Hier also endete heute diese deutsch-englische Tragödie in weit mehr als vier Akten – in einem fenster- und charakterlosen Gerichtssaal, unwesentlich größer als Court 3, in dem der Fall des Boris Becker bis zum Schuldspruch durch die Jury am 8. April gehört wurde. Mit einem Glaskasten in der Mitte, in dem der Angeklagte saß, ernst und bedrückt. Mit ihm im Kasten nur eine Polizeibeamtin, die Probleme hatte, die Tür zum Gerichtssaal aufzuschließen, als Sohn Noah seinem Vater eine grüne Reisetasche bringen will. Sie sah der Tasche sehr ähnlich, die Becker gestern im Londoner Luxuskaufhaus Harrod’s gekauft hatte, wie das englische Boulevardblatt Daily Mail bereits berichtete.
Alles an diesem Gerichtssaal ist deprimierend zweckmäßig, die strukturierte beige Tapete, die sandfarbenen Holzpanele, die niedrige Gipsplattendecke. Einzige Dekoration hinter dem roten Stuhl der Richterin: Das Wappen der britischen Krone in Bronze – Löwe, Einhorn und das französische Motto "Dieu et Mon Droit" – Gott und Mein Recht.
Hartes Urteil gegen Boris Becker
Weder Gott noch Recht waren heute auf Boris Beckers Seite. Der Spruch der Richterin Deborah Taylor, als er denn nach fast drei Stunden Plädoyer von Staatsanwaltschaft und Verteidigung endlich kam, lautete: zwei Jahre, sechs Monate ohne Bewährung. Die Hälfte der Haftstrafe muss Becker auf jeden Fall absitzen.
Am Ende war es der Anklagepunkt vier, der ihm die Haftstrafe einbrachte – die neun Zahlungen an Familienmitglieder, Freunde und Geschäftspartner im Gesamtwert von knapp 427.000 Euro im Zeitraum kurz vor und nach der gerichtlichen Insolvenzerklärung waren nach Ansicht der Richterin besonders schwerwiegend. Mit den Zahlungen habe er auf unlautere Weise hohe Summen aus der Insolvenzmasse entfernt, die den Gläubigern zugute kommen sollte.
Beckers Verteidiger Jonathan Laidlaw hatte kurz zuvor noch dafür plädiert, man solle doch Milde walten lassen, denn sein Klient habe schließlich lediglich eigenmächtig entschieden, dass die Bedürfnisse seiner Kinder wichtiger waren als die der anderen Gläubiger. Diese Ausgaben, hätte er sie denn erklärt, wären womöglich von den Insolvenzvollstreckern sogar genehmigt worden.
Deutsche Vorstrafe war erschwerender Faktor
Es gab, so Taylor, keinen wirklichen Präzedenzfall, an dem sie sich bei der Urteilssprechung orientieren konnte. Auf Beckers Plus-Konto rechnete sie Briefe seiner Kinder ans Gericht und Referenzen der Stiftungen, für die er aktiv war. Sie akzeptierte auch, dass sein Leben in den Jahren vor und zum Zeitpunkt der Insolvenzerklärung ein emotionales und finanzielles Chaos war. Doch all das wog nicht Beckers deutsche Vorstrafe von 2001 wegen Steuerhinterziehung auf, die für die Richterin in der Urteilsfindung ein entscheidender Faktor war. "Dabei handelt es sich um ein ähnliches Vergehen, was den Tatbestand sichtlich erschwert", sagte sie.
Bei der Urteilsverkündung ging ein Ruck durch die Menge der Anwesenden. Noah schaute mit aufgerissenen Augen auf seinen Vater im gläsernen Kasten. Der wirkte schockiert und peinlich berührt, band sich umständlich die Schnürsenkel zu und kämpfte einen Moment lang damit, die grüne Reisetasche vom Boden aufzuheben.
"Sie haben alles verloren", sagte Taylor in ihrem Urteil, "Ihre Karriere, Ihre Immobilien und Ihren Ruf." Und so endet sie zunächst, die traurige Geschichte des einstigen Wunderkindes aus Leimen, die in Wimbledon im Süden dieser Stadt begann: mit der Abführung des Boris Becker in eine Aufbewahrungszelle im Untergeschoss des Strafgerichts, wo er warten muss, während entschieden wird, in welches Londoner Gefängnis er kommen wird.
28 Tage bleiben Beckers Verteidigung, um Einspruch einzulegen. Sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit davon Gebrauch machen.