also einem verletzten Tier den Gnadenbiss geben könnte, bezweifelt sie. Der Pointer sei aber ohnehin kein Allrounder, sondern ein Hund, der Rehe, Hasen oder Kaninchen nur anzeigt. Er gehöre zu den Vorstehhunden wie der Weimaraner, Deutsch Lang-, Kurz- und Drahthaar. Allerdings würden diese Rassen als Vollgebrauchsjagdhunde im Gegensatz zum Pointer und Vizsla alle Schärfegrade mitbringen, also Wild-, Raubwild- sowie Mannschärfe. In den Bergen biete sich der Bayerische Gebirgsschweißhund an. In einem Revier mit vielen Füchsen brauche man einen Bauhund mit Grundschärfe, einen Dackel oder Jack Russell Terrier. Für die Kaninchenjagd würden sich auch Windhunde eignen. "Ideal wären Meuten aus verschiedenen Rassen. Wie früher. Damals nahm der Schweißhund die Fährte auf. Dann stellten die schnellen Hunde das Wild. Zum Schluss töteten die Molosser das Tier", erzählt Kathrin.
Zeit für eine klassische Jagdübung, die Fährtensuche. Meine Trainerin markiert unseren Anschuss mit einem orangefarbenen Fähnchen. Lizzi soll von hier aus einen Sisaldummy suchen. Kathrin tritt die Beute fest in die Erde, damit sie stärker riecht. Dann läuft sie im Zickzack bis zum Ende der Hundewiese und bleibt alle paar Meter stehen, um das Sisalstück erneut mit dem Fuß in den Boden zu drücken.
Blut, Haarbüschel, Knochensplitter
Anschließend lasse ich meine Pointer-Dame die Anschussstelle beschnuppern. Kathrin führt Lizzi beim ersten Mal selbst an der Schleppleine. Ich habe keine Ahnung, ob mein Hund nur umherirrt oder Fährte aufgenommen hat. Da jauchzt Kathrin: "Suuuper! So ist es fein!" Lizzi hat sich kurz mit der Spur gekoppelt, ein paar Meter den richtigen Weg eingeschlagen und den Dummy halbwegs gefunden. Jetzt bin ich dran. Ich lege eine neue Fährte und wackle anschließend hinter Lizzi her. Ich muss sie fast auf den Dummy stoßen und bin enttäuscht. Kathrin rückt mir den Kopf zurecht: "Du kannst nicht erwarten, dass dein Grundschulkind gleich das Abi macht. Sie weiß noch nicht, dass sie der Spur nachgehen muss, du dich dann riesig freust und es Leckerchen gibt. Das hätte sie aber schnell raus."
Im Revier läuft es ähnlich: Finn schnuppert an Blut, Haarbüscheln oder Knochensplittern und sucht dann das Tier. Was mir nach dieser Stunde auffällt: Lizzi ist angenehm ausgepowert. Kathrin wundert das nicht. "Eine halbe Stunde Mentaltraining ist vergleichbar mit einem dreistündigen Spaziergang. Kommt noch Nasenarbeit hinzu, bei der der Hund jedes Molekül aufsaugen und entscheiden muss, was wichtig ist, strengt ihn das wahnsinnig an. Beim Mantrailing werden die Hunde deswegen nach einer halben Stunde ausgewechselt." Und neben Joggen und Radeln legt sie mir diese Beschäftigung zu Lizzis Auslastung ans Herz. Gute Idee. Denn als Jägerin sehe ich meine Hündin nach wie vor nicht. Sie würde im Revier wohl immer noch lieber Schmetterlinge als Hasen jagen.