Der "Kannibale von Rotenburg" sollte nach Ansicht des Gießener Kriminologen Prof. Arthur Kreuzer viele Jahre lang in der Psychiatrie untergebracht werden. "Dieser Mann stellt eine erhebliche Gefahr für andere dar. Er kann seine sadistischen Vorstellungen offenbar nicht in Schach halten, sondern muss sie anhaltend, geradezu süchtig, umsetzen", sagte Kreuzer in einem dpa-Gespräch. Der 42 Jahre alte Kannibale muss sich vom 3. Dezember an wegen Mordes vor dem Landgericht Kassel verantworten. Im deutschen Strafrecht ist Kannibalismus kein eigenständiger Tatbestand.
Wenn die Richter jedoch der Einschätzung eines Gutachters folgen und den Angeklagten für voll schuldfähig halten, kommt eine Einweisung in den so genannten Maßregelvollzug nicht in Betracht. Nur psychisch kranke Straftäter werden dort behandelt. Eine Verurteilung lediglich zu einer langjährigen Freiheitsstrafe ohne Unterbringung im Maßregelvollzug hält Kreuzer dagegen für die "fragwürdigste Lösung".
"Dauerhaft" nur bei einschlägig vorbestraften Angeklagten
Trotz der vermutlich hohen Rückfallgefahr des 42-Jährigen könne das Gericht auch keine Sicherungsverwahrung anordnen, sagte Kreuzer. Diese "Dauerhaft" - die zweite Möglichkeit, einen Straftäter lange einzusperren - schließt sich an eine Gefängnisstrafe an; sie kann aber nur bei einschlägig vorbestraften Angeklagten verhängt werden. "Hier sollte der Gesetzgeber prüfen, ob nicht schon bei Ersttätern mit nur einem Tötungsdelikt eine Sicherungsverwahrung möglich sein muss", forderte der Jurist.
Skeptisch ist Kreuzer, ob sich Merkmale für einen Mord vor Gericht nachweisen lassen. Das Opfer sei schließlich nicht hinterrücks überfallen worden, sondern habe sich angeblich töten lassen wollen. "Wenn aber ein Opfer den Täter ermutigt und sogar bedrängt - ist das dann Mord?" Hier müsse eher ein Totschlag erwogen werden. Das Delikt jedoch als Tötung auf Verlangen zu werten - wie es die Verteidigung tut -, hält der Kriminologe für problematisch. "Über das Internet ein potenzielles Opfer zu suchen, diese Initiative hat der Täter ergriffen. Und er hat aus Eigeninteresse gehandelt, nicht aus altruistischen Gründen etwa für ein schwer krankes Opfer."
Weil der Getötete offenbar unter einer schweren Perversion litt, hätte der Angeklagte auch nicht davon ausgehen dürfen, dass der Mann tatsächlich sterben wollte. "Wenn man die Störung des Getöteten als krankhaft ansieht, war er nicht frei in seiner Willensentscheidung", sagte Kreuzer. Während die Staatsanwaltschaft dieser Argumentation in Bezug auf das Opfer folge, gehe sie beim Beschuldigten dagegen von einer vollen Verantwortung für die Tötung aus.
"Gericht sollte zweites Gutachten einholen"
"Bei seltenen, außergewöhnlichen Perversionen, bei denen wir kaum Vergleichsfälle haben, muss es uns aber stutzig machen, wenn ein Gutachter sagt: Der Angeklagte ist mit Sicherheit voll schuldfähig." Das Gericht sollte nach Kreuzers Ansicht ein zweites Gutachten einholen. Bei dem Kannibalen gebe es starke Hinweise auf eine "schwere andere seelische Abartigkeit" und eine sehr eingeschränkte "Steuerbarkeit" seines Verhaltens, ist Kreuzer überzeugt. Dies eröffne die rechtliche Möglichkeit, ihn in die Psychiatrie einzuweisen.