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Unterschätzte Krankheit Jahrelanges Leiden: Warum Endometriose bei jungen Frauen so häufig unerkannt bleibt

Frau mit Teetasse auf dem Sofa
Jedes Jahr erkranken allein in Deutschland 40.000 Frauen an Endometriose. 
© Nathan Dumlao/Unsplash
Regelschmerzen, Kinderlosigkeit: Endometriose ist eine tückische Krankheit, die oft erst sehr spät diagnostiziert wird. Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen, warum das so ist  – und wo sich Frauen Rat holen können, wenn ihr Arzt ihnen nicht hilft.
Von Ronja Ebeling

Ein unwohles Gefühl während der Periode kennt fast jede Frau. Wenn die Schmerzen aber sehr stark werden, kann Endometriose der Grund dafür sein. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 40.000 weitere Frauen daran und laufen Gefahr, durch die Krankheit ihre Fruchtbarkeit zu verlieren. Laut Angaben der Endometriose-Vereinigung ist bei etwa 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, eine Endometriose der Grund.

Während sich bei gesunden Frauen die Gebärmutterschleimhaut nur innerhalb der Gebärmutterhöhle einnistet und dort abbaut, setzt sich bei Endometriose-Patientinnen zusätzlich ein ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter ab. Eine frühzeitige Diagnose und die richtige Behandlung sind essenziell, um die Gesundheit der Frau zu garantieren und den Schmerzen ein Ende zu setzen.

Bis zur Diagnose vergeht fast ein Jahrzehnt

Doch dem steht ein weit verbreitetes Problem im Weg: Unterleibsschmerzen werden von der Gesellschaft häufig als normal eingestuft. Da muss Frau eben durch und im Zweifel soll sie eben Schmerztabletten nehmen, heißt es sogar von Frauenärztinn*en, die Schmerzen besonders bei jungen Frauen häufig nicht ernst nehmen.

Die Stiftung Endometriose Forschung hat es sich zum Ziel gesetzt, über die unterschätzte Krankheit aufzuklären. Wir haben mit Klaus Bühler, Vorstandsmitglied der Stiftung, gesprochen.

NEON: Die Wahrnehmung von Schmerz ist ja sehr subjektiv. Ab wann sind Unterleibsschmerzen nicht mehr normal und eine Frau sollte einen Gynäkologen aufsuchen?
Klaus Bühler: Die Frage ist, ob Schmerzen überhaupt normal sind. Für mich sind sie immer ein Hilferuf des Körpers. Chronische Unterbauchschmerzen können viele Ursachen haben: eine Entzündung, psychische Gründe oder eben Endometriose. In jedem Fall sollte die Schmerzursache untersucht werden.

Nun vergeht bei Unterleibsschmerzen im Schnitt ein Jahr zwischen den ersten Symptomen und der ersten Untersuchung. Warum dauert das so lange?
Es kommt häufig darauf an, ob die Mutter der Betroffenen gegenüber der Menstruation positiv oder negativ eingestellt ist. Wenn die junge Frau schon in frühen Jahren unter starken Schmerzen leidet, hatte die Mutter mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent auch Endometriose. Die Tochter wächst damit auf, empfindet Schmerzen als normal und geht nicht zum Arzt.

Wenn sie dann zum Arzt gehen, dauert es bei jungen Frauen im Durchschnitt weitere zehn Jahre, bis die Diagnose gestellt wird und der Arzt erste Maßnahmen ergreift. Nehmen Gynäkologen die Schmerzen junger Frauen nicht ernst?
Das Problem ist, dass auch Gynäkologen Teil der Gesellschaft sind und gerade Frauenärztinnen ebenfalls mit der Annahme aufwachsen können, dass Unterleibsschmerzen vermeintlich normal sind. Die diagnostische Bauchspiegelung wird häufig erst dann gemacht, wenn die Frau vergebens versucht, schwanger zu werden.

Endometriose ist eine der Hauptursachen für weibliche Unfruchtbarkeit. Wie gehen Ärzte vor, wenn die Patientin dennoch eine Schwangerschaft plant?
Wenn ihre Sexualorgane ansonsten gut funktionieren, kann sie auf natürlichem Wege schwanger werden. Häufig ist bei Endometriose-Patientinnen aber eine medizinische Hilfe notwendig, bei der die Eierstockfunktion unterstützt und Samen des Mannes in die Gebärmutterhöhle gespritzt werden. Das muss Fall für Fall ausführlich besprochen werden.

Endometriose-Patientinnen haben sehr häufig Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Der Wunsch, trotzdem auf natürlichem Wege schwanger zu werden, kann zur Zerreißprobe werden. Wie nehmen Sie als behandelnder Arzt diesen Teufelskreis der Frau wahr? 
Im Gespräch stelle ich oft fest, dass die Frage, ob es Schmerzen beim Geschlechtsverkehr gibt, erst verneint wird. Im weiteren Gesprächsverlauf sagen Frauen dann doch, dass es schmerzhaft sei und es sich anfühle, als ob jemand mit dem Messer in sie hineinsticht. Solche Frauen haben meist weniger und vor allem weniger befriedigenden Geschlechtsverkehr, meistens brechen sie vor dem entscheidenden Moment ab. Das macht das Schwangerwerden natürlich zur Herausforderung. Aber auch hier kann zum Beispiel durch eine Reagenzglasbefruchtung unterstützt werden.

