Ärztin, Autorin und Datingexpertin Dr. Nasanin Kamani: "Das größte Datingproblem unserer Zeit ist die Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen"

Dr. Nasanin Kamani
Dr. Nasanin Kamani schrieb das Buch "Date Education" mit eigenen Erfahrungen und einer Menge psychologischem Fachwissen
© Matthias Meurer
Sie hätte man gerne als beste Freundin, denn Dr. Nasanin Kamani ist nicht nur datingerfahren und kann viele spannende Geschichten erzählen, sie ist auch noch ausgebildete Ärztin auf dem Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie. In ihrem Buch "Date Education" vereint sie beide Seiten.

Mit viel Witz und Humor erzählt die Autorin Dr. Nasanin Kamani dem Leser ihre ganz privaten Datinggeschichten, nicht aber ohne auch eine Botschaft und ein Learning zu vermitteln. In verschiedenen Situationen erläutert die Ärztin anschaulich verschiedene Handlungen und wie man das ein oder andere besser machen kann in dem großen Datingdschungel. Mit dem stern sprach die Expertin über die größten Datingprobleme der heutigen Zeit und warum es gar nicht so leicht ist zu definieren, ob man wirklich verliebt ist oder einfach nur einem unerfüllten Traum hinterherjagt. 

Frau Dr. Kamani, Ihr Buch "Date Education" ist eine Mischung aus eigenen Geschichten gepaart mit psychologischen Fachkenntnissen. Was war eine wichtige Dating-Erfahrung?
Ich finde den emotionalen Phantom-Schmerz sehr eindrücklich. Ein Schmerz, der für die Situation unangemessen oder irrational scheint, weil man jemanden erst wenige Wochen kannte. Man hat das Beziehungspotenzial gesehen, das, was sein könnte. Dies kann passieren, wenn jemand das gewisse Etwas für uns hat, eine enorme Anziehungskraft oder unserer Idealvorstellung nahekommt. Wenn dann nichts daraus wird, verspürt man manchmal einen starken Kummer, der nicht in Relation zur Anzahl der Treffen steht.

Warum?
Wenn man viel Potenzial in jemandem sieht, ist es möglich, dass es zu einer Idealisierung dieser Person oder der möglichen Beziehung mit ihr kommt. Dadurch kann der Schmerz sich intensiver anfühlen als nach einer entliebten, jahrelangen Beziehung.

Können Sie in Ihren persönlichen Momenten auch so analytisch denken?
Ich war wie jeder andere auch mal emotional involviert und habe mich bemüht, soweit es ging, meinen analytischen Blick auf die Situation nicht zu verlieren. Was dabei gut helfen kann, gerade bei unklaren Situationen in einer Kennenlernphase, ist Gedankengänge und Emotionen ehrlich aufzuschreiben. Mögliche Fragestellungen:

  • Was fühle ich gerade?
  • Warum glaube ich das zu fühlen?
  • Was ist faktisch eigentlich passiert?
  • Welche Signale habe ich von dem anderen bekommen und wie habe ich sie interpretiert?
  • Wo bin ich ambivalent?
  • Ist es wirkliche Verliebtheit oder der Reiz des Unbekannten oder Unerreichbaren?

Es ist wichtig, Dinge nicht überzuinterpretieren, aber dennoch den eigenen Gefühlen Raum zu geben, damit man sich selbst und die Situation besser erspüren und verstehen kann.

Beim Dating ist es oftmals schwer, zwischen Verliebtheit und Verlustangst zu unterscheiden

Einer meiner Lieblingssätze in Ihrem Buch ist sinngemäß: Verlustangst kann die Verliebtheit steigern, weil die emotionale Abhängigkeit gesteigert wird. Wie kann ich differenzieren, ob die Liebe oder die Verlustangst aus mir spricht?
Liebe und Verliebtheit sollten im Idealfall ein überwiegend schönes Gefühl sein. Sobald die negativen Emotionen überwiegen, sollte man sich fragen, ob auch Angst und Unsicherheit mitschwingen könnten. Wenn ich beispielsweise mit einer gewissen Spannung auf die nächsten Dates schaue und aufgeregt bin, ohne gedanklich komplett fixiert zu sein, könnte dies für eine gesunde Verliebtheit sprechen. Wenn ich jedoch nicht mehr schlafen kann, mich nicht mehr konzentrieren kann, Magendarm-Beschwerden oder Herzrasen bekomme und mir nachts den WhatsApp-Verlauf durchlese, um herauszufinden, warum sich der andere nicht mehr meldet, sollte ich wachsam sein. Je negativer sich die vermeintliche Verliebtheit anfühlt, desto wahrscheinlicher ist es, dass auch Ängste und Unsicherheit reinspielen können, vielleicht ja auf dem Boden einer toxischen Dynamik.

