Annie Leibovitz wird 60 Zwischen Dunkelkammer und Rampenlicht

60 ist ein Alter, an dem andere schon an die Rente denken. Starfotografin Annie Leibovitz ist davon weit entfernt: Durch ihr Leben in Saus und Braus hat sie Schulden in Millionenhöhe. Nicht die beste Voraussetzung, um einen entspannten Geburtstag zu feiern.

Neulich bekam sie einen dieser Preise, die sie nicht besonders mag. Annie Leibovitz wurde für ihr Lebenswerk ausgezeichnet - und das sei jawohl eine Kategorie, die impliziere, dass sie die besten Tage ihrer Karriere hinter sich habe, befand sie. Das "International Center Of Photography" in New York City ehrte sie. Leibovitz trug schlicht schwarz, als sie den Preis entgegen nahm und sprach: "Fotografie ist doch nichts, wovon man sich zur Ruhe setzt. Fotografen arbeiten bis ins hohe Alter." Dennoch, es bedeute ihr "eine Menge, diesen Preis zu erhalten", sagte Leibovitz und da wurde ihre Stimme leiser, sie zitterte. "Das tut mir gut, in Zeiten, die für mich sehr hart sind."

Dann wurde es still im Saal. 700 Gäste wussten natürlich, was Leibovitz mit harten Zeiten meinte. Die ganze Stadt tuschelte ja darüber, spätestens seit Februar, als die "New York Times" erstmals von den finanziellen Schwierigkeiten schrieb, die sie belasten und so gewaltig sind, dass plötzlich überall die Frage war: Wie in aller Hochglanzwelt konnte ihr das passieren? Sie ist ja nicht irgendeine Fotografin, sie ist die Star-Fotografin, die Whoopi Goldberg badend in einer Wanne voller Milch abgelichtet hat. Und Demi Moore nackt und hochschwanger, ihren Babybauch umarmend. Welch' berühmte Aufnahme!

Annie Leibovitz hat am 2. Oktober Geburtstag: Sie wird jetzt 60. Das ist ein Alter, in dem Otto Normalberufstätige gedanklich schon in Rente gehen. Sie nicht. Unabhängig davon, ob Fotografen auch mit 90 noch die Kamera in der Hand halten: Leibovitz muss arbeiten, vermutlich noch viele Jahre. Sie hat Kredite in Höhe von 24 Millionen Dollar abzuzahlen, an denen die Rechte an ihren Bildern hängen. Ihr ausgezeichnetes Lebenswerk, es ist in Gefahr.

Privatjets, Gärtner und persönlicher Yoga-Lehrer

Sie verdient jährlich fünf Millionen Dollar bei Condé Nast, dem Verlag, in dem "Vanity Fair" und "Vogue" erscheinen, für die Leibovitz die Schönen und Reichen in Szene setzt. Und sie schießt Anzeigenkampagnen. Zu ihren Kunden zählen American Express oder Louis Vuitton, da ruft sie 250.000 Dollar Tagesgage auf, bevor sie ein Studio betritt. Sie hat ein Einkommen, mit dem es ihr prächtig gehen könnte. Doch Leibovitz bezahlt jetzt für ein Dasein, das man eher von den Menschen kennt, die sie fotografiert: Ein Dasein im Luxus.

Zwar steht sie nicht gern im Rampenlicht und sieht nicht unbedingt nach Reichtum aus. Meist trägt Leibovitz eine schwarze Jeans, ein weites Hemd und Schuhe, mit denen sie einen Waldbrand austreten könnte. Aber sie hat einen Hang. so zu leben wie ihre Models. Das war schon früher so, als sie süchtig war nach Kokain, wie die Rockstars, die sie vor der Linse hatte. Später leistete sie sich Häuser und einen eigenen Küchenchef, Ausflüge nach Paris und gemietete Privatjets, einen persönlichen Yoga-Lehrer und selbstverständlich auch einen Gärtner. Wie eine Hollywood-Schauspielerin, die 30 Millionen Dollar pro Film kassiert.

Leibovitz hat nie besonders auf ihr Geld geachtet, sie hat es einfach ausgegeben. Es heißt, sie sei ein großzügiger Mensch, besonders, wenn es um ihre Familie geht. Im Dezember 2004 verlor sie ihre Partnerin, die New Yorker Schriftstellerin und Vorzeigeintellektuelle Susan Sontag - "die Liebe meines Lebens", wie Leibovitz sie nennt. Die beiden Frauen waren 16 Jahre lang ein Paar. Mit 51 schenkte Leibovitz ihnen ein Kind, da brachte sie Tochter Sarah zur Welt; der Vater sei ein fremder Samenspender, sagte sie.

