Was macht eigentlich ... ... Elisabeth Noelle-Neumann?

Die Wissenschaftlerin - spöttisch "Pythia vom Bodensee" genannt - gründete 1947 mit ihrem Mann das erste deutsche Meinungsforschungsinstitut.

Wer selbst sein Meister ist und sich beherrschen kann ...

... dem ist die weite Welt und alles untertan." Wunderbar! Das entstammt meinem Lieblingsgedicht ("An sich", vom Barocklyriker Paul Fleming, d. Red.). Ich habe es in metallenen Lettern auf einem Granitblock in meinem Garten verewigen lassen. So kann niemals in Vergessenheit geraten: Erst die Selbstbeherrschung macht den Menschen wahrhaft frei.

Hätten Sie sich mit 89 Jahren nicht ein bisschen Disziplinlosigkeit verdient?

Im Gegenteil! Wer damit beginnt, der verfällt. Nur wenn Sie richtig leben, keine Zeit vertrödeln, aktiv sind, ist das Alter wunderbar. Man wird dann wacher, sieht und versteht mehr. Sonst ist es grausam.

Wie sieht Ihr Tagespensum aus?

Ich stehe sehr früh auf und beginne nahezu sofort zu arbeiten. Ich schreibe auf, was ich am Tage tun will. Morgens habe ich die besten Gedanken. Und die haben auch keinerlei Respekt vor Sonntagen.

Zur Person

Elisabeth Noelle-Neumann, 1916 in Berlin geboren, studierte u. a. Philosophie, Geschichte und Zeitungswissenschaft in Berlin, Königsberg und den USA. Bereits vor dem Krieg bereiste sie Japan, China und den Vorderen Orient. Sie promovierte 1940 und gründete 1947 mit ihrem ersten Mann das "Institut für Demoskopie Allensbach" am Bodensee. "Allensbach" wurde zum Synonym für Volksbefragung. Ihr Bestseller "Die Schweigespirale" wurde in nahezu 20 Sprachen übersetzt. Frau Noelle-Neumann ist zweifach verwitwet.

Wie halten Sie sich körperlich in Form?

Ich schlafe! Man sollte wirklich viel mehr schlafen, als die meisten Menschen glauben. In meinem Falle: zehn Stunden pro Nacht, das hält mich gesund. Dabei liegen immer Papier und Füller auf dem Nachttisch. Wussten Sie, dass Karl der Große erst mit 50 das Schreiben erlernte?

Nein.

Oh ja. Um seine nächtlichen Gedanken festhalten zu können! Er hat hier auf der Reichenau oft seine Sommerferien zugebracht. Wenn ich aus meinem Garten über den See schaue, bilde ich mir ein, er käme gerade aus dem Klostertor. Aber das ist natürlich eine Marotte.

Sie haben mit Adenauer Tee getrunken, für alle deutschen Nachkriegsregierungen gearbeitet, niemand hat den Deutschen in 60 Jahren mehr Fragen gestellt. Wie fühlt die Nation?

Deutschland hat eine ganz seltsame Wandlung durchgemacht. Wir haben so lange dazu geneigt, alles pessimistisch zu sehen, und nun ändert sich das. Der Optimismus wächst. Ich kann es nicht erklären, aber es wird immer stärker: Ja, Deutschland ist in eigentümlicher Weise optimistisch gestimmt.

Zu Bundeskanzler Kohl hatten Sie ein besonderes Verhältnis. Sehen Sie sich heute noch?

Wann immer ich ihn sehen will. Unser Verhältnis ist sehr herzlich. Wissen Sie, warum ich ihn so schätze? Er prognostiziert ganz fabelhaft, sieht die Dinge voraus. In unserem Institut spielen wir ein demoskopisches Toto. Die Mitarbeiter tippen auf Ergebnisse laufender Umfragen. Kohl hat jahrelang mitgespielt - und immer, immer gewonnen!

Ihrem Institut erging es bei der letzten Bundestagswahl nicht so gut. Sie lagen - wie alle - ziemlich daneben. Woran lag's?

Nun, ich war diesmal nicht beteiligt.

Ihr erstaunliches Selbstbewusstsein ...

... hat selbst Paul Kirchhof bewundert. Ich will Ihnen erklären, woher es kommt: von Engeln, die mich im Alter von fünf Jahren des Nachts besucht haben - ein gleißendes Licht, ein ungeheurer Kraftquell.

Mit Verlaub, wie erklären Sie als rationale Wissenschaftlerin diesen Glauben?

Gar nicht. Rechtfertigungen sind das Letzte, was mir einfiele! Ich glaube an Fügung und glückliche Zahlen - meine ist die 19 -, an Engel und Astrologie. Ein Ufo habe ich auch bereits gesichtet. Es ist nicht gut, das Leben nur rational zu leben. Man kann ruhig einiges an Irrationalem zulassen.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein. Um ehrlich zu sein: Ich denke manchmal mit einer gewissen Freude an mein nächstes Leben.

Interview: Christoph Wirtz

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