Zur Person:
Die 83-Jährige war zweimal verheiratet und hatte einen Sohn, der 1998 starb. Die geborene Leipzigerin absolvierte eine Lehre zur Verlagskauffrau und arbeitete bis 1945 in verschiedenen Funktionen als Angestellte. Nach dem Krieg war sie persönliche Vertraute des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher und trat nach dessen Tod in die aktive Politik ein. 1953 wurde Renger in den Bundestag gewählt, wo sie unter anderem dem Innen- und Auswärtigen Ausschuss angehörte. Dem Wahlsieg der SPD 1972 folgte ihre vierjährige Amtszeit als Bundestagspräsidentin, anschließend war sie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Parlament 1990 dessen Vizepräsidentin. 1993 veröffentlichte die Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes ihre Memoiren: "Ein politisches Leben"
Vor 13 Jahren sind Sie nach 37 Jahren Parlamentszugehörigkeit aus dem Bundestag ausgeschieden. Genießen Sie Ihren Ruhestand?
Ruhestand? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen! Ich habe ein gut funktionierendes Büro, bin Vorsitzende von rund 20 Organisationen, sage jeden Tag irgendwo öffentlich meine Meinung und habe auf dem Schreibtisch mehr Anfragen, als ich annehmen kann. Von Langeweile keine Spur.
Konsultiert Ihre Partei Sie denn noch gelegentlich?
Na ja, es gibt da den Seniorenrat der SPD. Da sind einige Altvordere drin, Führungsleute von früher. Wir treffen uns hin und wieder und diskutieren.
Bunter Seniorennachmittag auf Parteikosten?
Ganz so trostlos ist es nun auch nicht. Die Parteiführung hört uns schon zu. Aber letztlich muss doch jede politische Generation selbst klarkommen. Darüber hinaus bin ich nach wie vor aktiv im "Seeheimer Kreis".
Dem konservativen Flügel der SPD.
Genau! Der wird ja auch nicht unwichtiger.
In Ihrer Biografie beschreiben Sie die Endphase der Regierung Schmidt: "Die Zahl der Arbeitslosen stieg [...] die Schwierigkeiten mit den Gewerkschaften wuchsen, die innerparteilichen Auseinandersetzungen nahmen zu. [...] Partei und Regierung diskutierten aneinander vorbei."
Na, da sehen Sie mal, wie sich die Zeiten ändern und die Umstände gleichen. Damals war Gerhard Schröder Juso-Vorsitzender. Er hat Schmidt bittere Vorwürfe gemacht, dass die soziale Basis wegrutsche. Man muss es wohl mit Churchill halten: "Wer mit zwanzig kein Kommunist ist ?"
Sie selbst fielen 1973 dem "Linksdrift" Ihrer Partei zum Opfer.
Man wollte mich einfach nicht mehr im Vorstand haben. Ich war den Genossen nicht "fortschrittlich" genug. Aber sehen Sie, ich bin Sozialdemokratin in der dritten Generation. Mir muss man nichts erzählen. Außerdem bin ich seit 50 Jahren in der Gewerkschaft. Obwohl ich mich da in den letzten Monaten gelegentlich frage, ob ich noch dazugehöre.
Sie haben Adenauer, Schumacher, Wehner, Carlo Schmid erlebt. Verzweifeln Sie nicht jeden Abend bei der "Tagesschau", wenn deren Nachfolger den Mund aufmachen?
Ihre Frage ist den heutigen Politikern gegenüber unfair. Wer die NS-Zeit im Widerstand, im KZ oder in der Emigration erlebt hat und dann bei null anfangen musste, der hat eine andere Chance, zur wirklichen Persönlichkeit zu werden. Große Probleme machen nun mal große Politiker. Und seien Sie sicher: Adenauer würde in der heutigen Zeit wohl genauso scheitern wie Schumacher.
Was für Sie nicht gilt?
Nee, ich bin allzeit einsetzbar...
Übertriebene Bescheidenheit hat man Ihnen auch früher nicht nachgesagt.
Warum auch? Ich habe mich in der Fraktion selber für das Amt der Bundestagspräsidentin vorgeschlagen. Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen? Das ist ja das Problem heute: Keiner wirft seinen Hut in den Ring und übernimmt Verantwortung. Ich war gerne Präsidentin und habe meine Sache ordentlich gemacht. Das muss man doch sagen können!
Ihr jetziges Büro liegt im ehemaligen Bundestagsgebäude. Das Kanzleramt nebenan wird gerade abgebaut, viele Gebäude stehen leer, Putz blättert, Gärten verwildern. Wird man hier nicht trübsinnig?
Dazu neige ich nicht. Und wer weiß, vielleicht zieht es mich ja doch noch nach Berlin. In zehn, fünfzehn Jahren sollte ich mich da mal nach einem Altenheim umschauen.
Interview: Christoph Wirtz