Es waren zwei Überraschungsauftritte in Folge, die für Schlagzeilen sorgten: Johnny Depp trat mit dem Gitarristen Jeff Buck bei Konzerten in Großbritannien auf - vor begeistertem Publikum. Der Schauspieler war aus den USA angereist, wo jederzeit die Entscheidung der Jury in seinem spektakulären Prozess gegen seine Exfrau Amber Heard erwartet wird. Warum sich Depp während einer derartigen Schmutzschlacht auf die Bühne stellt und bejubeln lässt? Ganz einfach: Weil er's kann. Denn egal, wie die Sache ausgeht: In der Öffentlichkeit steht Depp längst als Sieger da. Und das hat gleich mehrere Gründe.
Jede Woche hatten seine Fans stundenlang das Gerichtsgebäude in Virginia belagert, haben ihn mit Sprechchören und "We love you, Johnny"-Plakaten unterstützt. Die größte Soldiaritätswelle für Depp rollt jedoch im Netz. Unzählige Social-Media-Accounts haben sich darauf spezialisiert, den Prozess zu verwerten - und zwar in überwältigender Mehrheit zu Lasten von Amber Heard. Denn Johnny Depp wusste, wie er seine Fans bedient. Er war es, der darauf bestand, dass der Prozess öffentlich von Kameras übertragen wird. Das wirkte sich schnell zu seinen Gunsten aus. So saß auch immer ein wenig seine Paraderolle Jack Sparrow mit im Saal und sorgte für Lacher.
Johnny Depp lässt für seine Fans Jack Sparrow tanzen
Depp war sich nicht zu schade, diese Karte voll auszuspielen: Hier ein trockener Kommentar, dort eine "Fluch der Karibik"-Anspielung, dazwischen lässiges Hollywood-Grinsen. Netter Nebeneffekt für ihn: Seine eigentlich erschreckenden Aussagen über seine Drohungen und Alkohol- und Drogenexzesse wirkten so fast harmlos, ein Pirat trinkt eben mal einen über den Durst. Und weil Depp den Prozess wie eine große Unterhaltungs-Show behandelte, taten das auch die Zuschauenden, die millionenfach die Live-Übertragungen im Netz durchsuchteten und kommentierten wie eine sehr exklusive Realityshow. Aus Depps Gags und Reaktionen ließen sich in den sozialen Netzwerken lustige Memes und TikTok-Filmchen basteln - aus Amber Heards Tränen oder ihrem verbissenem Gesichtsausdruck eher Mobbing-Material.
Ein weiterer Grund: Geld. Wer kann sich die besten Anwälte leisten, wer ausgedehnte Expert:innen-Suchen? Wer die Kohle hat, hat die Macht. Und dass Depp in finanzieller Hinsicht deutlich besser aufgestellt ist als Heard, ist eindeutig.
Amber Heard und Johnny Depp: Von der Filmliebe zur Schlammschlacht

Amber Heards Nachteil: Im Zweifel für den Mann
Und dann ist da noch der einfachste Grund, warum Depp in der Öffentlichkeit ein leichtes Spiel hatte: Amber Heard ist eine Frau. Und wenn es hart auf hart kommt, hält die Öffentlichkeit auch in der heutigen angeblichen #MeToo-Zeit zum berühmten, reichen Mann. Weil hunderte Jahre internalisierte Frauenfeindlichkeit eben nicht mit ein, zwei verurteilten Extrem-Straftätern wie Weinstein oder Cosby enden. Heard war schnell in den üblichen Rollen als geldgierige Schlampe, als übergeschnappte Ex mit Geltungssucht abgestempelt. Auch, weil sie eben nicht in das falsch verbreitete Schema des demütigen, verhuschten Opfers häuslicher Gewalt passt.
Ironischerweise hat genau dieser Doppelstandard dazu geführt, dass Heard und Depp überhaupt wieder vor Gericht sind: Heard schrieb 2018 in der "Washington Post" einen Artikel über die sexistischen Reaktionen, die sie nach der Scheidung zu spüren bekam. Der Titel: "Ich hab mich gegen sexuelle Gewalt stark gemacht - und den Zorn unserer Gesellschaft abbekommen. Das muss sich ändern." Depp klagte wegen Verleumdung, Heard reichte Gegenklage ein - und nun soll eine Jury urteilen. In einer Sache hatte Amber Heard auf jeden Fall recht: Sie, nicht Depp, bekommt den Zorn ab. Das hat Depps Sieg über die öffentliche Meinung eindringlich beweisen.