"Icke muss vor Jericht" Stalking auf Türkisch

  • von Uta Eisenhardt
Liebe kennt keine Grenzen: Der Anwalt schickte seiner Angebetenen hunderte Briefe
Liebe kennt keine Grenzen: Der Anwalt schickte seiner Angebetenen hunderte Briefe
© Colourbox
Ein türkischer Rechtsanwalt verguckt sich in eine deutsche Tchibo-Verkäuferin. Die möchte jedoch nichts mit ihm zu tun haben, was der Mann seit Jahren ignoriert. Vor Gericht erklärt er sein Verhalten als deutsch-türkisches Missverständnis.

Tugrul Ömer* tänzelt an den Richtertisch. Während die Staatsanwältin die Anklage verliest, flüstert er mit dem Vorsitzenden. "Ich möchte geschlossene Verhandlung", sagt der 54-Jährige in etwas holperigem Deutsch. Er wolle sich nicht noch mehr blamieren. Ungerührt weist der Richter den Wunsch zurück: Im deutschen Recht sind Strafverhandlungen öffentlich. Er habe keine Ahnung vom deutschen Recht, sagt der angeklagte Rechtsanwalt. Seit vierzehn Jahren berät er in Berlin-Kreuzberg seine Landsleute zu Fragen des türkischen Rechts.

"Herr Ömer, haben Sie sich in Frau Beyer* verliebt?", will der Richter wissen. Der große, kräftige Mann mit dem runden Gesicht und dem vollen, leicht ergrauten Lockenhaar windet sich: "Ich bin jetzt Mensch, kein Anwalt." Dann gibt er sich einen Ruck: "Ja, ich habe mich verliebt."

"Vom Kopf geschrieben"

Weil die Zuneigung nicht auf Gegenseitigkeit beruht, steht er bereits das zweite Mal vor Gericht. Zehn Briefe und zahllose unerwünschte Besuche bei der Angebeteten sind Gegenstand der jüngsten Anklage, die Tugrul Ömer als "vom Kopf geschrieben" bezeichnet. Türken seien spontane Menschen, die Planung gehöre den Deutschen. Stolz korrigiert er die Anklage: "Ich habe über hundert Briefe zugeschickt in den letzten vier Jahren, nicht nur zehn."

Im Frühjahr 2005 traf der Familienvater in einer Tchibo-Filiale auf Linda Beyer. Dreimal täglich schlürfte er dort seinen Latte Macchiato. "Er hat sich beim Dekorieren hinter mich gestellt und beobachtet", sagt die 23-Jährige dem Richter. "Ich habe ihm gesagt, dass er das lassen soll und ihm dann Hausverbot erteilt."

Nun soll der verliebte Rechtsanwalt jeden Tag von morgens bis abends vor dem Fenster gestanden haben. Die Verkäuferin ließ sich versetzen, in die einzige Filiale ihres Heimatbezirks, in dem sie ihre Ausbildung zur Filialleiterin fortsetzen konnte. Ein Jahr lang hatte sie Ruhe vor ihrem Verfolger - bis dieser sie an ihrem neuen Arbeitsplatz entdeckte. "Eines Morgens stand er vor dem Laden", sagt die zierliche, unscheinbare Frau mit den rotbraunen Haaren.

Liebe macht erfinderisch

Bald stellte sich Tugrul Ömer täglich auf den Mittelstreifen der Schlossallee und starrte eine Stunde lang ins Fenster des Geschäfts. Seine mitgebrachten Briefe und Blumen ließ er Linda Beyer von anderen Kunden übergeben. Die Verkäuferin ließ sich erneut versetzen, ihre Ausbildung brach sie ab.

"Ich kann meine Kunden nicht mehr richtig bedienen, ich muss mich jedes Mal verstecken", sagt die Zeugin. Bis heute schicke ihr der Angeklagte Briefe - an die Adresse ihres letzten Arbeitsplatzes. In diesen versichere er ihr, wenn er sie geheiratet habe, könne niemand etwas gegen diese Liebe tun. Die junge Frau geht nur noch in Begleitung auf die Straße, zur Gerichtsverhandlung ist ihr Freund mitgekommen.

Linda Beyer weint, während sie dies dem Richter erzählt. Sie habe schon so oft die Polizei gerufen: "Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Jedes Mal stand ich allein da. Ich habe nur Rennerei." Obendrein musste sie für die einstweilige Verfügung, die sie gegen ihren Peiniger erwirkte, noch Gebühren zahlen. "Dann erzählt er auch noch so 'ne Schoten, er hätte die nicht bekommen, seine Frau hätte die entgegengenommen."

