Nur einen Tag nach Lagerfelds Tod hat in Mailand die Modewoche begonnen. Italiens Designer verneigen sich vor einem Ausnahmetalent.
Die Gäste der Fendi-Schau sind bereits aufgestanden, als Karl Lagerfelds Stimme ertönt. Plötzlich herrscht Stille im Saal. Vergessen ist die nächste Show, zu der man gerade noch eilen wollte. Der Kaiser spricht – und alle lauschen seinen Worten.
Karl Lagerfeld: Abschied von der Mode-Legende
Am Ende des Laufstegs läuft ein Video, das Karl Lagerfeld beim Skizzieren zeigt. "Was trugen Sie an ihrem ersten Tag bei Fendi?" fragt eine Stimme aus dem Off. Lagerfeld antwortet: "Das ist schon ewig her, aber ich erinnere mich gut." Der Film zeigt, wie er mit wenigen Strichen einen Hut, eine Sonnenbrille, ein Norfolk-Jacket, Kniebundhosen und eine Tasche auf das Papier zeichnet. Dazu sagt er in seinem immer etwas ironisch klingendem Ton: "Wir haben in den 60ern nichts ausgelassen."
Nur einen Tag nach Lagerfelds Tod hat in Mailand die Modewoche für den kommenden Herbst begonnen. Auch hier war der Designer zuhause. Zwar verbindet man ihn automatisch mit Chanel, wo er 36 Jahre tätig war, doch er war auch der kreative Kopf bei Fendi. Bereits seit 1965 verantwortete er die Mode des italienischen Labels, das für seine Pelze bekannt ist. Kein Designer hat jemals länger für eine Marke entworfen. Sollte man nun die Show absagen? Für Familienoberhaupt Silvia Venturini Fendi kam das nicht in Frage. Auch Lagerfeld hätte es bestimmt nicht gewollt. "Als wir einige Tage vor der Show telefonierten, drehten sich seine Gedanken nur um die Opulenz und Schönheit der Kollektion", sagt Venturini Fendi. Für die kommende Wintersaison hatte er Kleider mit locker sitzenden Seiden-Schleifen entworfen, ebenso Mäntel aus hauchdünnem Leder und Pelze mit Intarsienmuster. Auf vielen Kleidern sah man ein unbekanntes, ineinander geschwungenes FF-Logo. Lagerfeld hatte es 1981 kreiert und nun aus dem Archiv wieder herausgeholt. Er nannte es "Karligrahie".
Silvia Venturini Fendi liefen die Tränen über die Wangen, als sie das erste Mal ohne Karl Lagerfeld auf den Laufsteg trat. Es war ein bewegender Moment, der auch die Gäste der Show rührte. Für viele war es wie eine Chance, noch einmal innezuhalten und Abschied von Lagerfeld zu nehmen. Gerüchte, der Designer sei gesundheitlich angeschlagen, hielten sich seit geraumer Zeit. Und doch kam sein Tod für viele überraschend. Lagerfeld war eine Ikone. Trotz seines Alters skizzierte er jeden Tag, entwarf dutzende Kollektionen im Jahr. Er war wie eine Mode-Maschine, von der man annahm, sie würde ewig existieren.
Fendi ehrt Karl Lagerfeld auf der Mailänder Modewoche
Das Fendi-Video, ein Ausschnitt aus Loïc Prigents Dokumentation "Karl Lagerfeld Sketches His Life", war nur eines der Gesprächsthemen während der ersten Tage in Mailand. Auch wurde über die aktuellen Schlagzeilen getuschelt. Erbt seine Katze Choupette wirklich sein Vermögen? Wie wird sich Virginie Viard, seine langjährige Mitarbeiterin und Nachfolgerin bei Chanel, schlagen? Am 5. März muss sie sich beweisen. Dann findet die nächste Show der französischen Luxusmarke statt. Auch wenn der Designer alle Angelegenheiten nach seinem Tod geplant hat, war das Interesse an seinen Marken stets eng mit der Person Karl Lagerfeld verbunden. Sein Konterfei zierte Kleider, Autos und Spielzeug; seine streitbaren Äußerungen füllten die Klatschseiten der Magazine. Lagerfeld war eine Ausnahmeerscheinung in einer Zeit, in der sich Designer nur so lange halten, wie der Hype um sie andauert. Heute werden Kreativchefs sofort ausgetauscht, wenn sie keine neuen Impulse setzen und eine Handschrift entwickeln, die ihren Namen dauerhaft mit einer Marke verknüpft.
Berühmte Designer äußern sich zum Tod
Nur wenige Designer entsprechen heute der Designliga, in der Lagerfeld spielte. Giorgio Armani ist einer von ihnen. Über ihn sagte der Designer einst: "Giorgio ist einer der wenigen aus der Mode, mit denen ich auch befreundet bin." Am Mittwoch verabschiedete sich der italienische Modeschöpfer in der Zeitung "Corriere della Sera" mit einem Brief von seinem deutschen Kollegen. Darin erklärte er den Erfolg des Designers so: "Für mich war Karl Lagerfeld immer ein außergewöhnlicher Mann, sowohl was sein professionelles Talent als auch sein Leben betraf, das er zu einer einzigartigen Kunst verwandelte: die Lagerfeld-Art zu sein. Das war vielleicht auch der Grund dafür, dass, obwohl er Kollektionen für Marken mit starker Persönlichkeit schuf, sie immer seine Freude ausstrahlten, zu designen, zu fotografieren, mit Büchern zu arbeiten und spektakuläre Modeschauen zu inszenieren."
Auch Miuccia Prada reagierte auf den Tod Lagerfelds. Während einer Pressekonferenz vor der Show am Donnerstag erklärte sie, die beiden seien nicht immer einer Meinung gewesen. "Karl Lagerfeld sagte, Modedesigner sollen arbeiten und die Klappe halten. Ich habe oft das gleiche gedacht, aber ich glaube, es ist an der Zeit zu reden", sagt Prada. Die Stimme der Branche sei insbesondere in der aktuellen Zeit gefragt. Sie sprach damit Themen an, die auch durch die Mode vorangetrieben wurden, wie etwa die Debatten um Diversity und "Metoo". Designer können heute nicht mehr nur schöne Kleider entwerfen, sondern brauchen auch eine Botschaft. Miuccia Prada wählt dafür stets ihre Kollektionen, die sie in einen sozialkritischen Kontext setzt. Im Gegensatz zu ihr war Karl Lagerfeld wie ein Großmaul: Er lästerte schamlos und ließ sich auch die Kritik an Angela Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik nicht verbieten. Streitbar war er immer, langweilig aber nie.
Als das Video nach der Fendi-Show zu Ende geht, leuchtet ein letzter Gruß Karl Lagerfelds auf: "Love, Karl" steht dort in seiner Handschrift geschrieben. Die Gäste sind ergriffen, einige haben Tränen in den Augen. Draußen auf der Straße wüten die Tierschützer, doch auf sie reagiert diesmal niemand. Ein letztes Mal sagt die italienische Modewelt Arrivederci. Dann wartet die nächste Designerschau.
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