Ein unterhaltsames Buch über die Datingwelt mit Lerneffekt

In den Geschichten von Dr. Nasanin Kamani geht es um Sex ohne Gefühle, Bindungsangst, Ghosting, zu nette Kerle und um das Rätsel, wann der Funke überspringt. Ein Buch voller ehrlicher Gefühle rund um die komplizierteste wie schönste Sache der Welt – versehen mit einem analytischen Röntgenblick, der unser Denken, Fühlen und Handeln auf spannende Weise beleuchtet und uns eine hilfreiche Orientierung bei der Partnersuche bietet.

In der heutigen Datingwelt gibt es kaum noch klare Ansagen wie "Es passt leider nicht", Menschen entziehen sich mit Ausreden dem Kontakt und weiteren Treffen. Wo ist der Unterschied beim Dating zwischen "Ich bin tolerant" und "Ich lasse mich veräppeln" und wie erkenne ich das?
Wer heutzutage zu viele Nachfragen stellt und zu viel Verbindlichkeit fordert, bekommt schnell den Stempel "hysterisch", "anstrengend" oder „bedürftig“ aufgedrückt, das gilt für Frauen wie für Männer. Wichtig ist in so einer Situation eine Mischung aus Bauchgefühl und Verstand: Ergibt das, was kommuniziert wird und passiert, für mich Sinn? Fühlt sich das stimmig an? Ist es vielleicht gerade wirkliche eine stressige Arbeitsphase und gibt es dafür Anhaltspunkte? Oder gibt es eine andere Krise in seinem oder ihrem Leben? Auch das Herz sollte zu Wort kommen: Entwickeln die Gefühle sich die beidseitig, spüre ich aufrichtiges Interesse? Der Austausch mit Freunden kann uns zudem weiterbringen, wenn der eigene Blick emotional verfärbt ist. Wichtig ist auch, beim ganzen Abwägen und Analysieren, nicht die eigene Zufriedenheit aus den Augen zu verlieren: Ein Mensch kann noch so sehr meinem persönlichen Ideal entsprechen, aber wenn das Kommunikations- und Näheverhältnis für mich nicht stimmt, könnte mich das auf Dauer unglücklich machen.

Was, wenn man selbst ein schlechtes Bauchgefühl hat, die Freunde aber zu der Verbindung raten? Zum Beispiel "Das ist ein Vernünftiger und nicht schon wieder ein Bad Boy, gib ihm eine Chance".
Es ist einen Versuch wert, wenn man auch selbst ein bisschen davon überzeugt ist. Sollte man keinerlei Aktivierungsenergie verspüren, auch nur das nächste Date anzutreten oder die nächste Nachricht zu beantworten und merken, dass die Überwindung wirklich groß ist, man sich buchstäblich aufraffen muss, würde ich diese Datingfaulheit als ein schlechtes Zeichen werten und mir und dem anderen die Extrarunde ersparen.

Was würden Sie als größtes Dating-Problem unserer Zeit definieren?
Was mir in meinem beruflichen und privaten Alltag sehr oft begegnet, ist die Angst davor, sich auf den Falschen oder die Falsche festzulegen, das kann in allen Altersklassen auftreten. Man kann das als eine Art Bindungs- oder Entscheidungsangst bezeichnen. Die Sorge, dass ein noch passenderer Partner um die nächste Ecke, hinter dem nächsten Match wartet. Diese Angst führt zu Unverbindlichkeit und gemischten Signalen, zu langen, plätschernden Kennenlernphasen, in denen man oft noch die Augen aufhält. So kommt es manchmal, dass vielversprechende Bindungen gar nicht erst entstehen. Heutzutage werden das Aufgeben von Freiheiten und Eingehen von Kompromissen, was eine Partnerschaft erfordert, oft als persönliche Opfer angesehen. Deshalb möchte man sich auch ganz sicher sein. Viele Menschen haben einen starken Bindungswunsch, suchen aber nach der perfekten Partie.

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