Zunächst hört Martin Stelljes zwei Schüsse. Dann gellen Schreie durch die Nacht. Als der junge Familienvater am späten Montagabend aus dem Schlafzimmer blickt, sieht er Schreckliches: "Die Frau lag direkt vor unserem Fenster", erinnert er sich am Morgen danach. Die Frau ist seine 36 Jahre alte Nachbarin in einem Hochhaus am Stadtrand von Stade. Sie ist gerade von ihrem 61 Jahre alten Lebensgefährten erschossen worden.
Der Schütze tötet sich unmittelbar danach selbst und beendet damit ein blutiges Drama, das mit Schüssen in der Stader Altstadt begonnen hatte. Auf der Strecke blieben zwei Tote und vier Verletzte. Das Motiv des Täters bleibt am Dienstag noch weitgehend unklar.
"Den schönen Rüdiger haben sie ihn genannt"
Die Schüsse reißen die beschauliche niedersächsische Kleinstadt buchstäblich aus dem Schlaf; die Bluttat beherrscht das Tagesgespräch in Stade. Den mutmaßlichen Täter, einen pensionierten Hamburger Polizisten, kannten viele. "Den schönen Rüdiger haben sie ihn genannt", erinnert sich ein Wirt in der Salzstraße. Dort in der Altstadtgasse zwischen den Kneipen "Barbarossa", "Blanker Hans" und "Robby’s Steakhouse" hatte das Drama seinen Anfang genommen.
Meik Schnatz gehört zu den Augenzeugen des Geschehens: "Ein Mann rannte hinter einer Frau her. Sie rief immer "Der hat ’ne Waffe, der hat ’ne Waffe"", berichtet der 23-Jährige. Passanten versuchen der Frau zu helfen. Ein Mann wirft den vor Wut rasenden 61-Jährigen noch kurz zu Boden. Doch der Bewaffnete rappelt sich auf, rennt weiter und schießt. Dann liegen vier Menschen blutend am Boden: die 36 Jahre alte Ex-Freundin des mutmaßlichen Täters und drei Passanten, die den Täter stoppen wollten.
Kreidestriche markieren wenig später die Stellen, wo die Polizei die vier Schwerverletzten fand. Das Tatgeschehen gewinnt dagegen erst später Konturen. Demnach ist es in der Wohnung des 61-Jährigen in einer Seitengasse der Salzstraße zum Streit zwischen dem Täter und der 36-jährigen gekommen. "Worum es dabei ging, wissen wir noch nicht", sagt Polizeisprecher Detlev Schlichting-Reineke. Ihren Streit setzen auf der Straße fort bis es dann knallt.
Drei Abschiedsbriefe in der Wohnung
Anschließend springt der Schütze in seinen Wagen, fährt drei Kilometer bis zu dem Hochhaus am Stadtrand. Dort wohnt seine derzeitige Freundin, Hausfrau und Mutter einer schwerstbehinderten Tochter. Noch während Polizei und Rettungswagen zum ersten Tatort rasen, fallen vor dem Haus zwei weitere Schüsse. Die 34-jährige und der 61-Jährige sind sofort tot. In der Wohnung des Mannes findet die Polizei später drei Abschiedsbriefe. In einem von ihnen kündigt der Mann an: "Es wird etwas Schlimmes passieren".
Warum der 61-Jährige seine Freundin tötete, ist der Polizei noch nicht klar. Auch die Mitbewohner finden keine Erklärung. "Er war eigentlich immer ganz freundlich, Streit hat es hier nie gegeben", erinnert sich Martin Stelljes. Doch so genau kenne man sich nun auch wieder nicht, sagt er über die Verhältnisse in dem Haus mit 28 Mietparteien. Die junge Frau aus der Wohnung nebenan sei aber bei allen sehr beliebt gewesen. Ein Blumenstrauß, den Nachbarn vor ihre Tür legen, bezeugt es.