Presseschau "Scheinheiligkeit der Europäer"

Die Ergebnisse des Europaratsermittlers Dick Marty über seine Untersuchung über angebliche CIA-Geheimgefängnisse stoßen in der internationale auf ein verhaltenes Echo.

Die USA haben die jüngsten Folter-Vorwürfe des Europaratsermittlers Dick Marty erneut zurückgewiesen. Sein Bericht dazu sei wenig aufschlussreich. Außenamtssprecher Sean McCormack sprach von alten Berichten in neuer Verpackung. Marty warf den USA vor, sie ließen Gefangene systematisch im Ausland foltern. Konkrete Beweise für angebliche CIA-Geheimgefängnisse in Europa konnte er nicht vorlegen. Weitere Untersuchungen hält er jedoch für notwendig. Der Marty-Bericht und die Reaktionen darauf beschäftigt auch die internationale Presse.

"Die Presse"

Die konservative Wiener Zeitung "Die Presse" kommentiert die Haltung der USA und der Europäer zu den geheimen Folterungen: "Das, was Marty an Indizien zusammengetragen hat, ist peinlich genug, vor allem für die Europäer. Denn die USA werden wohl kaum davon beeindruckt sein, dass ihnen ein Tessiner Staatsanwalt vorwirft, so über den Daumen gepeilt 100 Terrorverdächtige aus Europa in Länder verschleppt zu haben, in denen notorisch gefoltert wird. Tiefer sitzt jedoch die Kritik an den Europäern, die sich so gern in moralische Posen werfen, um Bushs Krieg gegen den Terror zu schmähen. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass die europäischen Regierungen von den US-Geheimdienstaktionen nichts gewusst hätten, befindet Marty. An Europas Scheinheiligkeit wird der Befund jedoch vermutlich nur wenig ändern. Denn die sitzt noch tiefer als die Kritik."

"De Volkskrant"

Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" kommentiert: "Diesem Bericht zufolge steht so gut wie fest, dass die CIA in den vergangenen Jahren mehr als hundert mutmaßliche Terroristen über Europa in Länder gebracht hat, wo sie möglicherweise gefoltert wurden. Diese Feststellungen kommen einem bekannt vor. Nicht allein weil Marty selbst sie schon im Voraus weit verbreitet hat, sondern vor allem, weil er innerhalb von zwei Monaten nicht viel mehr herausgefunden hat, als auf Grund der Nachforschungen von Medien bereits bekannt war. Laut Washington war es nichts Rechtswidriges. Aber in Europa fürchtet man, dass die Menschenrechte dabei erheblich verletzt wurden. Marty setzt seine Untersuchung jetzt fort. Hoffentlich mit mehr Aufmerksamkeit für solides Handwerk und sachkundige Unterstützung als für seine eigene Medienstrategie."

"Tages-Anzeiger"

Zu den Erkennnissen über angebliche CIA-Geheimgefängnisse in Europa schreibt der "Tages-Anzeiger" aus Zürich stärkt dem Sonderermittler Dick Marty den Rücken: "Er (Marty) tut das, was die vornehmste Aufgabe des Europarats ist: Er verteidigt Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Demokratie ohne politisches Kalkül. Das fällt auf in einem Europa, wo Regierungen das Sagen haben, die es sich mit Putin wegen Tschetschenien ebenso wenig verderben wollen wie mit Bush wegen seines Kriegs gegen den Terrorismus. Wir benötigen Beweise, um die Praxis der CIA in der Terrorismusbekämpfung zu kritisieren, heißt es von Bern über Paris und Berlin bis London. Das Gift der Folter breite sich aus, sagte eine deutsche Abgeordnete. Die stillschweigende Duldung der CIA-Methoden auch auf europäischem Boden ist der erste Schritt zur Rückkehr einer überwunden geglaubten Verhörpraxis und zu einer Relativierung der Menschenrechte."

"Information"

"Der Untersuchungsbericht wurde voreilig veröffentlicht", findet die linksliberale dänische Tageszeitung "Information" (Kopenhagen). "Dick Marty tat weder sich noch dem Europarat oder Kritikern von gesetzwidrigen Methoden der Bush-Regierung einen Gefallen, als er jetzt einen vorläufigen Bericht über mögliche CIA-Lager auf europäischem Boden sowie Entführung und Auslieferung von Terrorverdächtigen an 'Folterländer' veröffentlichte. Wie konnte Marty nur einen lange erwarteten Bericht ohne irgendwelche neuen Belege für Behauptungen in europäischen und US-Medien freigeben und dann sagen, dass die Untersuchung weitergeht?"

sh mit Agenturmaterial

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