Israelische Generalkonsulin Auch ihr sollte der vereitelte Anschlag von München gelten

Der Islamist Emrah I. wollte offenbar Menschen im israelischen Generalkonsulat verletzen. Die Diplomatin Talya Lador-Fresher spricht über den Moment, als sie von der Tat erfuhr.
Talya Lador-Fresher ist israelische Generalkonsulin
Talya Lador-Fresher leitet das israelische Generalkonsulat
© Taddeo Cerletti / Imago Images

Frau Generalkonsulin Lador-Fresher, wie haben Sie den gestrigen vereitelten Anschlag persönlich wahrgenommen?
Es sind wirklich bewegte Tage, die wir gerade erleben. Auch wenn wir Israelis mit permanenter Bedrohung leben, ist man nie auf so etwas vorbereitet. Wir waren auf dem Weg nach Fürstenfeldbruck, um am 52. Jahrestag des palästinensischen Terroranschlags auf die israelische Olympiamannschaft in München zu gedenken. Deshalb war es das sprichwörtliche Glück im Unglück, dass unser Generalkonsulat geschlossen war. Niemand war hier. 

In den ersten Stunden war unklar, wer und warum dieser Mann in München herumgeschossen hat. Wann war Ihnen bewusst, worum es dem Attentäter ging?
Ich habe die Nachricht von unserer Security erhalten, was geschah und dass wir das mutmaßliche Ziel gewesen sind. Am Anfang wusste man es nicht genau, aber inzwischen ist sich die Polizei sicher, dass das Generalkonsulat das Ziel gewesen sein musste.

Noch ist nicht viel über Emrah I. bekannt, aber er scheint der Sohn einer gut integrierten Salzburger Einwandererfamilie gewesen zu sein. Machen Sie sich Gedanken, was so einen Teenager antreibt, zum Islamisten und potenziellen Attentäter zu werden?
Wir alle, nicht nur Jüdinnen und Juden und Israelis die Mitte der deutschen Gesellschaft sollten sich gegen diesen allgegenwärtigen Judenhass wehren. Antisemitismus ist allgegenwärtig. Wie man leider gestern gesehen hat, kommt in diesem Klima ein junger Mann auf die Idee, er müsse "endlich was gegen diese bösen Juden tun" und macht sich mit einem Gewehr auf zu unserem Generalkonsulat, wo er mehrere Schüsse abgefeuert hat. Es ist gut und wichtig, wenn es Solidaritätsdemos und Bekundungen gibt. Gleichzeitig muss der Kampf gegen Antisemitismus auch im Kleineren stattfinden. Wenn am Stammtisch oder in Restaurants gegen Jüdinnen und Juden gewettert wird, dann muss widersprochen werden. Dann muss jemand aufstehen und sagen: Das ist falsch, was Du sagst, das ist antisemitisch. 

Sie haben als Diplomatin in Jamaika, London, Paris, Wien, Slowenien gedient, jetzt als Generalkonsulin in München. Ist das etwas anderes, Israel in der Stadt zu vertreten, in der der Nationalsozialismus seinen Ausgangspunkt hatte?
Ja natürlich. Und gerade deshalb bin ich hier: Meine Mutter ist in Berlin geboren, mein Vater in Leipzig. Er hat den Holocaust überlebt, meine Großeltern wurden ermordet. Ich trage die deutsche Kultur in mir, an manchen Stellen vielleicht sogar einen deutschen Charakter. Dieses Land ist auch ein Teil von mir. Für mich ist es eine sehr persönliche Angelegenheit, hier zu sein. 

© Smith / Imago Images

Zur Person

Talya Lador-Fresher wurde 1962 in Petach Tikwa östlich von Tel Aviv geboren. Die Familien beider Eltern stammen aus Deutschland. Von 1981 bis 1983 leistete sie ihren Militärdienst für den Staat Israel im Bereich Nachrichtendienst. Seit 2023 ist sie Generalkonsulin des Staates Israel in München. Zuvor war sie unter anderem als Diplomatin in Jamaika tätig, bis 1997 im Generalkonsulat von New York. Danach war sie Botschafterin Israels in Österreich und Slowenien. Lador-Fresher ist verheiratet und hat zwei Kinder.  

