Berlin-Neukölln, im Dezember 2025. Während das Tageslicht am Nachmittag von Minute zu Minute weniger wird, hält sich die Band Von Wegen Lisbeth wenige Tage vor Veröffentlichung ihres neuen Albums "Strandbad Eldena" im Büro ihres Managements auf. Beim Gespräch mit dem stern sitzen Sänger Matthias Rode und Bassist Julian Hölting am Tisch.
Was kann aktuell mehr: Pop oder Politik?
Rohde: Eindeutig Pop. Pop begeistert Menschen wesentlich mehr als jegliche Politik auf der Welt.
Können Sie noch so unbeschwert Popmusik machen wie zu Ihrer Anfangszeit?
Hölting: Ich finde, sogar unbeschwerter als zur Anfangszeit.
Warum?
Hölting: Das klingt jetzt so abgebrüht, aber wir verfallen nicht mehr der Illusion, dass wir mit unserer Popmusik noch irgendwen erreichen. Wir werden keine AfD-Wähler überzeugen, nochmal nachzudenken und vielleicht anders zu wählen.
Das klingt nach Resignation.
Hölting: Ich glaube, die Zeit, in der wir gerade leben, ist so voll von eindeutigen klaren Meinungen und alle Menschen wollen irgendwie auch noch etwas Schlaues zu einem Thema sagen, dass wir gar nicht den Anspruch haben, das auch noch in unserer Musik zu machen.
Nervt es, wenn Sie als Musiker danach gefragt werden, ob Sie etwas Schlaues zur politischen Lage sagen können?
Hölting: Es nervt überhaupt nicht. Wir nehmen schließlich an der Gesellschaft teil und damit auch an Politik. Ich glaube allerdings nicht, dass es unsere Kernkompetenz ist, über Politik zu sprechen. Ich glaube auch nicht, dass wir völlig unpolitische Musik machen. Wir waren aber noch nie eine Band, die in einem Text eindeutig so etwas gesagt hat wie: 'Scheiß CDU'. Wenn man über eine Gesellschaft nachdenkt, finde ich es als Künstler langweilig, ausschließlich das eigene Lager zu beschreiben. Kunst wird für mich immer dann spannend, wenn sie einen Zwischenraum beschreibt, der sich nicht eindeutig verorten lässt, und man letztendlich durch eigenes Nachdenken zu irgendeinem Schluss gelangt.
Wie bewegt Sie der seit Jahren andauernde Rechtsruck in Deutschland?
Rohde: Am Anfang dachte ich, okay, mal abwarten, wie sich das entwickelt. In den letzten Jahren sieht man aber, dass das kein rein deutsches Phänomen mehr ist, sondern eine globale Entwicklung. Es macht auf jeden Fall Angst.
Wovor haben Sie Angst?
Rohde: Wenn die AfD offen von ihren Remigrationsplänen spricht, wüsste ich nicht, wem das keine Angst macht, der nicht gerade, wie ein Bio-Deutscher aussieht.
Hölting: Ich finde das Wort 'Rechtsruck' unpassend. Ich verstehe es eher als einen schleichenden Prozess, der dauerhaft funktioniert. Es gibt kein Ruckgefühl, dass nun auf einmal alles total konservativ oder rechts ist. Das macht mir extreme Sorgen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die nicht mehr weiß, was sie gerade tut. In den USA sieht man, wo all das in Zukunft landen kann.
Dort regiert Donald Trump, der beispielsweise die Mittel für Kulturschaffende auf ein Minimum gekürzt hat. Welche Auswirkungen hätte so etwas in Deutschland auf Ihre Band?
Hölting: Unser Kulturstaatsminister Weimer hat auch in Deutschland bereits damit begonnen. Bei einer befreundeten Theaterregisseurin wurden sämtliche Förderungen gestrichen. Popmusik war noch nie eine riesig durchgeförderte Kultursparte, aber auch hier ist wesentlich weniger Geld im Topf als in den letzten Jahren, beispielsweise bei der Initiative Musik, die junge Musiker dabei unterstützt, ihr erstes Album aufzunehmen.
Gibt es in der Musikszene eine Idee, wie man dem entgegenwirken kann?
Hölting: Natürlich gibt es Initiativen und Netzwerke, die versuchen, Bands miteinander zu verbinden, eine gemeinsame Sprache und Haltung zu entwickeln. Trotzdem ist das ein Zwiespalt, finde ich. Wir sind keine Politiker.
Rohde: Nur weil es politisch schwierige Zeiten sind, müssen wir nicht automatisch mehr politische Musik machen. Ich glaube, die Freiheit, zu entscheiden, ob man über bestimmte Dinge schreibt oder nicht, müssen Künstler sich bewahren.
