Rage Against The Machine war eine der relevantesten Rockbands der 90er. Für das Wahljahr 2020 haben die systemkritischen Crossover-Pioniere jetzt ihr Comeback angekündigt – eine gute Nachricht, die ihren Nachfolgern allerdings ein Armutszeugnis ausstellt.
Handeln wir zunächst die obligatorische Frage ab: Brauchen wir Rage Against The Machine im Jahr 2020 wirklich noch? Kurze und eindeutige Antwort: ja! Warum wir überhaupt fragen? Nun, gerade macht die Kunde die Runde, dass die Crossover-Pioniere aus Los Angeles im kommenden Jahr ihr Live-Comeback geben werden.
Zunächst war am 1. November, ziemlich genau 20 Jahre nach Veröffentlichung des dritten RATM-Albums "The Battle of Los Angeles", ein Instagram-Account mit dem Namen der Band aufgetaucht. Erster Post: ein Foto der aktuellen Demonstrationen in Chile sowie einige Termine, die sich wie ein Tourplan lesen und unter anderem zwei Dates im kalifornischen Indio Mitte April beinhalten, wo zu diesem Zeitpunkt das Coachella-Festival stattfindet.
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Rage Against The Machine beim Coachella
Ein langjähriger Begleiter der Band bestätigte dem Magazin "Forbes", dass der neue Instagram-Account echt sei, wofür auch der inzwischen hinzufügte blaue Verifizierungshaken spricht. Unter den Fans regt sich im Netz neben jeder Menge Euphorie auch Kritik, dass die Band auf einem hyperkommerziellen Event wie dem Coachella auftreten soll – was sich natürlich als Vorwurf schön woke anhört, aber auch zu kurz gedacht ist: Denn wo, wenn nicht an der Pilgerstätte aller Influencer, könnte die antikapitalistische Haltung von RATM einen schöneren Kontrapunkt setzen?
Womit wir wieder bei unserer Eingangsfrage wären: Es kann kein Zufall sein, dass die Rückkehr in das US-Präsidentschaftswahljahr fällt und dass sich die ersten Konzerttermine auf grenznahe Orte im Südwesten der USA beschränken. Rage Against The Machine haben mit ihrem Debüt damals den Klassiker aller politischen Rockalben vorgelegt und aus ihrer Haltung auch später nie einen Hehl gemacht, wie zum Beispiel mit dem Musikvideo zu "Sleep Now In The Fire", als sie zusammen mit Regisseur Michael Moore die New Yorker Wall Street lahmlegten:
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Wer sich die Songs der drei regulären Studioalben von Rage im Jahr 2019 anhört, wer sich die Bilder ihrer vor Energie berstenden Live-Shows via Youtube in Erinnerung ruft, der kommt um die Erkenntnis nicht umhin: Solche Bands werden heute nicht mehr gemacht, und wenn doch, agieren sie unter dem Radar. Wie das sein kann, wirft angesichts politisch extremer Zeiten Rätsel auf.
Wut spielt im Rock, zumindest im kommerziell erfolgreichen, längst nicht mehr die Rolle wie vor 20 Jahren. Ende der 90er hatten Rage Against The Machine, aber auch Bands wie Nirvana oder Pearl Jam, einer ganzen Generation von Wut-Brüdern wie den Nu-Metal-Epigonen Korn, Limp Bizkit, Papa Roach oder Linkin Park den Weg bis an die Spitze der Charts geebnet. Ikonen wie Eminem oder Kid Rock gaben dem White Trash, dem es in vielen Teilen der USA heute noch dreckiger geht als damals, laute und angemessen böse Stimmen – nicht selten inklusive knackiger politischer Botschaft.
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Heute fehlt von streitbaren Acts, die sich mit Wonne angreifbar machen, in der Breite beinahe jede Spur. Also müssen Zack de la Rocha, Tom Morello, Tim Commerford und Brad Wilk höchstpersönlich noch einmal in den Ring steigen. Was angesichts der Tatsache, dass alle Bandmitglieder inzwischen um die 50 Jahre alt sind, der heutigen Rock-Generation im Umkehrschluss ein veritables Armutszeugnis ausstellt.
In der Musik findet die Wut kaum noch statt
Wir sehen uns heute ständig mit irrationaler Wut konfrontiert: in den sozialen Netzwerken, in der politischen Debatte. Nur da, wo die Wut wirklich noch kathartische Wirkung entfalten und als nützlicher Katalysator funktionieren kann, nämlich in der Musik, findet sie kaum noch statt.
Deshalb werden wir Rage Against The Machine im Jahr 2020 immer noch brauchen. Weil wir wieder mehr Wut in der Musik brauchen – und viel weniger, am besten keine, im alltäglichen Miteinander. Die Wut im Rock'n'Roll war immer die Wut auf die Beschissenheit der Dinge, und diese Wut ist eigentlich ein Privileg der Jugend – weil sie im Alter schnell verbittert anmutet. Aber solange sich niemand meldet, um den Staffelstab von RATM übernehmen, müssen die Veteranen den Job selbst erledigen.
Dafür sollten wir ihnen dankbar sein. Denn wenn wir ehrlich sind, brauchen wir ihre Wut heute sogar noch dringender als damals.