Wer sich nach Stonea nördlich von Cambridge verirrt, der muss schon einen triftigen Grund haben. Denn viel hat die kleine Siedlung nicht zu bieten. Bauernhof reiht sich an Bauernhof, es gibt eine Wallburg aus der Eisenzeit, einen Pub – und die vielleicht nachrichtenstärkste Brücke im Land. Denn mit nur zwei Metern Durchfahrtshöhe unter einer Eisenbahn schreibt die Stonea Bridge immer wieder Schlagzeilen. An keiner anderen Brücke im Land bleiben jährlich mehr Autos stecken. Ein Truck der Armee musste schon aus der Unterführung befreit werden, regelmäßig kollidieren Transporter mit dem Brückenbogen, ein Laster verteilte einst seine komplette Ladung Blumen auf der Straße.
Network Rail, ein Unternehmen, dem fast die komplette Bahninfrastruktur des Landes gehört, kürte die Brücke kürzlich erneut zum Spitzenreiter in der Statistik. Im Geschäftsjahr zwischen April 2021 und März 2022 blieben 33 Autos, Lkw und Traktoren unter der Brücke stecken – also fast drei Unfälle pro Monat. So die offizielle Statistik, laut den Anwohnern kommt es zu viel mehr Unfällen, die aber gar nicht gemeldet werden. Dabei soll die Statistik weniger zur Belustigung dienen, sondern auf ernste Probleme hinweisen. 1833 Brückenunfälle wurden im vergangenen Geschäftsjahr in ganz Großbritannien verzeichnet und mit jedem Unfall geht eine Streckensperrung, Verspätungen und Zugausfälle einher. Die Entschädigungen für Ausfälle und Verspätungen beziffert Network Rail für das vergangenen Jahr alleine auf zwölf Millionen Pfund (rund 13,6 Millionen Euro).

Stonea Bridge: Unfälle sind an der Tagesordnung
Doch zurück nach Stonea, wo Christina Swinden fast immer die Erste am Unglücksort ist. Ihr Pub "Golden Lion" steht unmittelbar neben der Brücke, schon beim Geräusch eines Unfalls weiß sie, was an der Brücke wieder geschehen ist. "Ich gehe dann raus, biete ihnen einen Tee an und versichere ihnen, dass sie nicht die ersten sind, die hier einen Unfall gebaut haben – und auch nicht die letzten sein werden", sagte Swinden im Gespräch mit der "New York Times". Selbst für Unfälle im Winter oder der Dunkelheit ist sie vorbereitet. Im Pub hat sie Warnwesten und Pylonen bereitstehen, um den Unfallort abzusichern.
Seit 1895 steht die Brücke in Stonea und taucht in den vergangenen Jahren regelmäßig in den Statistiken der unfallreichsten Brücken dass Landes auf. Nur 2019 war sie plötzlich verschwunden. Nach einem schweren Unfall wurde die Brücke für eine längere Zeit gesperrt, renoviert und die Einfahrt mit Schutzpolstern ausgestattet. Eine scheinbar sinnvolle Installation, denn schon am Tag der Wiedereröffnung verkeilte sich gleich der erste Lkw wieder unter der Brücke.
Eine Schließung der Unterführung kommt nicht in Frage
Warum es immer wieder zu Unfällen kommt? Die direkt nebenan liegende Hauptstraße ist einer der Faktoren, denn wenn ein Zug diese passiert, müssen andere Verkehrsteilnehmer vor einer Bahnschranke warten. Wer nicht warten will, der nimmt kurz vor der Schranke die Abzweigung zur Unterführung. Das ist für die meisten Autos höhentechnisch kein Problem, doch Transporter, Lkw und andere große Gefährte übersehen regelmäßig die Warnhinweise. Diese wurden zuletzt nochmal sichtbarer gemacht, mit leuchtenden Hinweisen an der Brücke.
Anwohner monieren, dass Warnschilder schon deutlich früher auf die niedrige Brücke hinweisen sollten, denn erst kurz vor der Gabelung der Straße wird auf die niedrige Unterführung aufmerksam gemacht. Jahrelang habe man die Unfälle thematisiert, mittlerweile nehme man sie aber als alltäglich hin. "Hier gibt es so viele Unfälle, die werden einfach gar nicht mehr erwähnt", erklärte der Lokalpolitiker John Gowing der "New York Times". Eine Schließung der Unterführung kommt aber nicht in Frage, obwohl einige Lokalpolitiker dafür sind. Denn für Auto- und Motorradfahrer ist die Passage eine willkommene Abkürzung, falls sich der Verkehr vor der Bahnschranke staut.
Um die zuletzt steigende Zahl an Brückenunfällen im Land zu minimieren, startet Network Rail nun mit Kampagne "Wise up, Size up" (zu deutsch etwa: Werde klüger, kenne deine Größe) einen Lösungsversuch. Der Hintergrund: Eine Untersuchung im Auftrag des Unternehmens hätte ergeben, dass 43 Prozent der Lkw-Fahrer nicht wüssten, wie groß ihr Fahrzeug ist, 52 Prozent denken bei ihrer Routenplanung nicht an niedrige Brücken. "Kenne deine Strecke und kenne die Größe deines Vehikels", heißt es auch in einem Comic, der die Kampagne unterstützen soll. Das soll auch der von zahlreichen Unfällen geprägten Anglia Route helfen, die Zuglinie, die unter anderem die Regionen Norfolk, Suffolk und Cambridgeshire verbindet. Denn neben der Stonea Bridge rangieren mit Brücken in Ely, Thetford und Needham Market gleich noch drei weitere Unfallschwerpunkte unter den Top Ten der Unfallbrücken in Großbritannien. Zumindest für die Stonea Bridge aber gibt es eine noch einfachere Lösung: Denn wer auf der Hauptstraße bleibt, muss zwar gelegentlich vor der Bahnschranke warten, läuft aber nicht Gefahr, sein Gefährt schrottreif zu fahren.
Quellen: Network Rail, BBC, New York Times