Was Anis Amri wohl gedacht haben muss, als die Ermittler nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt über 20 Stunden lang einen 23-Jährigen für den Hauptverdächtigen hielten und dies auch in der Öffentlichkeit so kommunizierten? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder konnte Amri sein Glück kaum fassen, dass er so leicht davonkommen würde, dass sich die Ermittler so schnell auf eine falsche Spur konzentrieren würden. Oder er ist beinahe wahnsinnig geworden, dass sie seine bewusst zurückgelassene Visitenkarte offenbar einfach nicht entdeckten.
Sollte Amri der Attentäter und seine Tat islamistisch motiviert sein, wäre dies eine wahrscheinliche Erklärung, warum Ausweisdokumente am Tatort gefunden wurden. Mehrere Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass dieses Vorgehen bei islamistischen Terroristen nicht unüblich ist. Sowohl der Todesfahrer von Nizza als auch einer der Attentäter vom 13. November 2015 in Paris und einer der Angreifer, der die Redaktion von "Charlie Hebdo" stürmte - sie alle ließen Ausweise zurück.
Anschlag von Berlin: "Terroristen sind Narzissten"
Warum? "Terroristen sind Narzissten", schreibt der Extremismus-Experte Ahmad Mansour auf Twitter. "Sie wollen sichtbar werden. Sie vergessen den Ausweis nicht. Sie tun das bewusst." So reklamieren sie die Tat für sich, im Fall Amri wären die Duldungspapiere also seine Visitenkarte. Sicher sind sich die Ermittler im Fall Amri allerdings längst noch nicht: "Die Tatbeteiligung ist überhaupt nicht geklärt“, so Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger auf einer Pressekonferenz.
Schließlich könnte Amri seine Dokumente auch im Kampf mit dem polnischen Lastwagenfahrer verloren haben. Oder sie wurden ihm gestohlen und als falsche Fährte nachträglich im LKW platziert. Es gibt viele Möglichkeiten, warum nach Anschlägen immer wieder amtliche Papiere am Ort des Geschehens gefunden werden. Was aber feststeht: So unrealistisch, wie es sich auf den ersten Moment anhört, ist es nicht.