Es ist wirklich gemein: Seit geraumer Zeit legen Rolex-Fachhändler nahezu alle begehrten Uhren ins Schaufenster – oder lagern sie zumindest unterm Tresen. Aber: Die Objekte der Begierde sind nur zur Anprobe gedacht und wer nach dem Anlegen einer Rolex die Kreditkarte aus der Geldbörse holt, muss sie in den meisten Fällen unverrichteter Dinge wieder einstecken.
Das war nicht immer so, aber seit rund vier Jahren – bei einigen Modelle bereits länger – ist die sogenannte Warteliste längst Normalität. Manche Juweliere nennen sie inzwischen auch Wunschliste, da man nicht den Eindruck erwecken möchte, dass sich das Warten eines Tages mit Sicherheit auszahlt.
Rolex-Filialen ohne Lagerbestand
Wer denkt, man könne es ja dann im Ausland probieren, irrt gewaltig. Das Phänomen gigantischer Rolex-Filialen, die am Ende aber rein gar nichts verkaufen können, ist auf der ganzen Welt zu beobachten. Einer, der es wissen muss, ist Mohammed Abdulmagied Seddiqi. Seine Familie sicherte sich vor Jahrzehnten die Exklusivrechte, in den Emiraten Uhren der Schweizer Marke zu verkaufen.
Gegenüber "Bloomberg" verrät Seddiqi wie es derzeit an seinen 50 Standorten aussieht. Die Wartelisten für manche Rolex-Modelle, so der Händler, sind bei ihm voll und auf 4000 Stellen begrenzt. Zum Vergleich: Bei seinen Listen für Patek Philippe sei die Menge der wartenden Interessenten oft nur zweistellig. Und selbst wenn es bei ihm eine Uhr ins Lager schafft – niemand garantiert der Nummer Eins auf der Liste, dass der Anruf umgehend erfolgt. Denn Seddiqi müsse schauen, dass die Uhren "den richtigen Leuten" angeboten werden, erklärt er.
Die "richtigen Leute" – das seien zum Beispiel verdiente Stammkunden und Royals. Sollte also der König nach einer neuen Uhr fragen, rutscht die gesamte Liste eine Zeile runter. Aber: Selbst bei Mitgliedern der königlichen Familie seien Grenzen gesetzt, heißt es. Für persönliche Begehrlichkeiten könne man immer etwas tun, ginge es aber um Geschenke für Dritte, müsse man auch schonmal freundlich verneinen, meint Seddiqi.
Um seinen treuesten Kunden den Engpass zu erklären, sei er sogar mit einer kleinen Auswahl in die Schweiz geflogen, um den Uhrmachern über die Schultern zu gucken. Anschließend, so der Händler, hätten viele verstanden, warum es zu den hohen Wartezeiten kommt – denn die Produktion komme einfach nicht mehr hinterher.
Reputation aufbauen, viele Jahre Geduld zeigen
Das bestätigt auch Bucherer, eine große Handelskette mit Konzessionen für alle erdenklichen Luxus-Marken, gegenüber dem stern. Denn – wie eingangs erwähnt – ist es nicht nur in den Emiraten unmöglich, als Neukunde spontan eine Uhr zu ergattern.
Eine Sprecherin des Unternehmens erklärt: "Die Situation mit den Wunschlisten ist in den meisten Ländern ähnlich. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. Entsprechend wird es auch künftig Interessenten geben, welche nicht so einfach an ihr gewünschtes Modell gelangen werden. Wir schließen die 'Wartelisten' noch nicht, jedoch machen pauschale Aussagen zur Länge der Listen wenig Sinn."
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Besondere Merkmale: "Linkshänder"-Uhr, Krone links, wahlweise mit Oyster- oder Jubilee-Band.
Preis: 10.300 Euro mit Oyster-Band, 10.500 Euro mit Jubilee-Band
Wenig Sinn deshalb, da sich hinter den Wartelisten keine strikte Reihenfolge verbirgt, die nach Eingangsdatum der Bestellungen abgearbeitet wird. Im Gegenteil. Bucherer erklärt: "Bei den Wanted Watches bekommt ein langjähriger und treuer Kunde mitunter etwas schneller sein gewünschtes Modell, als ein Interessent, der zum ersten Mal unser Geschäft betritt. Dies wird übrigens auch in anderen Bereichen für Produkte, bei denen das Angebot die Nachfrage übersteigt, so gehandhabt – und hat nicht spezifisch mit Rolex zu tun."
Es liegt wohl an der Produktion
Was die Gründe für den Uhrenmangel betrifft, zeichnet die Sprecherin ein ähnliches Bild wie Mohammed Seddiqi. "Wichtig ist uns zu erwähnen, dass Rolex die Verfügbarkeit nicht 'künstlich' verknappt – wie das heute in der Luxusindustrie des Öfteren der Fall ist – sondern aktuell einfach nicht mehr Produktionskapazität hat. Hierzu kommt erschwerend das allgemeine Thema der Zulieferung. Seit Corona hat dies auch nochmals einen erheblichen Einfluss auf die Produktion und Verfügbarkeit vieler Uhrenmarken."
Auch das Familienunternehmen Wempe, dessen Sprecherin dem stern keine Auskunft zur Marke Rolex erteilte, kennt das Problem. Bei der hauseigenen Marke Wempe Glashütte i/SA komme es ebenfalls seit geraumer Zeit zu "zeitlichen Verzögerungen in der Lieferkette", was wiederum Wartelisten bei den Uhren nötig mache, heißt es.
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Eine Anfrage bei Rolex blieb unterdessen unbeantwortet. Das ist nicht ungewöhnlich, denn das Unternehmen gilt als äußerst diskret und zurückhaltend, was Informationen zur Produktion betrifft. Bis heute gibt es keine offiziellen Angaben zu genauen Stückzahlen, obwohl geschätzt wird, dass Rolex von allen Schweizer Manufakturen den höchsten Umsatz macht. Das liegt daran, dass Rolex zu 100 Prozent Teil der nach dem Gründer benannten Hans Wilsdorf Stiftung ist, welche nach Schweizer Recht keine Geschäftszahlen kommunizieren muss.
Da Rolex niemandem Rechenschaft schuldig ist und Aktionäre nicht auf Gewinnmaximierung pochen können, wird sich die Lage erst einmal nicht auf Krampf verändern. Rolex beteuert stets, dass eine Senkung der Qualität zugunsten der schnelleren Fertigung nicht in Frage komme.
Sollten die geringen Stückzahlen tatsächlich Engpässen in der Produktion geschuldet sein, könnte Ende dieses Jahrzehnts Bewegung in die Sache kommen, wenn Rolex in Bulle den neuesten Standort in Betrieb nimmt. Dort plant Rolex eine Produktionsstätte mit über 2000 Arbeitsplätzen, vor rund einer Woche erhielt der Konzern grünes Licht für den Bau.