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Winnemuth: Um es kurz zu machen Glücklich sein: Do it yourself

Glücklich sein: Do it yourself, rät Meike Winnemuth
Glück ist nichts, was einem zustößt, für Glück muss man selber sorgen.
© Illustration: Tina Berning/stern
Wir können auf die guten Momente im Leben warten – oder wir schaffen sie uns selbst. Schließlich weiß doch jeder, was ihn glücklich macht.

Später in dieser Kolumne werde ich Ihnen verraten, wie Sie jeden verbliebenen Tag dieses bisher doch eher mäßigen Jahres ein bisschen glücklicher sein können – aber zunächst der theoretische Teil. Glück ist nichts, was einem zustößt, für Glück muss man selber sorgen. Natürlich gibt es Momente, in denen genau vor einem jemand aus einer maßgeschneiderten und völlig legalen Parklücke herausfährt. Oder Momente, in denen man überraschend einen leicht verwaschenen Fünfziger in einer Hosentasche findet – aber auch für dieses Glück hat man ja gesorgt, indem man ihn irgendwann reingesteckt und vergessen hat.

Menschen mit Glücksbegabung

Nach meinem Kenntnisstand gibt es im Wesentlichen zwei Methoden, für Glück zu sorgen. Erstens: richtige Reaktion. Das Talent, auch blöden Situationen (geplatzter Vorderreifen etc.), widrigen Umständen (Schneeregen etc.) und sehr blöden widrigen Umständen (Mann verlässt einen etc.) mit Gelassenheit zu begegnen. Wird schon zu was gut gewesen sein, sagen sich Menschen mit Glücksbegabung. Oder sie stellen die beste Frage von allen, um momentanem Unglück den Stachel zu ziehen: Wird es in einem Jahr noch wichtig sein? Werde ich mich überhaupt daran erinnern? (Okay, an den Mann vielleicht verschwommen, aber sonst …)

Meike Winnemuth: Um es kurz zu machen

Meike Winnemuth schreibt Kolumnen, seit sie Buchstaben kennt, seit 2013 auch für den stern. Lange hatte sie einen kolossalen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Autoren, die 900-Seiten-Wälzer hinkriegen. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, dass sie eine Textsprinterin mit Kurzstreckenhirn ist und bekennt sich zum norddeutschen Motto "Nicht lang schnacken". Wenn sie sich dann allerdings doch mal zu einem richtigen Buch quält, wird das verrückterweise gleich ein Bestseller wie ihr Reisebuch "Das große Los. Wie ich bei Günter Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr".

Methode zwei, deutlich besser: richtige Aktion. Etwas tun, das einen glücklich macht. Das ist so banal, dass es inzwischen zu einem allgegenwärtigen Wandtattoo geworden ist ("Do more of what makes you happy"), aber es ist erstaunlich, wie wenig Leute von dieser simplen Methode Gebrauch machen. Oder wie selten sie es tun. Wie sehr das Glücklichsein verschoben wird auf den nächsten Urlaub oder die Rente oder jenen fernen Tag, an dem endlich, endlich die To-do-Liste abgearbeitet ist.

Stattdessen plädiere ich dafür, einen weiteren Punkt auf die To-do-Liste zu setzen: selbst gemachtes Glück – und sei es für drei Minuten. Ich lese derzeit jeden Morgen eine Seite in einem Buch, das völlig zu Recht "Ein Jahr voller Wunder" betitelt ist. Die britische Radiomoderatorin Clemency Burton-Hill, eine Frau mit Ahnung, Geschmack und Humor, stellt darin 366 klassische Musikstücke vor, jeden Tag eins auf einer Seite und manchmal nur in wenigen Zeilen. Bevor es losgeht mit dem Tag, der Arbeit, den E-Mails, dem Abwasch, sitze ich einfach nur für drei oder elf Minuten da und höre Musik (Playlists gibt es auf Spotify, Apple Music, für lau auf Youtube). Teetrinken ist erlaubt, geschlossene Augen helfen, sind aber keine Bedingung, Hunde dürfen gestreichelt werden.

Andere Menschen machen morgens Yoga oder meditieren, das habe ich nie geschafft, aber dies ist mein tägliches Stärkungsmittel, eine Dosis Glück, völlig rezeptfrei. Was Clemency Burton-Hill da für uns ausgesucht hat, sind keine Greatest Klassik-Hits, die man kennen muss, um sich für halbwegs zivilisiert zu halten, sondern einfach nur Lieblingsstücke, jeden Tag ein neues, überreicht in einem Schächtelchen. Es ist ein bisschen so wie damals, als die Jungs noch Mixtapes als Liebesgaben bastelten und ihre ganze Seele reinlegten. Du, hör doch mal, sagt Clemency, vielleicht macht es dich so froh wie mich, diese Romanze von Clara Schumann oder dieses Elektroding von Steve Reich oder diese Cavatina von Beethoven, die man 1977 auf einer goldenen Langspielplatte ins Weltall schoss, um potenziellen Aliens die Menschheit näherzubringen.

Es gibt andere Methoden für ein tägliches kleines Glück, es gibt Marzipan, es gibt die fantastische App "DailyArt", die einem jeden Tag ein neues Kunstwerk erklärt, es gibt Küsse. Aber es gibt keine Ausrede, wenn man auf all die Glücksangebote, die die Welt einem macht, schnöde verzichtet.

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