Jeden Morgen dasselbe Spiel: Ich stehe vor meinem Kleiderschrank, der eigentlich nur aus einer Kommode und einer Kleiderstange besteht, manchmal ganze zehn Minuten und starre auf die hängenden Klamotten oder wahlweise in die Schubladen und mein Gehirn scheint mit einem Mal seine Funktion aufgegeben zu haben. Vollkommene Leere. Null Inspiration. Dabei ist es nicht so, dass ich nicht genug hätte – ich habe einfach keine Ahnung, was gut zusammen aussieht. Ab und zu habe ich nach einer sorgfältigen Instagram- und Youtube-Analyse einen kurzen Motivationsschub, der darin endet, dass ich auf einem Haufen wieder ausgezogener Hosen und Oberteile stehe und frustriert bin. Sieht irgendwie nie so aus, wie ich mir das vorgestellt hab.
Meistens denke ich dann: Ich muss wohl shoppen gehen. Ich habe einfach nichts anzuziehen. Insgeheim weiß ich natürlich, dass das Quatsch ist – in die Stadt fahre ich trotzdem und kaufe Sachen, die ich so ähnlich schon im Schrank habe. Schluss damit! Ich predige seit Monaten Nachhaltigkeit – und stehe dann doch wieder bei H&M in der Umkleide. Ich brauche gar keine neue Klamotten, ich brauche nur jemanden, der mir sagt, wie ich das, was ich schon besitze, kombinieren kann. Mit meinem Mann habe ich das schon versucht. Leider hat er sich als kein besonders guter Stylist erwiesen. Es muss also ein Profi ran.
Mein Ziel: mehr Nachhaltigkeit – weniger Shopping
Gülcan Dogru ist freie Stylistin und hat fast 20 Jahre Mode-Erfahrung: Sie arbeitete für Modelabels vom mittleren Preissegment bis zum High-Fashion-Bereich, hat Promis eingekleidet und in Designerläden Kunden beraten. "Ich will nichts anderes als Mode machen", sagt sie. Wir haben uns in meiner Wohnung getroffen, damit sie mir bei meinem Klamotten-Problem helfen kann. Vor zwei Jahren hat Gülcan ihre eigene Firma "GD Exclusive Personal Shopping" gegründet. Seitdem kann man sie unter anderem für persönliche Shoppingtouren inklusive Beratung buchen – oder eben für eine Schrankanalyse, so wie ich. Denn ich will momentan keine neuen Sachen kaufen, sondern meine alten endlich richtig kombinieren können.
"Du bist ein Herbsttyp, das habe ich sofort gesehen", sagt sie – und ich bin erleichtert. Denn mein Kleiderschrank besteht eigentlich nur aus Herbstfarben. Also habe ich wenigstens das schon mal richtig gemacht. Während wir uns unterhalten wandert Gülcans Blick immer wieder über die Klamotten, die an meiner Kleiderstange hängen. Was sie wohl über mich denkt? Gefallen ihr meine Sachen? Ohje, sehe ich irgendwie unstylisch aus? Ich werde unsicher – merke aber schnell, dass ich gar keinen Grund zur Sorge habe. Wir sind sofort auf einer Wellenlänge.
Zu ihren Kunden gehören besonders Frauen Mitte 30, vor allem Mütter mit mehreren Kindern. Manche Kundinnen sind so verzweifelt, dass Gülcan zu einer Art Therapeutin wird und ihnen neues Selbstbewusstsein einflößen muss. In den zwei Jahren seitdem sie selbstständig ist, hatte sie erst zwei Männer als Kunden, erzählt sie.
Ran an meinen Kleiderschrank!
Und dann geht's ans Eingemachte: mein (Nicht-)Schrank! Gülcan guckt verdutzt: "Sag nicht, die Kleiderstange teilst du dir auch noch mit deinem Mann?" Doch. Neben der Kleiderstange steht die obligatorische Malm-Ikea-Kommode mit vier Schubladen. Oben Wäsche und Socken, darunter meine Shirts und Hosen, darunter die Sachen meines Mannes und unten meine (unbenutzten) Sportsachen, Gürtel, Bikinis und Krimskrams.
Ich versuche gerade, Minimalismus und Nachhaltigkeit auf all meine Lebensbereiche auszuweiten. Im Bad klappt das schon super. (Den ganzen Selbstversuch dazu findet ihr hier.) Bei den Klamotten fällt es mir noch schwer, aber ich miste regelmäßig aus und bringe die meist noch gut erhaltenen Teile zu Läden wie Oxfam. Dort werden sie weiterverkauft und die Einnahmen gespendet. Aber auch Obdachloseninitiativen oder Frauenhäuser freuen sich über Kleiderspenden. In den Müll sollten Textilien sowieso nur im äußersten Notfall, wenn wirklich gar nichts mehr zu retten ist.
Laut Gülcan ist es gar nicht schlecht, dass ich nicht so viel habe. Ihr erster Tipp: Kenne deinen Kleiderschrank in- und auswendig. Sie erzählt mir von Kundinnen, bei denen sie stundenlang ausmisten musste, bevor die eigentliche Schrankanalyse überhaupt beginnen konnte. Sieben Stunden kann sowas schon mal dauern. Uff. Dann doch lieber eine Kleiderstange mit dem Freund teilen.
"Das hab ich auch!"
Während Gülcan meine Klamotten durchstöbert, Dinge rauszieht, aufs Bett legt und drapiert, sagt sie: "Das hab ich auch."- "Und das." - "So einen Rock habe ich mir gerade bestellt." - "Langsam wird es gruselig." Wir scheinen einen ziemlich ähnlichen Geschmack zu haben. "Juhu, ich habe einen guten Geschmack!", denke ich. Mit geübten Griffen holt sie Sachen aus meinem Schrank, die ich teilweise noch nie anhatte – und kombiniert sie so, wie ich es alleine wohl nie hinbekommen hätte. Dabei sieht es so einfach aus. Ruckzuck sind fünf Outfits gefunden. "Das macht gerade so Spaß. Lass uns weitermachen!", sagt Gülcan.
Es ist total interessant, den eigenen Kleiderschrank mal durch die Augen einer anderen Person zu sehen. Ich selbst stehe oft davor und habe das Gefühl, ich bin ein unmodisches Häufchen Elend mit uncoolen Klamotten. Ich bin zwar 27, fühle mich dann aber wieder wie 15. Zu sehen, wie oft eine Stylistin "Das ist total schön!" bei meinen Klamotten sagt, ist Balsam auf meine Modeseele.
Die fertigen Outfits, die Gülcan und ich zusammengestellt haben, findet ihr in der Fotostrecke.