Endometriose löst Kosten in Milliardenhöhe aus

Bei Frauen mit Kinderwunsch werden also eher diagnostische Maßnahmen ergriffen, während Jüngere vom Gynäkologen häufig nicht ernst genommen werden. Viele Betroffene frustriert das und sie helfen sich selbst mit Schmerztabletten. Warum ist das nicht sinnvoll?
Dabei werden nur Symptome behandelt und nicht die Ursache. Wenn wir das Bild mal größer ziehen, entstehen durch dieses Verhalten pro Jahr Kosten in Höhe von drei Milliarden Euro für die Gesellschaft. Die Erwerbsminderung ist da noch nicht mit einberechnet, will heißen, dass Frauen mit starken Schmerzen ihre Arbeitszeit reduzieren oder während der Menstruation zwei Tage ohne die übliche Krankschreibung zu Hause bleiben. Rechnen wir diese Kosten und auch die der verminderten Leistungsfähigkeit in diesen Tagen noch dazu, sind wir bei weit über fünf Milliarden Euro pro Jahr. Und das nur, weil Frauen mit Schmerztabletten und Wärmflasche zu Hause leiden anstatt zum Arzt zu gehen.

Einige Länder haben den Periodenurlaub eingeführt, um Frauen bewusst zu entlasten und die Periode zu normalisieren. Macht das in Ihren Augen auch in Deutschland Sinn?
Auch das ist nur ein Herumdoktern an Symptomen und führt zu keiner frühzeitigen Diagnose. Stattdessen bietet sich zum Beispiel die Kostenübernahme einer dauerhaften Einnahme der Antibabypille an. Diese Art von Hormonbehandlung kann Endometriose zwar nicht heilen, aber sie lindert die Schmerzen deutlich. Heute muss noch jede Frau mit Endometriose die Pille selbst zahlen.

Das sind Kosten für die Frau. Können Sie erklären, was eine Endometriose-Patientin finanziell für den Arzt bedeutet?
Endometriose ist eine zeitaufwendige Behandlung. Eine chronisch kranke Patientin kommt nicht nur einmal im Jahr, sondern viel häufiger. Wenn der Arzt die richtigen Medikamente verschreibt, ist sie auch eine teure Patientin. Die richtige Behandlung kostet deutlich mehr als die durchschnittlichen 15 bis 20 Euro, die ein Gynäkologe pro Fall pro Quartal verschreiben darf. Alles, was über den zugestandenen Rahmen hinausgeht, wird dem Arzt von seinem Honorar abgezogen.

Bei starken Schmerzen sollte direkt ein Endometriose-Zentrum aufgesucht werden

Gynäkologen stehen also unter zeitlichem und finanziellem Druck. Hinzu kommt, dass häufig einfach das spezifische Fachwissen über Endometriose fehlt.Was ist die Aufgabe der Stiftung Endometriose-Forschung?
Wir führen für niedergelassene Frauenärzte vier bis sechsmal im Jahr eine Qualifizierung im Feld der Endometriose durch. Nach einer Tagesveranstaltung müssen die Mediziner um die 70 Fragen richtig beantworten. Erst dann bekommen sie das Zertifikat. In zeitlichem Zusammenhang mit dieser Veranstaltung finden auch Info-Abende für Patienten statt. Zusätzlich führen wir eine Zertifizierung sogenannter Endometriose-Zentren durch. Dabei handelt es sich um Praxen und Kliniken, die sich besonders intensiv mit Endometriose beschäftigen.

Welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?
Bei Operationen werden entzündete Gewebeinseln, die sogenannten Endometrioseherde, entfernt. Ein Kriterium ist, dass diese Operationen eine Routine haben müssen und regelmäßig durchgeführt werden. Ansonsten werden die Zertifikate wieder entzogen, denn nur Routine verspricht eine erfolgreiche Behandlung.

Wie häufig kommt es vor, dass einem Zentrum das Zertifikat wieder entzogen wird?
Seit 2005 haben wir fast 200 Zentren zertifiziert. In 20 Fällen wurden die Zertifikate später wieder wegen Nicht-Erfüllung der Kriterien entzogen. Etwa 40 Prozent der Endometriose-Herde sind untypisch im Aussehen. Daher braucht es einen Mediziner mit Erfahrung, der sie erkennt und entfernt. Dramatisch ist, dass nach der Operation innerhalb von fünf Jahren in 50 Prozent der Fälle eine Wiedererkrankung eintritt und neue Herde entstehen. Um von Beginn an in guter Behandlung zu sein, sollten sich Frauen direkt an die zertifizierten Zentren wenden. Dort wird sie in jedem Fall ernst genommen und bestmöglich beraten.

Eine Liste mit allen zertifizierten Endometriose-Zentren findet ihr hier.

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