Mit Blitzlichtgewitter hat am Mittwoch der spektakuläre Prozess um die Morde an dem Geschwisterpaar Tom und Sonja vor dem Aachener Landgericht begonnen. Das starke Medieninteresse richtete sich auf die Angeklagten, die geschützt hinter dicken Panzerglasscheiben saßen: Der 33-jährige Markus Lewendel erschien mit Sonnenbrille und verzog den Mund zum Grinsen. Dagegen weinte der 28-jährige Markus Wirtz, während Oberstaatsanwalt Albert Balke im vollbesetzten Schwurgerichtssaal in Kurzform die Anklageschrift mit Details der Verbrechen verlas.
Später sagte sein Anwalt Frank Seebode vor den Türen des holzgetäfelten Verhandlungssaals in bereitgehaltene Mikrofone: "Wirtz bereut das, was vorgefallen ist."
"Menschenunwürdiger Presserummel"
Der zweite Angeklagte, der arbeitslose Gebäudereiniger Markus Lewendel verfolgte die Verlesung der Anklage mit verschränkten Armen und ohne erkennbare Gefühlsregung. Hin und wieder schüttelte er den Kopf, manchmal schien der ganz in Schwarz gekleidete Angeklagte mit schütterem Haar sogar zu lächeln. Sein Anwalt Wolfgang Strauch sorgte für Aufsehen, als er einen "menschenunwürdigen Presserummel" und die Panzerglasscheiben kritisierte. "Das Einzige, was hier fehlt, ist ein Schild mit der Aufschrift ’Füttern verboten’", sagte der Verteidiger.
Tage der Qual und Ungewissheit
Eine Chronologie des Verbrechens:
30. März 2003
: Tom (11) und Sonja (9) wollen auf dem alten Zechengelände in der Nähe ihres Elternhauses spielen. Als die Kinder gegen Abend nicht nach Hause kommen, suchen die Eltern nach ihnen und melden sie als vermisst. Ein Großaufgebot von Polizei- und Rettungskräften beginnt die Suche.
31. März 2003
: Während die Einsatzkräfte ihre Suche fortsetzen, findet ein Spaziergänger 15 Kilometer entfernt auf einem Parkplatz eine Jungenleiche. Bei dem Jungen handelt es sich um Tom.
6. April 2003
: Genau eine Woche nach dem Verschwinden der Geschwister finden Spaziergänger rund 100 Kilometer südlich von Eschweiler die tote Sonja.
16. April 2003
: Die Polizei hat nach eigenen Angaben zwei Tatverdächtige ermittelt. Die Männer sollen mit einem schwarzen Fiat Punto auf der Flucht sein.
17. April 2003
: Die beiden Männer werden nach internationaler Fahndung in der Schweiz festgenommen und der Polizei in Aachen übergeben.
18. April 2003
: Am Karfreitag gestehen die beiden Männer vor dem Haftrichter, die Kinder gemeinsam getötet zu haben.
Er bekam Unmutsäußerungen der rund 50 im streng gesicherten Verhandlungssaal sitzenden Zuschauer zu hören. "Das gibt es doch nicht, wie kann der bei diesem Fall von Menschenwürde sprechen", meinte eine ältere Frau. Und als Oberstaatsanwalt Balke das unvorstellbare Martyrium der Kinder am 30. März und 1. April dieses Jahres schilderte, wischten sich viele der Anwesenden Tränen aus den Augen.
"Tagelanger Missbrauch" der Kinder geplant
Immer wieder betonte Balke, dass die Kinder "völlig verängstigt und wehrlos" gewesen seien. Laut Anklage hatten Wirtz und Lewendel gemeinschaftlich "einen tagelangen Missbrauch" der Kinder geplant. Gezielt seien die beiden Männer am 30. März losgefahren und hätten "nach Mädchen Ausschau" gehalten.
Auf dem Gelände einer ehemaligen Steinkohlenzeche bei Eschweiler, knapp einen Kilometer vom Elternhaus der Kinder entfernt, entdeckten sie dann den elfjährigen Tom und seine neunjährige Schwester Sonja, die dort spielten. "Hallo. Polizei. Stehen bleiben", habe Lewendel gerufen und die Kinder so eingeschüchtert. Anschließend fesselten die beiden Männer laut Balke Tom und Sonja mit Kabeln und verklebten den Kindern mit Klebebändern den Mund. Während sie den Jungen im Kofferraum des Autos verstauten, trugen sie das Mädchen in die Wohnung von Wirtz in Eschweiler und fesselten es an ein Bett. Dort vergingen sie sich zwei Tage lang immer wieder sexuell an Sonja.
Noch am Abend der Entführung fuhr Wirtz laut Anklage mit dem Jungen in ein Waldstück, stülpte ihm eine Plastiktüte über den Kopf und drückte ihm mit beiden Händen den Hals zu, bis der Junge tot war. Aus Angst vor Entdeckung und zur Verdeckung der Straftaten hätten die Täter dann gemeinsam beschlossen, auch Sonja zu töten, wie der Oberstaatsanwalt sagte. Lewendel und Wirtz wickelten die Neunjährige nach den Worten von Balke in einen Schlafsack und fuhren in einen Wald bei Blankenheim. Auch Sonja wurde eine Plastiktüte übergestülpt. Lewendel legte ihr eine Paketschnur um den Hals und zog zu. Balke sagte, da der Todeskampf zu lange dauerte, habe Wirtz seinem Komplizen geholfen und das Mädchen zu Tode gewürgt.
"Besonders schwere Schuld auf sich geladen"
Mit der Feststellung "Beide Angeklagten haben besonders schwere Schuld auf sich geladen" beendete Oberstaatsanwalt Balke die Verlesung der Anklage. Sollte die Erste Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Gerd Nohl im Urteil ebenfalls zu dieser Auffassung kommen, so hätten beide Täter keine Chance, im Falle einer Verurteilung zu lebenslanger Haft nach 15 Jahren frei zu kommen.
Während in der Nähe des Aachener Landgerichts am Mittwoch die NPD für die "Todesstrafe für Kinderschänder" forderte und Gegendemonstranten dies zurückwiesen, wetterte Lewendel-Anwalt Strauß vor dem Schwurgerichtssaal gegen den "Presserummel" und vorverurteilende Berichterstattung. Der Verteidiger betonte, auch Angeklagte hätten eine Menschenwürde. Lewendel räume die Taten zwar ein, werde sich vorerst aber nicht zu den Anklagevorwürfen äußern. Dagegen kündigte Wirtz eine umfassende Aussage an.
Der Prozess wird am morgigen Donnerstag fortgesetzt.