"Fall Peggy" Ein Mordprozess ohne Leiche und Beweise

Knapp zweieinhalb Jahre nach dem spurlosen Verschwinden der neunjährigen Peggy Knobloch hat in Hof der Mordprozess gegen einen 25 Jahre alten Mann begonnen. Die Anklage stützt sich fast allein auf das Geständnis, das der Beschuldigte mehrfach widerrief.

Der Angeklagte Ulvi K. lächelt den Richter strahlend an, als er nach seinen persönlichen Daten gefragt wird. Der nach einer Hirnhautentzündung geistig behinderte 25-Jährige soll laut Staatsanwaltschaft die seit fast zweieinhalb Jahre spurlos verschwundene neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg vergewaltigt und ermordet haben. 13 weitere Kinder habe er teils mehrfach sexuell missbraucht. Vor dem Landgericht Hof hat nun der Prozess begonnen.

Als Richter Georg Hornig Ulvi K. nach seinem Beruf fragt, versteht der Angeklagte zunächst die Frage nicht und zögert. "Wie haben Sie ihr Geld verdient?", setzt Hornig nach. "Im Gasthaus habe ich gearbeitet", erwidert der Sohn des Dorfwirts und erneut wandert ein Lächeln in sein massiges, schlecht rasiertes Gesicht.

Gelächter im Gerichtssaal

Wenn er von sich erzählt, spricht der 120 Kilo schwere 25-Jährige langsam und mit schwerer Zunge. Richter Hornig und sein Beisitzer befragen ihn in väterlichem Ton und langsam tastend, als ob sie mit einem Kleinkind reden. Sie fragen auch nach Drogen und Alkohol, die der Angeklagte seit seinem 16. Lebensjahr konsumiert habe. "Wie fühlt man sich, wenn man einen Kasten Bier getrunken hat", will Hornig wissen. "Besoffen", antwortet K. und strahlt erneut. Der ganze Gerichtssaal lacht. Nur Peggys Mutter am Nebenklagetisch verfolgt das Schauspiel mit bitterer Miene.

Schon früh hatte sie K. im Verdacht, als Peggy am 7. Mai 2001 bis heute spurlos verschwand. Obwohl sich der Verdächtige bereits wenige Monate nach dem Verschwinden Peggys selbst der Tat bezichtigte, schenkte ihm die Sonderkommission keinen Glauben. K. hatte sich, nachdem er wieder einen Jungen als Exhibitionist bedrängt hatte, selbst angezeigt und ließ sich in die geschlossene Psychiatrie einweisen. Seinen Vater beschuldigte er, Peggys Leiche beseitigt zu haben.

Die Soko suchte dennoch weiter im Ausland nach Peggy und unzählige Male im Umkreis von Lichtenberg nach einer Leiche - ohne die geringste Spur zu finden. Ende 2001 änderte die Polizei ihre Taktik, wechselte die Soko komplett aus und konzentrierte sich auf K. als Hauptverdächtigen.

Mehrfach widerrufenes Geständnis

Die Anklage stützt sich im Fall Peggy fast allein auf das Geständnis, das der Beschuldigte aber mehrfach widerrief. Obwohl der Staatsanwaltschaft bislang kein Zeuge der angeblich mitten im Ort begangenen Tat bekannt ist und die Ermittler nicht einmal die kleinste Tatortspur entdecken konnten, zeichnet Staatsanwalt Gerhard Heindl einen minutiösen Tatablauf.

Mindestens fünf Mal habe der Beschuldigte vor Peggy onaniert. Vier Tage vor ihrem Verschwinden habe er sie schließlich in seine Wohnung gelockt, sie gezwungen sich auszuziehen und sie vergewaltigt. In den folgenden Tagen habe K. befürchtet, dass Peggy ihn verrate. "In diesem Fall erwartete er, dass seine Eltern Kenntnis von seinem vergangenem Fehlverhalten erlangen würden und er Hausarrest bekäme", formuliert Heindl. Am 7. Mai 2001 habe K. Peggy dann bei ihrem Nachhauseweg von der Schule aufgelauert. Er habe vorgehabt, sich zu entschuldigen, aber Peggy sei davongerannt. Er habe ihr Schokolade für ihr Schweigen angeboten, Peggy aber habe um sich getreten und angekündigt: "Ich verrate dich!".

Als das kleine blonde Mädchen weiter zum Schlossberg geflüchtet sei, habe K. sie geschlagen und die Treppe heruntergestoßen. "Das Opfer schrie laut um Hilfe und weinte", berichtet Heindl. Spätestens jetzt habe der Verdächtige sich entschlossen, Peggy zu töten. Er habe seine rechte Hand auf Mund und Nase Peggys gepresst, "bis sich sein Opfer nicht mehr rührte".

Die wichtigsten Indizien der Staatsanwaltschaft sind neben dem widerrufenen Geständnis die Vernehmungsaussagen von den 13 Jungen, die bestätigten, dass K. sie missbrauchte oder dies versuchte. Mit Versprechen habe er sie in seine Wohnung gelockt oder an öffentlichen Plätzen Oralsex gesucht.

Entwicklungsstand wie ein Kind

Kriminalpsychiater Norbert Nedopil kommt in einem für die Nebenklage gestellten Gutachten laut Gericht zu dem Schluss, dass K. in sexueller Hinsicht den geistigen Entwicklungsstand eines unter zehnjährigen Kindes habe. Ähnlich wie die Staatsanwaltschaft betont auch Nebenklageanwältin Karola Böhm, vielleicht sei K. deshalb bei den Missbrauchstaten nicht schuldfähig, dafür aber beim Mord. "Er wird sicher gewusst haben, dass man einen Menschen nicht töten darf", sagte sie. Ihr zufolge soll K. "einen fairen, aber nicht leichten Prozess" bekommen. "Den Anblick der Mutter werden wir ihm nicht ersparen."

Bis Ende November soll der Prozess dauern, 42 Zeugen sind geladen. Bis dahin will die Verteidigung nach eigenen Angaben auch Zeugen für ein Alibi ihres Mandanten aufbieten, den sie andeutungsweise für einen Sündenbock der Polizei halten. "Ich will reden", versichert auch K.

Michael Pohl

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