Es gibt wohl kaum Veranstaltungen, bei denen man so viele Schönheitsoperierte sieht wie bei den Pariser Haute Couture Schauen - außer bei der Oscar-Verleihung. Und selten betrachtete man so opulente Gewänder wie bei der diesjährigen Präsentation von Frankreichs "Hoher Schneiderkunst" für Frühjahr/Sommer 2006. Tatsächlich wird ein Teil dieser Roben in Hollywoods Schicksals-Nacht wieder zu sehen sein.
Die Oscars gelten als grandiose Werbe-Plattform für die Couturiers. Das ist auch gut so, denn ansonsten befindet sich die Haute Couture in einem steten Niedergang. Und wären nicht die Stars der Branche wie Chanel oder Dior mit grandiosen Kollektionen vertreten, dann könnte man gerade in dieser Saison angesichts der überbordenden Rüschen und Volants auf den Laufstegen und des zwar reichen, doch älteren Publikums ihr baldiges Ende prognostizieren.
Die "Gesalbten" fehlen
Gerade mal sechzehn Schauen stehen diesmal auf dem Kalender. Insgesamt besitzen zehn französische Häuser die vom Industrieministerium verliehene und mit hohen Auflagen verbundene Berechtigung, sich mit dem Etikett "Haute Couture" zu schmücken. Hinzu kommen mit Armani und Valentino zwei italienische "offizielle" Couturiers sowie acht kleinere Häuser, die auf Einladung präsentieren dürfen.
Allerdings: Aus dem Kreis der "Gesalbten" zeigen zwei keine Schau: Scherrer setzt diesmal aus und stellt sich offenkundig neu auf. Ungaro verzichtet bereits zum vierten Mal auf ein Defilee und hat zudem vor zwei Jahren erklärt, die Couture entspreche nicht mehr den weiblichen Bedürfnissen.
Superstar Madonna bei Gaultier
Jean Paul Gaultiers spektakuläre Schau schien dies zu widerlegen. Nicht nur saß Superstar Madonna, die mit Blondlocken und perfekt geschminktem Gesicht auch im hoch geschlossenen Kleid blendend aussah, in der ersten Reihe. Auch die Kollektion wirkte frisch und zugleich sehr kunstvoll. Gaultier hatte sich von Griechenland inspirieren lassen mit traumhaft drapierten Plissee-Gewändern in Türkis, Hellgrau oder Mauve. Orientalisch wirkende Stickereien aus dicken Goldfäden oder Silberbroschen prangten auf den Kleidern.
Italiens Spitzen-Schneider Armani hat erstmals vor einem Jahr seine exklusive "Privé"-Linie in Paris vorgestellt. Auch seine Entwürfe belegen, dass Couture durchaus zeitgemäß sein kann. Bei der Golden-Globe-Verleihung zeigte die Schauspielerin Zhang Ziyi ("Die Geisha") in einem limonenfarbenen, schulterfreien Kleid, wie fantastisch auch jungen Frauen Armani steht. Seither richten sich die Blicke ihrer Altersgenossinnen wieder auf das Mailänder Label.
Eine Robe wie eine Milchstraße
"Es ist alles sehr schön", sagte Armanis Pressefrau im Pariser Showroom auf die Frage nach den Top-Teilen der Kollektion. Die auf dem Laufsteg zurückgenommen wirkenden Gewänder offenbaren auf dem Bügel atemberaubende Details. Fließende Hosenanzüge in Graubeige tragen einen Spitzeneinsatz am Kragen, fedrige Manschetten lassen feine cremefarbene Jacken ultraleicht erscheinen, und schwarze Abendroben falten sich über der Taille zu kunstvollen Rhomben. Eine Robe glitzert mit ihrer Stickerei aus bunten Swarowski-Kristallen wie die Milchstraße.
Ähnlich kunstvoll ist die Kollektion von Christian Lacroix, der am Dienstag zeigte. Südfrankreich und Spanien waren Inspirationsquellen: Es gab strahlendweiße Torerohosen mit Stickereien in Gold und Pink, Brokatjacken über tanzenden Spitzenkleidern, über und über mit Blüten bestickt, und aufwendige Roben mit Stufenvolants in roten und gelben Mustern. Lacroix besitzt die leichte Hand, die anderen wie etwa dem Designer Dominique Sirop fehlt. So kunstvoll diese auch um den Körper gewickelt werden, wirken sie mit ihren kleinen Corsagen und Stoffbahnen in Pink oder Messing doch irgendwie steif.
Für eine angenehme Überraschung sorgten dagegen Häuser, die außerhalb des Kalenders in kleinem Rahmen präsentieren. Die Französin Katherine Pradeau etwa zeigte vor nur rund 100 Besuchern schöne Kleider aus glänzendem Leinen mit von nigerianischen Touareg-Stämmen in Handarbeit gefertigten Schmuck-Elementen.