"Try it again" poppt auf meinem Display auf. Eine Nachricht von der Nummer, die ich eben vergeblich versucht habe, zu erreichen. Ich klicke auf Wahlwiederholung und es ertönt eine Bandansage in kratziger Audioqualität, jemand spricht Englisch mit starkem deutschen Akzent. Schnell notiere ich mir auf einem Block Ort und Zeit und nach einem Knacken ist die Ansage auch schon vorbei. Eine reguläre Anmeldung per Mail wäre auch zu langweilig gewesen. Schließlich ist das, was ich vorhabe, nicht alltäglich: Ich will Yoga machen – und zwar bekifft.
Ganja-Yoga nennt sich der Trend, der aus Kalifornien kommt und am 20. April, dem Welt-Cannabis-Tag, in Berlin angeboten wird. Ich selbst mache ab und zu Yoga. Mal im Fitnessstudio, mal zu Hause nach einer Laufrunde und das macht Spaß. Es ist aber eher der sportliche Aspekt, der mir gefällt, mit den spirituellen Ritualen kann ich wenig anfangen. Ähnlich undogmatisch ist es mit dem Kiffen. Ab und zu rauche ich in Gruppen auch mal einen Joint mit, brauche das aber nicht jede Woche. Manchmal muss ich danach eine halbe Stunde kichern, beim nächsten Mal schlafe ich fast ein. Ich bin für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland, großen Aktionismus betreibe ich dafür allerdings nicht. Umso neugieriger bin ich auf die Ganja-Stunde: Wer hat wohl noch Bock auf so einen Kurs? Wird mir die Esoterik schnell zu viel?
Ich bin so nervös wie vor einem Tinder-Date
Überpünktlich stehe ich mit meiner Yoga-Matte unterm Arm auf einer überfüllten Rasenfläche und suche den Baum mit dem rot-weißen Band, der unser Treffpunkt sein soll. Es ist laut Organisator Keshava der erste offizielle Kurs dieser Art in Berlin – erst gemeinsam kiffen, dann Yoga. Ich bin verdammt nervös, das Ganze fühlt sich nach einem ersten Tinderdate an. Dann entdecke ich eine Gruppe von Leuten im Zentrum des Platzes, die mir freundlich zuwinken.
Im Kreis sitzend lernen wir uns kennen. Wir sind neun Leute, alle Mitte, Ende zwanzig und hocken nun gemeinsam auf den bunten Tüchern, die Yoga-Lehrerin Dani für uns ausgebreitet hat. Bei der Begrüßung wird klar: Irgendwie kennt hier jeder einen der Organisatoren. Einladungen für die erste Ganja-Yoga-Stunde sind erstmal nur an Freunde und Bekannte rausgegangen. Keshava, der eigentlich einen sehr bodenständigen, deutschen Vornamen hat, trägt einen Strohhut, eine runde Brille und ein rotes Leinenhemd, an seinem Handgelenk hat er ein Teilnehmerbändchen des Berliner Halbmarathons. Er erklärt mir, dass er das schon seit sechs Jahren macht, nur für sich - erst rauchen und dann Yoga. "Ich gehe mit dieser Aktion hier ein Risiko ein, denn rechtlich befinden wir uns immer noch in der Grauzone. Aber ich will meine Gemeinschaft finden, um gemeinsam praktizieren zu können."
Tatsächlich ist die Rechtslage in Deutschland schwierig: Der unerlaubte Erwerb und der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln ist nach Paragraf 29 im Betäubungsmittelgesetz strafbar, der bloße Konsum hingegen nicht. Die Abgrenzung, ob bloß konsumiert oder schon besessen wird, ist allerdings nicht leicht. Denn theoretisch ist es auch schon strafbar, wenn man einen Joint an jemanden weiterreicht, von dem man ihn zuvor nicht zum sofortigen Verbrauch bekommen hat.
Für Keshava ist die Yogastunde deshalb auch eine Art Protestaktion, speziell am Welt-Cannabis-Tag. Er erklärt mir, dass er sicher ist, dass schon die Yogis in Indien vor Jahrhunderten ähnliche Dinge gemacht haben. "Happy 4/20", sagt er und nimmt einen ersten Zug vom Joint.
