Die gebürtige Brasilianerin überlebte am 11. November 2000 die Bergbahn-Katastrophe von Kaprun, die jetzt vor Gericht verhandelt wird. Unter den 155 Todesopfern waren auch ihr Schwager und ihre Nichte.
Zur Person:
Elaine Mayerhofer in ihrer Ballettschule in Vilseck. Die 34-Jährige lebt seit 1993 mit ihrem Mann Roland und ihren beiden Söhnen Lancelot und Marlon in dem oberpfälzischen Städtchen. Mayerhofer war mit dem Skiverein Unterweißenbach im Urlaub, als die Brandkatastrophe im Tunnel der Gletscherbahn zum Kitzsteinhorn geschah. Nur zwölf Menschen überlebten. Am 18. Juni beginnt in Salzburg der Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen des Unglücks.
Das Unglücksdatum von Kaprun ist auch Ihr Hochzeitstag. Konnten Sie diesen Tag feiern?
Als mein Mann und ich in die Kirche gingen, waren alle Bilder wieder da: der Rauch, die schreienden Menschen, der dunkle Tunnel. Wir brauchten fast bis Mitternacht, bis wir auf unseren Hochzeitstag anstoßen konnten. Warum haben wir überlebt?, fragten wir uns.
Haben Sie eine Antwort?
Mein Mann und ich bekamen ein zweites Leben von Gott geschenkt - aber nicht umsonst. Wir müssen dafür etwas tun. Kürzlich sah ich in einem Park, wie sich ein körperlich und geistig behinderter Junge mühte zu tanzen. Das hat mich sehr berührt. Das war für mich ein Zeichen, in meinem neuen Leben Behinderte im Tanzen zu unterrichten.
Was erwarten Sie von dem Prozess?
Dass offene Fragen geklärt werden. Zum Beispiel, ob die Notbeleuchtung im Tunnel funktioniert hat. Wir Überlebenden können bezeugen, dass dem nicht so war. Wir wollen, dass so eine Katastrophe nie wieder passieren kann.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Ich habe mich einer Sammelklage angeschlossen, die der Skiclub Unterweißenbach gegen die Gletscherbahn Kaprun AG, Zulieferer und Behörden erhoben hat. Alle drei Monate informierte uns unser Anwalt über den Stand der Vorbereitungen. Die Stimmung bei den Treffen war schlimm, da kam alles hoch. Wenn Hinterbliebene in Tränen ausbrechen, ist es schwierig, sich als eine von zwölf Überlebenden nicht schuldig zu fühlen.
Aber dennoch haben Sie dem Desaster etwas Positives abgewonnen.
Mein Mann und ich haben überlebt, das gibt unserem Leben neuen Sinn. Unsere Beziehung ist intensiver, ich genieße das Tanzen noch mehr als früher und versuche, das den Kindern in meiner Ballettschule weiterzugeben. Ich erlebe allerdings auch negative Dinge viel intensiver.
Welche?
Ich mache mir ständig Sorgen um meine Kinder. Zug will ich nicht mehr fahren, egal ob Bergbahn oder nicht. An Bord eines Flugzeugs werde ich unruhig. Ich suche die Notausgänge und denke: Was mache ich, wenn Panik ausbricht? Bei den kleinsten Turbulenzen werde ich nervös.
Sie fliegen aber trotzdem?
Wenn ich meine Familie in Brasilien besuchen will, muss ich fliegen. Wie kann ich also weiterleben, ohne vor Angst verrückt zu werden? Mir kommt dann der Gedanke: Wenn es sein muss, passiert es. Überall, sogar zu Hause. Mein Schwager und meine Nichte kamen in Kaprun um. Mein Schwager hatte immer gesagt: »Wenn man dran ist, ist man dran. Da kannst du machen, was du willst.«
Das Bild, das Sie im blutüberströmten weißen Anorak zeigt, ging um die Welt. Hatten Sie sich verletzt?
Ich stieg eine halbe Stunde lang steile Treppen durch den stockfinsteren Tunnel hinab, der brennende Zug hinter mir. Plötzlich hörte ich eine Explosion. Ich erschrak, rutschte aus und schlug mit der Stirn auf eine Treppenstufe.
Was haben Sie mit der Jacke gemacht?
Ich wollte sie wegschmeißen. Aber meine Mutter sagte: »Das ist ein wichtiger Abschnitt in deinem Leben, heb sie auf!« Ich habe ein Jahr gebraucht, bis ich den Anorak wieder anschauen und das Blut abwaschen konnte. Jetzt hängt er im Schrank, mit den anderen Sachen. Selbst die Socken haben wir aufgehoben.
Interview: Tilman Wörtz