Sie haben mehrfach in ostdeutschen Städten gespielt, beispielsweise in Chemnitz. Können Ihre Konzerte dort etwas bewegen?
Hölting: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, wir dürfen uns nicht vormachen, dass man es auf einem Konzert schafft, irgendeinem Neonazi eine Träne ins Auge zu drücken, sodass er anfängt, über sein Leben nachzudenken. Aber es ist sehr wichtig, Kultur explizit in solche Städte zu bringen, denn dort gibt es ja nicht nur Neonazis. Viel wichtiger sind die Leute, die sich politisch anders verorten und an der Demokratie teilnehmen. Für diese Menschen möchten wir Kultur machen und nicht sagen: Chemnitz kann man eigentlich mit einem braunen Fleck aus der Landkarte radieren, weil es eine Hochburg der Nazis ist.
Rohde: Wir möchten den Leuten das Gefühl geben, dass sie dort nicht verloren sind und wegziehen müssen, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Auch möchten wir als Band versuchen, mal dort zu spielen, wo man eigentlich nicht spielen würde, damit beispielsweise nicht alle aus Zwickau oder Jena wegziehen.
Zur Band
Matthias Rohde (Gesang und Gitarre), Julian Hölting (Bass), Robert Tischer (Synthesizer), Dominik Zschäbitz (Gitarre) und Julian Zschäbitz (Schlagzeug) gründeten Von Wegen Lisbeth 2006 zu Schulzeiten in Berlin. Bis 2014 zog die Band mit ihrer Musik durch kleine Jugendclubs, bevor sie schließlich als Vorband von AnnenMayKantereit vor einem größeren Publikum spielten. Fast zeitgleich veröffentlichen sie ihre zweite EP "Und plötzlich der Lachs". 2016 folgte ihr Debütalbum "Grande", das in Deutschland mit Gold ausgezeichnet wurde. Am 12. Dezember erscheint mit "Strandbad Eldena" das vierte Studioalbum der Band.
Oder aus Greifswald. Ihr neues Album ist nach einem dortigen Strandbad benannt. Das hört sich nach Spaß an. Ist die Welt in Greifswald noch in Ordnung?
Hölting: Schwierig zu sagen, wir waren selbst noch nicht dort. Ich hatte das Gefühl, dass im Zuge des Albums viele Leute kommentiert haben, dass das Strandbad Eldena sehr schön ist. Auf der anderen Seite kann ich mir auch vorstellen, dass es dort teilweise sehr düster ist. Greifswald ist auch nicht gerade berühmt dafür, sehr moderat zu wählen.
Nach Vergnügen klingt auf dem Album auch der Song "Madame Tussauds", in dem Sie singen, dass Sie dort gerne stundenlang Stars und Sternchen anschauen. Haben Sie den Eindruck, dass das in der heutigen schnelllebigen Zeit überhaupt noch möglich ist?
Hölting: Es ist doch geradezu schön, einen Raum zu haben, in dem Menschen mit Reichweite und Stimme stehen, die einfach mal komplett still sind. Heutzutage hat man das Gefühl, dass man zu sämtlichen Themen ständig eine klare, ausdifferenzierte Meinung in Schlagzeilenlänge servieren können muss. Das muss man bei Madame Tussauds nicht, das kann keine der Persönlichkeiten dort.
In "Widersprüche", einem Ihrer neuen Songs, singen Sie über ebenjene. Welche Widersprüche müssen Sie als Band aushalten?
Hölting: Wir sind zwar auf Social Media vertreten, weil es heutzutage leider ein fundamentaler Teil für Musiker geworden ist, aber wir fühlen uns dort nicht sonderlich wohl. Ein Tiktok-Video zu machen oder mich anderweitig außerhalb der Musik darzustellen, fühlt sich für mich cringe an.
Rohde: Ich empfinde es manchmal auch als Widerspruch, dass wir jetzt alle Mitte 30 sind und als Rockband auf der Bühne stehen. Ich denke mir manchmal: Wie zur Hölle sollen wir in Würde altern? Ab wann wird es peinlich, Songs auf der Bühne zu singen, die wir mit 20 geschrieben haben? Kann man Songs, in denen man übers Saufen singt, noch ernsthaft transportieren?
Gibt es denn Bands, die gut gealtert sind?
Rohde: Klar, Tocotronic oder Element of Crime zum Beispiel. Das sind Bands, die sehr authentisch sind und bei denen das Publikum mitgewachsen ist. Die Songs, die sie mit 40 geschrieben haben, hört man sich auch gerne noch an, wenn man selbst 40 ist. Bei vielen anderen Bands geht so was kolossal schief. Ich hoffe, dass wir rechtzeitig erkennen, wann es an der Zeit ist, aufzuhören.