Bunte Mandelas und Panflöten-Musik - Hilfe!
Langsam kommen wir alle ins Gespräch. Da ist Isi, die noch nie Yoga gemacht hat oder Max, der nur zufällig vor einer Stunde von dem Kurs erfahren hat. Alle sind neugierig, offen und auch ein bisschen aufgeregt. Zusammen haben wir drei Joints und einen Vaporizer, den Keshava uns sehr ans Herz legt, weil der Konsum ohne Tabak so viel gesünder sei. "Das ist Bio-Gras, Berliner Anbau, richtig gut." Er bekomme es immer von Freunden, die selbst anbauen. Das erste Mal in meinem Leben benutze ich den Verdampfer und der Rauch fühlt sich sanft an, viel angenehmer für Nichtraucherinnen wie mich. Nach weiteren Zügen von den Joints merke ich schon ihre Wirkung. Mir wird warm, ich entspanne mich und beobachte meine Sitznachbarin Isi, der es ähnlich zu gehen scheint. Ich muss über diese Situation grinsen, wie klischeehaft wir da sitzen und anfangen, über Gott und die Welt zu schwafeln. Nach etwas über einer halben Stunde bittet Keshava uns, alle Sachen zusammen zu packen, denn wir ziehen für die Yoga-Session in einen Laden in der Nachbarschaft.
Der kleine Buchladen könnte nicht perfekter ins Setting passen. Jeder Mensch auf einem LSD-Trip hätte beim Anblick der mit bunten Mandalas gemusterten Tapeten seine wahre Freude. In den Regalen stapeln sich Bücher über psychedelische Pflanzen und Pilze, MDMA und natürlich Cannabis. Auf einer kleinen Bühne am Ende des Raumes stehen Klangschalen, ein Digeridoo und eine Panflöte. "Die beiden werden uns heute musikalisch begleiten, das wird etwas ganz Besonderes", sagt Keshava und zeigt auf ein Musikerpärchen.
Ich liege auf meiner Matte, halte die Augen geschlossen und höre Danis Anweisungen zu. Das hier fühlt sich nicht nach Sport an, eher nach Wellness. Niemand soll sich hier verausgaben. Der Typ hinter mir liegt ab der dritten Übung sogar nur da und starrt an die Decke.
Danke, Mary Jane!
Bei jeder anderen Yoga-Session denke ich nach spätestens dreißig Minuten an all die Dinge, die ich unbedingt noch erledigen muss: einkaufen, Oma anrufen und die Deadline bei der Arbeit. Doch in diesem Moment liege ich nur da und lausche den Klängen der Panflöte. Was mich eigentlich fast entsetzt. Normalerweise sind Instrumente dieser Art und sowieso dieser ganze pseudospirituelle Hippie-Scheiß mein Albtraum. Aber jetzt liege ich da und das Grinsen in meinem Gesicht könnte nicht breiter sein. Mein Atem wird immer tiefer und ich merke, wie sich mein Rücken entspannt. In den ganzen eineinhalb Stunden fühle ich mich, als hätte mich jemand in eine große Decke gewickelt. So geborgen und gut aufgehoben. Ich genieße den Rausch, dieses Gefühl von in-Watte-gepackt-Sein. Als Dani sich am Ende der Stunde ungefragt meine Füße schnappt und sie mit Öl massiert, habe ich das Gefühl, drei Zentimeter gewachsen zu sein.
Mir wird klar, warum die Leute immer so von spirituellen Erfahrungen schwärmen. Es macht etwas mit dir und deinem Gehirn. Als wäre ich im Urlaub gewesen und konnte einmal kurz aus dem Gedankenkarussell aussteigen. Das, was ich sonst in meinem normalen, nicht bekifften Zustand, nicht schaffe. Das trifft vielleicht nicht auf alle Menschen zu, aber vielleicht brauche ich die Hilfe von zwei, drei Zügen Gras, um mich richtig auf Yoga einlassen zu können. Vor ein paar Wochen hätte ich den Gedanken noch belächelt, aber vielleicht steckt doch in jedem von uns ein Stück Spiritualität. Am Ende der Stunde danke ich nämlich nicht nur Lehrerin Dani für diese wunderschöne Erfahrung, sondern auch Mary Jane.
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