Loveparade Love is everywhere - in Essen

  • von Matthias Lauerer
Braungebrannte Raver, halbnackte Mädchen und uralte Techno-Neulinge: Sie alle feierten in Essen auf der Loveparade. Sie tanzen, lachen, schreien und singen. Eine Reportage aus dem neuen Party-Mekka.

Die Loveparade 2007 landete wie eine leichte Sommerbrise in Essen. Und mit ihr gut 1,2 Millionen Tänzer und Tänzerinnen. Doch wie feierte es sich denn nun tatsächlich im Ruhrgebiet? Eine gute Frage, hatte die Parade doch 2004 und 2005 nicht stattfinden können und war dann im vergangenen Jahr phänomenal wiedergekehrt. Fehlende Planungssicherheit trieb die Massen aus Berlin nun ins Ruhrgebiet, wo die Parade noch die kommenden vier Jahre in vier verschieden Metropolen gastieren wird.

Rave-Opa ist begeistert

Heinrich Küpper steht vor einem Bierstand und hat sich damit wohl den lautesten Paraden-Platz ausgesucht. Am Porscheplatz direkt unter einer Brücke wo die Wagen stehen bleiben, donnern die Bässe, alle schreien durcheinander, oder singen im Chor Fußball-Hymnen. Der Klang wird durch die Betonwände reflektiert. Hier wippt Küpper im Takt der Musik. Um den Hals hängt ihm eine große, braune Brezel.

Soweit so gut, doch Opa Küpper ist 79 Jahre alt und feiert im kommenden März seinen 80 Geburtstag. Der Senior ist ganz begeistert von der Parade: "Ich hätte nie gedacht, dass es so toll wird!" Küpper als Ur-Essener wollte unbedingt auf die Loveparade und überzeugte sogar seine Tochter Andrea vom Besuch. Sie begründet es so: "Mein Vater will immer mitten rein ins Getümmel!" Und so kommt Opa Küpper in seinen braunen Ledersandalen und schickem Hemd zur ersten Loveparade seines sehr langen Lebens.

Auch Ute Lindner musste erst Mitte 30 werden, um ihre erste Loveparade zu erleben: "Die Reise nach Berlin hat mich immer abgeschreckt. Und jetzt ist die Parade direkt in meiner Nachbarschaft." Die große, hübsche Blondine wohnt eigentlich in der Nähe von Bonn. Doch heute will sie in Essen einfach nur Tanzen und Spaß haben. In schwarzer 7/8 Hose und bunter Bluse gelingt es ihr schnell, den ersten Wagen zu entern. Auf dem Smag-Wagen geht es vorbei an zehntausenden Ravern.

"Niemand stirbt als Jungfrau"

Zusammen mit Rave-Opa Küpper haben sich viele Ältere unters bunte Volk gemischt. Sie winken entweder lässig, oder wie wild aus ihren Fenstern an der Strecke, werfen den Besuchern fleißig Luftküsschen zu. Klassisch auch die sportlichen Jungs auf den bedrohlich wankenden Laternenmasten. Selbst die Sinnspruch-Fraktion feiert in Essen fröhliche Urstände "Niemand stirbt als Jungfrau" ist kaum sprachlos verarbeitet, da springen schon die drei "Du hast die Haare schön!"-Vertreter wie Gummibälle auf Speed vor dem Wagen mit der Nummer 06 auf und ab.

Essen hat sie alle: Die vom Bier angeheiterten, die nach eigener Aussage nur in "Reih und Glied" gemeinsam in die raren grünen Hecken pinkeln können und die braungebrannten Raver mit den ganz dicken Armen. Und die halbnackten Mädels wie Tänzerin Barbara, die "Oben Ohne" nur mit viel Goldenem Glitzer auf der Haut den Wagen betanzt und sich immer wieder über die etlichen gezückten Foto-Handies freuen kann. Dabei ist die Stimmung schlichtweg phänomenal. Alles tanzt und lacht und schreit und schiebt und singt und grinst und streckt die Arme in die Höhe.

Ein wenig Ruhe findet man nur Abseits der 2,5 Kilometer langen Stecke unter einigen Kastanienbäumen. Über die grüne Wiese nebenan weht der Geruch von anderem Gras und Bratwürsten. An einem Stand verteilen Mitarbeiter der Aidshilfe kostenlos "Penguin"-Kondome und das symbolisch aufgeblasene fünf Meter hohe Gummi-Kondom zuckt über ihnen dabei hektisch Hin und Her.

T-Shirts und Schlüsselbänder

Am belagerten Nachbarstand arbeitet Sascha aus Mühlheim. Seit Morgens um Neun verkauft der 23-Jährige Merchandising-Artikel. Loveparade-Shirts für 15 Euro, oder Schlüsselbänder für fünf Euro wandern direkt aus aufgeschnittenen Kartons über den Tresen. Sascha bekommt für seinen Job acht Euro pro Stunde und am Ende, wenn denn "die Kasse stimmt und nix geklaut wurde, noch 50 Euro Gewinn-Beteiligung." Wie so viele ist er sichtlich angetan von der Atmosphäre: "Ich finde das alles super hier." Sicherlich, nur kurze Zeit später werden 50 Meter hinter ihm die Metall-Zäune von der Masse erst überklettert und dann einfach überrannt, doch das mag hier keinen so Recht stören.

Mittlerweile hat DJ Fishi, 39, auf dem Parade-Wagen sein Musik-Set beendet: "Das meine Leute hier in Essen so feiern können ist der Wahnsinn!". Sein Bekannter Pauli, 33, der neben ihm im gelben Shirt tanzt, wird für einen Moment sogar fast philosophisch: "Im alten Rom gab es Brot und Spiele. Und was brauchen wir heute? Nur eine leere Straße und laute Musik!" Er sagt es, stellt sich dann neben eine der zehn glitzernden Diskokugeln und prostet der spanischen Drag Queen von der Seite zu.

Der 1992er Klassiker "Don´t you want me" von Felix knallt jetzt recht laut aus den schwarzen, großen Boxen. Plötzlich löst sich ein kollektiver Schrei aus den Menschenkehlen der Straße. In diesem Moment sind alle eins mit sich, der Welt und dem Motto der Parade "Love is everywhere."

Als der Wagen dann gegen 19 Uhr langsam auf den Berliner Platz einrollt, rollen auch die Augen der Wagen-Besatzung entgeistert nach rechts. Denn sie sehen jetzt das bunte Heer der mehr 100.000 Köpfe, das nur auf sie und die 26 anderen Wagen für die Abschlussparty gewartet hat.

Der Chef des Smag-Partymagazins im Ruhrgebiet Dirk Stegenwaller, 41, greift ergriffen erst mal zum Kühlschrank und zieht eine Limonade aus dem Fach. Auf dem Wagen-Boden vor dem Kühlschrank liegt mittlerweile das ehemals angebrachte Warn-Schild für die Crew: "Finger weg! Stuff vom Chef!"

Bevor die Abschlussveranstaltung beginnen kann, werden die Wagen geräumt. Warum, weiß keiner so Recht. Selbst Tänzerin Barbara zieht sich wieder etwas über. Loveparade-Novizin Ute lächelt noch einmal erschöpft vom Tanzen in die Runde, bevor auch sie den Wagen verlässt. "Wow, was für eine Party und was für eine geniale Stimmung. Ich bin im kommenden Jahr sicher wieder mit dabei", sagt sie und verliert sich dann schon bald in der Masse.

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