Doch dem neuen Leben folgte die Auseinandersetzung mit dem Tod: Sontag erkrankte an Krebs, wie auch Leibovitz' Vater Samuel. Sie sparte keine Kosten, um die beiden behandeln und pflegen zu lassen, sie buchte Luftambulanzen, hastete von einem Krankenbett zum anderen. Doch dann erlag Susan Sontag ihrem Leiden. Und wenige Wochen später starb Samuel Leibovitz. Bald darauf bekam Leibovitz Zwillinge, zwei Mädchen, die sie von einer Leihmutter austragen ließ: Susan und Samuelle, benannt nach den beiden Menschen, die sie verloren hatte.

Kinder und andere Kosten

Ihre Töchter sind ihr großes Glück, ein Glück, in das sie investiert hat: Für eine künstliche Befruchtung zahlt man in den USA etwa 40.000 Dollar, eine Leihmutter kostet durchschnittlich 120.000 Dollar pro Kind. Leibovitz baute ihrer kleinen Familie Nester, sie kaufte drei Häuser in Manhattan, die nebeneinander liegen, und eine Farm am Hudson. Ließ alle Gebäude aufwendig renovieren, was allein 14 Millionen Dollar gekostet haben soll. Um all das zu finanzieren, lieh sie sich Geld, doch im Sommer 2008 erdrückten sie die Raten für die Hypotheken und Kredite. Zudem hatte sie Steuerschulden von knapp zwei Millionen. Und offene Rechnungen von Lieferanten in Höhe von 700.000 Dollar.

Leibovitz wendete sich an Art Capital, ein Leihhaus für Kunst mit Sitz an der New Yorker Madison Avenue: Das zahlte ihre Schulden, beglich ihre Rechnungen. Nun aber schuldet sie Art Capital 24 Millionen Dollar (plus Zinsen und Gebühren) und musste dafür ihre Immobilien und ihre Bilderrechte an die Firma verpfänden. In diesem Sommer dann wurde sie von Art Capital verklagt. Man warf ihr vor, sie habe den Vertrag gebrochen, weil sie mit ihren Zahlungen im Rückstand war. Sie hätte die 24 Millionen Dollar bis zum 8. September tilgen müssen, doch sie konnte es nicht. Leibovitz drohte der Bankrott, den sie kurz vor knapp noch abwenden konnte, in dem sie sich mit Art Capital auf eine Verlängerung der Rückzahlungsfrist geeinigt hat.

Bis wann sie die Schulden nun getilgt haben muss, ist nicht bekannt. Offiziell schweigt sie zu diesem Thema, doch einem Freund vertraute sie an: "Ich stehe total unter Druck, ich habe drei Töchter zu versorgen, ich habe meine Geliebte verloren. Ich muss so viele Jobs machen. Es ist das reine Chaos." Die Frau, die sich längst ein fotografisches Denkmal gesetzt hat, sie wackelt.

Ihr Abstieg zur konventionellen Fotografin

Das merkt man ihrer Arbeit an: Ihre Bilder sind bisweilen düster, uninspiriert. Ihr vermeintlicher "Hot Shot" des Jahres, das erste Foto-Shooting mit Michelle Obama als First Lady, sah seltsam bieder aus: Da saß Lady Obama in einem plüschigen Hotelzimmer, lieblich gekleidet, lieblich lächelnd. Es gibt Leute in Leibovitz' Umfeld, die sagen, Annie erledige jetzt Aufträge, von Leidenschaft sei da keine Spur mehr. Leibovitz bekommt noch immer alle Großen vor die Kamera, dank ihres Namens, aber das Ergebnis ist oft so fade, dass der Gedanke nahe liegt: Wenn das jemand anders fotografiert hätte, es wäre nicht gedruckt worden.

Ihre Freunde sagen, Leibowitz habe bei einem Buchprojekt erkannt, was die wahren Bilder sind, seither seien alle anderen für sie Routine. Das Buch heißt "A Photographer's Life, 1990- 2005", es erschien vor drei Jahren. Darin stellt Leibovitz ihren bunt geschönten Aufnahmen die schwarz-weißen Bilder ihrer Geliebten und ihres Vaters gegenüber, gezeichnet vom Krebs. Sie zeigte Susan Sontag nach der Chemotherapie, Susan Sontag mit der Tochter, Annie Leibowitz zeigte ihr Lebenswerk.

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