"Ich empfinde nur Hass"

Tugrul Ömer störte sich nicht daran, dass seine in den Laden transportierten Briefe und Blumen umgehend wieder heraus gebracht wurden und die Polizei ihn in einem Gespräch aufforderte, seine Kontaktversuche zu unterlassen. Weder die einstweilige Verfügung stoppte seinen Liebeswahn, noch eine Geldstrafe von 1200 Euro (20 Tagessätze), zu der er 2007 wegen Hausfriedensbruchs verurteilt wurde - damals war Stalking noch nicht strafbar.

Wahrscheinlich erreichen ihn auch die Worte der Zeugin nicht, die ihm mit tränenüberströmten Gesicht und letzter Kraft sagt: "Ich empfinde einfach nur Hass, ich ekele mich vor ihm!" Der Richter verspricht, der jungen Frau zu helfen. Falls der Angeklagte sie wieder aufsuchen würde, solle sie ihn fotografieren und neue Briefe sofort ans Gericht schicken.

"Ich habe niemals geplant, Frau Beyer zu stören", verteidigt sich der Angeklagte. Als er vor zwei Jahren wieder einmal vor der Filiale herumlungerte, zückte eine Mitarbeiterin von Tchibo ihre Kamera. Das hat der Türke nicht verstanden: "Warum wurde ich fotografiert? Was wollte Frau Beyer von mir?" Dass die junge Verkäuferin keinen Kontakt zu ihm wünsche, wisse er nur von der Polizei. "Aber Frau Beyer hat meine Telefonnummer und die von meinem Handy auch. Ich bin ganz einfach zu erreichen!" Tugrul Ömer springt von seinem Stuhl hoch und bemüht sich erneut um Tuchfühlung mit dem Vorsitzenden: "Warum hat Sie meine Briefe gelesen? Wenn ich nicht verliebt, würde ich nicht lesen!"

Frau Beyer - nix Kontakt

Er argumentiert weiter: "Ich habe niemals ihr folgen, ich habe sie nicht angerufen. Ich möchte niemals Frau Beyer stören, ich möchte auch Frau Beyer sich entwickeln lassen." Dann offenbart er den Grund seines unstillbaren Verlangens: "Mit meiner Frau niemals nicht sprechen, mit Frau Beyer nicht sprechen. Ich möchte etwas erzählen! Deshalb habe ich Briefe geschrieben." Diese seien spontan und aus dem Bauch heraus verfasst worden, so seien Türken nun mal.

"Die Polizei hat gesagt: Frau Beyer - nix Kontakt", erklärt ihm der junge Richter. "Ich möchte auch keinen Kontakt", unterbricht ihn der Angeklagte. "Ich bin verheiratet. Erst mal scheiden lassen und dann möchte ich."

In einem flammenden Plädoyer bescheinigt die Staatsanwältin dem Türken völlige Uneinsichtigkeit und Ignoranz: "Er ist überhaupt nicht in der Lage, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen! Jemanden, der so extrem nur seinem eigenen Fühlen nachgeht, habe ich selten erlebt." Hier könne man nicht mehr über eine Geldstrafe nachdenken, sagt sie und fordert acht Monate Haft, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollen.

"Türken sind halt so"

Noch während der Richter über sein zu fällendes Urteil nachdenkt, pirscht sich Tugrul Ömer an die Staatsanwältin und erklärt ihr: "Das alles ein Missverständnis. Die Deutschen kennen das Wort Empathie nicht."

Sechs Monate Haft zur Bewährung, die drei Jahre dauern soll, lautet der Richterspruch. Außerdem soll der gut verdienende Anwalt 1500 Euro an die Justizkasse und 1500 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen. Falls er jemals wieder Kontakt zu Linda Beyer aufnimmt, werde die Bewährung widerrufen, droht der Richter.

Der Türke glaubt, dass sich der Vorsitzende bereits vor der Verhandlung gegen ihn entschieden hat. Trotzdem bedankt er sich beim Gericht und verabschiedet sich mit "Tschüß und Tschuldigung." Nachdem er den Saal verlassen hat, sagt die Staatsanwältin: "Beim nächsten Mal lassen wir den von einem Psychiater begutachten!"

"Türken sind halt so", äfft sie ihn nach. "Na gut, dass nicht alle Türken so sind!"

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