Eine Frage hätte ich da mal an Sie. Herr Jauch, eigentlich wollten ja wir Sie … Wie trennt man das Wort Nacktschnecke?
Nackt-schnek-ke? Falsch.
Hm. Richtig ist: Nackt-schne-cke. „Der Mond ist aufgegangen ...“ Wie geht es weiter?
… die gold’nen Sternlein, äh …? „Die gold’nen Sternlein prangen am Himmel hell und klar.“ Ich habe fünf Ecken und acht Kanten, mit meiner quadratischen Fläche und mit meinen vier dreieckigen Flächen schirme ich mich nach außen ab. Was bin ich?
Eistüte? Die hat nur eine Ecke unten.
Pyramide? Gerade noch mal gut gegangen.
Sie wollen uns bloßstellen. Das ist vermutlich auch das Ziel Ihrer neuen Quizshow, „6! Setzen“. Da wird Grundschulwissen getestet, Kinder gegen Erwachsene … Das Ziel ist nicht zwangsläufig, dass die Erwachsenen sich blamieren. Eher geht es darum herauszufinden, inwiefern man noch in der Lage ist mitzuhalten bei dem, was heute in Schulen gefordert wird. Jeder von uns bildet sich ja ein, einem Neunjährigen automatisch überlegen zu sein. Die Idee zu der Sendung ist entstanden, als ein Redakteur bei uns in der Konferenz erzählte, dass er es nicht mehr schaffe, seinem Kind bei den Schularbeiten zu helfen. Oft verstehe er nicht mal die Aufgabe. Wohlgemerkt bei einem Viertklässler.
An welchen Fragen sind Sie gescheitert? Ich wäre an der Nacktschnecke eindeutig gescheitert. Und was Kanten und Ecken angeht – da bin ich unterirdisch.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Grundschulzeit? Vor allem an das Fach Nadelarbeit bei Fräulein Neitzel. Im Wesentlichen ging es da ums Turnbeutel-Besticken. Kreuzstich, Hexenstich. Habe ich alle noch im Kopf. In der vierten Klasse bekam ich bei Fräulein Neitzel eine Fünf. Das einzige Mal, dass ich nach einem Zeugnis geweint habe.
War Sticken denn so wichtig für Sie? Nein, aber es war für mich eine enorme Niederlage, in einem Fach mit „mangelhaft“ bewertet zu werden. Mit einer Vier hätte ich noch leben können, aber eine Fünf ist nun mal ein Dokument absoluten Versagens.
War Fräulein Neitzel wenigstens nett? „Ausreichend plus“. Mehr kann ich zu ihr leider nicht mehr sagen.
Bei uns gab es Frau Kienberger, Religionslehrerin, leicht aufbrausend. Die hat einmal vor der ganzen Klasse einen unaufgeräumten Schulranzen in den Abfalleimer ausgeleert, um ein Zeichen gegen Schlamper zu setzen.Bei der Klagefreudigkeit heutiger Eltern würde sich die Frau wohl sofort eine Dienstaufsichtsbeschwerde einhandeln. Wahrscheinlich hat sie aber gar nicht so falsch gehandelt.
Moment mal, der nette Herr Jauch befürwortet das Auskippen von Schulranzen? Die Nation wird bestürzt sein! Haben Sie denn dauerhafte seelische Schäden davongetragen?
Hm … Ich kenne genügend Kinder im Grundschulalter. Würden die ihre Ranzen nie vernünftig packen und das womöglich noch in Tateinheit mit chronischer Störung des Unterrichts, hätte ich gegen so eine Maßnahme nichts einzuwenden. Wir sind heute ja hypersensibilisiert für das Thema „Gewalt an den Schulen“, weil jeder Zwischenfall sofort mit dem Fotohandy dokumentiert und verbreitet wird. Ich erinnere mich, dass mir in der Grundschule von einem Mitschüler zwei Zähne ausgeschlagen wurden. Was heute für einen Aufmacher im Lokalteil der Zeitung reichen dürfte. Und dann gab es diesen Vorfall mit meinem Klassenkameraden Michael H. und Fräulein Stolze, es kam zu einer Prügelei, die beiden wälzten sich am Boden, und die ganze Klasse stand drum rum und feuerte sie an. Wenn Sie so was heute auf Video aufnehmen, kommen Sie sofort bundesweit ins Fernsehen, und zwar bei den Öffentlich-Rechtlichen wie auch den Privaten, als Beweis dafür, wie schlimm alles geworden ist.
Zurück zu Ihrer Grundschul-Show. Man sitzt dann wahrscheinlich vorm Fernseher und denkt: Mensch, sind die doof, die Erwachsenen, warum wissen die das nicht? Genauso gut kann man aber sagen: Was lernen die Kinder da eigentlich für unnützes Zeug! Bei Bildung geht es doch nicht nur um den Nutzwert. Natürlich sagen Kinder, wozu soll ich das lernen, das interessiert mich nicht, ich möchte ohnehin Tierarzt werden oder Model. Eltern schließen sich dieser Meinung oft an. Die sagen dann, ich bin Jurist geworden, und um meine Rechnungen zu schreiben, habe ich entweder eine Sekretärin oder einen Taschenrechner. Diese Sicht der Dinge halte ich für grundfalsch. Nehmen wir als Beispiel meinen Kunstunterricht. Zu Schulzeiten war das für mich musealer Bildungsmüll. Es hat 10, 15, 20, 30 Jahre gedauert, bis ich damit was anfangen konnte. Wenn ich heute in einer fremden Stadt bin, gehe ich gerne ins Museum und kann auf dem aufbauen, was ich damals gelernt habe. Ich erwische mich schon dabei, wie ich es verzweifelt und nur von solidem Halbwissen getragen heute den Kindern zu erklären versuche, bei denen ich wiederum ähnliche Reaktionsmuster feststelle wie bei mir damals
Wie erziehe ich denn meine Kinder richtig? Zwei Dinge sind wichtig, wenn wir über Erziehung reden. Erstens: Nützlich ist eine gewisse Neugierde. Es gibt fast nichts Trostloseres als Kinder, die nicht neugierig sind. Und das Zweite ist: Anstrengung gehört dazu und auch Scheitern. Wenn Sie ein Musikinstrument spielen, ist es egal, wie viele Jahre Sie schon geübt haben, Sie werden immer an einen Punkt kommen, wo Sie überfordert sind. Im Grunde ist Musik, ist Sport, ist Schule eine Chronik des ewigen Scheiterns. Gut, wenn sich Kinder früh daran gewöhnen.
Sie wurden zum Blockflöteüben gezwungen? Jeden Tag eine halbe Stunde! Als ich jedes Stück, das man mir vorlegte, passabel spielen konnte, sagten meine Eltern: „Prima, und jetzt kommt das nächste Instrument.“ Aber da war mir die Musik schon so verhasst, dass ich mich geweigert habe. Das war der Nachteil an diesem Zwang.