Das Generalkonsulat liegt neben dem NS-Dokumentationszentrum, aber auch neben den "Führerbauten", wo das unselige Münchner Abkommen geschlossen worden war, unweit des Königsplatzes, wo die Naziverbrecher ihre Aufmärsche hatten. Wie gehen Sie mit diesem Arbeitsweg um?
Ich empfinde Stolz. Ich bin stolz, dass die israelische Fahne genau hier in diesem einst braunen Flecken Münchens zwischen Königsplatz und Führerbau so hoch weht. Meine Großeltern und meine Tante, die durch dieses Naziregime ermordet wurde, wären auch stolz, dass ich Israel genau hier vertrete. 

Das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel war stets ein besonderes, die Staaten stehen nach wie vor fest zueinander. Haben Sie das Gefühl, dass sich angesichts des Gaza-Kriegs die Stimmung in der Bevölkerung etwas dreht?
Wir haben sehr viele Freundinnen und Freunde hier. Wir sind als Generalkonsulat im ganzen süddeutschen Raum, für den wir zuständig sind, gut vernetzt. Ich spüre nicht, dass irgendjemand seine oder ihre Haltung verändert hätte. Wir spüren viel Sympathie. Aber natürlich gibt es auch Kritik. Es gibt aktuell eine Reisewarnung. Sehr wenige Leute reisen von Deutschland nach Israel, und von Israel nach Deutschland. Das ist sehr schade, weil die Interaktion zwischen unseren Völkern dadurch pausiert. An dieser Stelle wünsche ich mir tatsächlich auch mehr Unterstützung aus den Medien. 

Inwiefern?
Der Fokus der Berichterstattung ist oft einseitig. Immer wieder wird versäumt, auf das große Ganze hinzuweisen, nämlich: Wir wurden am 7. Oktober aus dem Nichts angegriffen, aus unseren Betten in den Kibbuzim geholt, vergewaltigt, entführt und ermordet.  

Königsplatz München nach dem versuchten Anschlag
Der Münchner Königsplatz mit dem NS-Dokumentationszentrum am Tag des vereitelten Terroranschlags

Dennoch ist es Aufgabe der Medien, den Opfern beider Seiten Raum zu geben.
Der Einsatz der IDF ist sehr kompliziert. Es wird viel zu selten gezeigt, dass die Opfer der auf palästinensischer Seite Opfer der Terrororganisation Hamas sind. Haben Sie am Sonntag, als Nachricht von der Hinrichtung der sechs Geiseln kam, gesehen, wo diese gefangen gehalten wurden? In einem Schacht, der in einem Kinderzimmer begann, zwischen Comic-Postern. Informationen wie diese fehlen leider oft in der Berichterstattung. 

Es gibt auch innerhalb Israels Debatten und Demonstrationen gegen den Kurs der Regierung. Würden Sie sagen, dass Sie auch diese israelischen Bürger im Ausland vertreten?
Also ehrlich gesagt vertrete ich die israelische Regierung, wie jedes andere Land auch, werde ich von der Regierung entsandt. In diesem Punkt werden Sie aber nicht viele andere Haltungen unter Israelis finden. Über 90 Prozent werden Ihnen sagen, was ich Ihnen sage: Wir wehren uns und es ist unser Recht, uns zu wehren. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten und eine sehr lebendige Demokratie. Auch in Israel wird gestritten, welcher Weg der richtige ist, die Geiseln zu befreien.

Frau Lador-Fresher, fühlen Sie sich trotz allem hier in der alten Heimat ihrer Familie zu Hause?
Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, es wird jeden Tag ein bisschen mehr.

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