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Wohnungsnot in Lissabon Digital Nomads verdrängen Portugiesen an den Stadtrand – in selbstgebaute Blechhütten

Lissabonner Bürger demonstrieren für günstigen Wohnraum
Die europäische Statistikbehörde Eurostat zählt Portugal zu den zehn Ländern der Eurozone, in denen Mieten und Kaufpreise für Wohnungen am stärksten steigen. Einheimischen in Lissabon demonstrieren für günstigen Wohnraum.
© Patricia de Melo Moreira / AFP
Die Regierung hat es so gewollt: Mehr und mehr Expats ziehen nach Lissabon, inzwischen die europäische Hauptstadt für Digital Nomads. Die Mieten sind so stark gestiegen, dass Einheimische an den Stadtrand ziehen müssen. Zum Teil in selbst errichtete Hütten. 

Seit der Pandemie gilt Lissabon als Paradies für digitale Nomaden. Vergangenes Jahr stand die portugiesische Hauptstadt auf Platz eins der "Nomad List", einem Ranking der besten Städte für digitale Nomaden. Offiziellen Schätzungen zufolge sind es bis zu 19.000 ausländische Fachkräfte, die sich in Lissabon niedergelassen haben. Die Mieten, die bereits seit Jahren stark ansteigen, sind dadurch noch einmal massiv in die Höhe geschossen. Einheimischen können sich die Preise schon lange kaum noch leisten. Nun scheint die Wohnungsnot eine neue Dimension erreichen zu haben.

Lissabon: "Nachbarschaften, die hauptsächlich aus Airbnb bestehen"

Die Regierung hat den Zustrom durch Steuervorteile und Visa befeuert. So zahlen Expats, die eine Ausbildung in bestimmten Berufen nachweisen können, einen festen Steuersatz von 20 Prozent und damit in der Regel weniger als Einheimische, deren Einkommen einem progressiven Steuersystem folgt. Sprich: wer 850 Euro im Monat verdient, zahlt anteilig bereits mehr Steuern als ein Zugezogener. Zudem dürfen sich Fachkräfte, die nicht aus der EU stammen, dank eines neuen Programmes der Regierung für ein Jahr in Portugal niederlassen, wenn sie mindestens 2800 Euro im Monat verdienen. "Wir haben jetzt Nachbarschaften, die hauptsächlich aus Airbnb bestehen", beschwerte sich eine portugiesische Lehrerin in einem Gespräch mit "Politico" anlässlich eines Protestmarsches im November 2022.

Viele Einheimische machen die bei digitalen Nomaden beliebte Kurzzeitvermietungsplattform mit für die Wohnungsnot verantwortlich. Ausländer kaufen oder mieten die schönsten Wohnungen der Stadt – für Einheimische wird der Platz immer weniger und immer teuer. Laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) kostet eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Stadtzentrum von Lissabon mehr als tausend Euro. Und das "in einem Land, in dem mehr als die Hälfte der Bürger weniger als tausend Euro verdient", heißt es in dem Artikel. Auch der "Spiegel" berichtete über die weit auseinanderklaffende Schere zwischen den Gehältern portugiesischer und ausländischer Arbeitnehmer. Während Deutsche monatlich im Schnitt mehr als 4000 Euro brutto verdienen, liegt das portugiesische Durchschnittseinkommen bei 1400 Euro, der Mindestlohn bei 705 Euro pro Monat.

Einheimische bauen sich Hütten aus Blech und Holz

Weil Digital Nomands schlicht viel mehr verdienen, gehen die Mietpreise geradezu durch die Decke. Für Expats ist das Leben in Lissabon immer noch erschwinglich, oft sogar günstig. Die Einheimischen hingegen sind gezwungen, die Stadt zu verlassen. Selbst die Wohnungen in den Außenbezirken können sich viele kaum noch leisten. "Dort leben ganze Familien in nur einem Zimmer, das im Monat 450 Euro kostet", sagte die Aktivistin Rita Silva von der Organisation "Habita" der "FAZ". Wer sich die Miete gar nicht mehr leisten kann, baut sich eine eigene Bleibe – aus Blech und Holz. Hunderte solcher Baracken entstehen aktuell auf dem Stadtgebiet von Loures, das an die portugiesische Hauptstadt grenzt. Es entwickeln sich Armenviertel, die zum Teil nur 30 Minuten vom Stadtzentrum entfernt sind, aber laut "FAZ" eher an Favelas in der Dritten Welt erinnern.

Die Wut der Einheimischen angesichts steigender Immobilienpreise und Gentrifizierung wächst – und mit ihr auch der Widerstand. Seit Monaten folgt in Portugal ein Streik auf den nächsten. Eisenbahner, Lehrer und Ärzte wollen mehr Geld. Immer mehr Organisationen wie "Habita" rufen zu Großdemonstrationen auf. Die Regierung ist sich des Problems bewusst. Bereits im Oktober 2021 wurde eine Obergrenze für Airbnbs und Ferienwohnungen festgelegt. Lizenzen sollen künftig nur noch in wenig entwickelten ländlichen Gebieten vergeben werden. Die aktuellen Entwicklungen zeigen jedoch, dass diese Beschränkung bisher kaum den gewünschten Effekt bringt.

Eine weitere Maßnahme, mit der die Regierung schnell mehr Wohnraum schaffen will, bezieht sich auf den Leerstand. Allein in Lissabon gibt es rund 48.000 leerstehende Immobilien, die sich teilweise im öffentlichen, meist aber im privaten Besitz befinden. Sie sind das Resultat von Erbstreitereien, bei dem sich die Beteiligten nicht einigen konnten. Und sie sind auch das Ergebnis einer Politik, die Mieterhöhungen – ganz im Gegensatz zu heute – jahrelange verboten hatte, weshalb sich Investitionen in die Immobilien für die Hausbesitzer nicht lohnten.

Diese leerstehenden Häuser will die Regierung schnellstmöglich, im Notfall zwangsweise, vermieten. Die Skepsis gegenüber der Ankündigungen ist groß, Vertrauen in die Wohnungspolitik kaum noch vorhanden. Wenn sie die entsprechenden Qualifikationen und die Finanzen besitzen, tun es portugiesische Fachkräfte deshalb den Digital Nomands gleich – sie wandern aus.

Quellen: "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Nomadlist", "Politico", "Spiegel"

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