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Lebensmittel retten Containern legalisieren? Warum diese Studentinnen Verfassungsklage einreichen

Zwei Studentinnen
Die beiden Studentinnen Caro (l.) und Franzi (r.) sprechen bei einer Protestkundgebung in Karlsruhe. Die Beiden reichten danach beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen die Strafbarkeit von "Containern" ein.
© Uli Deck/ / Picture Alliance
Über 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll. Bislang ist es aber strafbar, sie einfach mitzunehmen. Zwei Studentinnen aus München wurden dafür verurteilt – und reichen nun Verfassungsklage ein.

Caro, 28, und Franzi, 26, sind rechtskräftig verurteilte Diebinnen – weil sie Obst, Gemüse und Joghurt haben mitgehen lassen. Allerdings nicht aus dem Supermarktregal, sondern aus einem verschlossenen Müllcontainer, nachts auf einem Parkplatz in Olching bei München. Für diese Art, Lebensmittel vor der Entsorgung zu bewahren, wird mittlerweile fast überall das Wort "containern" benutzt. Doch die beiden wurden von der Polizei erwischt, des Diebstahls angeklagt und schließlich schuldig gesprochen. Eine große Enttäuschung für die Studentinnen, wie sie NEON schon im Februar nach ihrer Verurteilung erzählten (das ganze Interview lest ihr hier). Denn sie fühlten sich kriminalisiert – deshalb haben sie nun eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Keine klaren Gesetze

Mit ihrem Gang nach Karlsruhe wollen die Aktivistinnen aber nicht nur die juristische Frage klären, ob sie in ihren Grundrechten verletzt worden sind. Sondern sie stoßen auch eine moralische Debatte an: Bis wann ist das, was jemand weggeworfen hat, noch dessen Eigentum? Und sollte oder muss man Lebensmittel sogar retten? Mit der Verfassungsklage wollen die beiden mehr Menschen auf das Problem aufmerksam machen – und ein Grundsatzurteil erstreiten.

Denn bisher gibt es keine klaren Gesetze zum Containern. Strafrechtlich haben die Gerichte die weggeworfenen Lebensmittel immer als Eigentum der Supermärkte definiert – und damit ist das Mitnehmen dieser Waren Diebstahl, ob sie für einen Außenstehenden wertlos erscheinen oder nicht. Aber sind entsorgte Lebensmittel überhaupt noch Eigentum? "Hier wird das Strafrecht eingesetzt, um etwas zu schützen, an dem niemand mehr ein Interesse hat", meint Sarah Lincoln. Die Juristin arbeitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die beiden Studentinnen bei ihrer Klage unterstützt. "Besonders sozialschädlich ist ja das Wegwerfen der Lebensmittel, nicht die Verwertung."

Vorbild Frankreich

Fakt ist: In Deutschland landen nach Berechnungen der Universität Stuttgart jährlich fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Die Umweltorganisation WWF geht sogar von mehr als 18 Millionen Tonnen aus. Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), das Containern zu legalisieren, scheiterte im Juni auf der Justizministerkonferenz in Lübeck am Widerstand der CDU-Länder. Und auch der Bundesrat lehnte im Oktober dieses Jahres einen Antrag ab, der Supermärkte verpflichtet hätte, Lebensmittel zu spenden, statt sie wegzuwerfen.

In Frankreich ist das längst Realität. Daher haben die beiden Studentinnen eine Petition gestartet, die genau diese Vorschrift auch in Deutschland fordert. Inzwischen haben 150.000 Menschen unterschrieben. Auf ihrem Blog "Containern ist kein Verbrechen“ informieren die beiden außerdem über die neusten Entwicklungen in ihrem Fall, denn sie sehen großen Veränderungsbedarf in Deutschland – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Klimadebatte. "Wenn wir in den aktuellen Klimadebatten über CO2-Einsparungen diskutieren, so müssen wir beachten, dass die Herstellung und der Transport von Lebensmitteln für einen beachtlichen Anteil an den ausgestoßenen Treibhausgasen verantwortlich sind", schreiben sie. Die eigentliche Straftat sei also nicht das Mitnehmen und Weiternutzen von Lebensmitteln, sondern eher, dass der Staat zur Lebensmittelverschwendung beitrage.

Grundlage für andere Fälle

Die Verfassungsklage der beiden behandelt natürlich erst einmal ihre eigene Verurteilung. Anfang Oktober hatte das Bayrische Oberlandesgericht das erste Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck bestätigt. Dort waren die Studentinnen schuldig gesprochen und zu jeweils acht Sozialstunden und einer Geldstrafe verurteilt worden, sollten sie noch einmal beim Containern erwischt werden.

Lässt das Verfassungsgericht ihre Klage nun zu, muss sich das oberste deutsche Gericht mit der Frage einer Verurteilung wegen Containerns beschäftigen. GFF-Anwältin Sarah Lincoln hofft, dass das Gericht das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts für unverhältnismäßig erklärt, aufhebt und an das Gericht zurückverweist. Damit wäre eine Präzedenzfall geschaffen und Menschen, die containern, könnten künftig nicht mehr bestraft werden. Auch Caro und Franzi hoffen auf einen Erfolg: "Neue Fragen fordern andere Antworten", schreiben sie auf ihrem Blog.

lau / mit DPA

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