Am Stammtisch des "Roten Ochsen" herrscht auch Stunden nach der Entdeckung des Familiendramas Fassungslosigkeit: "Bisher haben wir immer geglaubt, so was gibt's nur weit entfernt - auf einmal passiert es mitten im eigenen Ort", sagt ein Mann ratlos. Geschockt und ratlos - so reagieren am Donnerstagabend viele Bewohner der 600-Seelen-Ortschaft Großenried im mittelfränkischen Landkreis Ansbach, als sie von dem Drama in einem umgebauten Bauernhof im Dorfzentrum erfahren. Polizei- und Leichenwagen bestimmen noch bis in den späten Abend das Bild im Ort.
In dem schmucken Wohnhaus des früheren Gehöfts hatten von Nachbarn verständigte Streifenbeamte am frühen Donnerstagabend eine grausige Entdeckung gemacht: In beiden Stockwerken des Gebäudes stießen sie auf fünf Leichen - blutüberströmt und übersät mit Schnitt- und Stichwunden, wie Polizeisprecher berichteten. Offenbar, so die erste Analyse der Ermittler, brachte ein 37-Jähriger erst seine gleichaltrige Frau, seine acht und zwölf Jahre alten Kinder und seine 62-jährige Mutter um, bevor er sich selbst mit einem Messer tötete.
Unfassbare Tragödie
Die Dorfbewohner trifft die Nachricht von dem Familiendrama wie ein Schlag: "Man begreift's nicht", sagt eine ältere Nachbarin, deren Sohn mit dem 37-Jährigen eng befreundet war. "Das waren nette Leute, die haben immer freundlich gegrüßt." Auch Franz Fischer, der direkt neben dem Haus der Familie wohnt und die Leute gut kannte, versteht die Welt nicht mehr: "Ich kann mir gar nicht vorstellen, was da vorgefallen ist. Ich war oft bei der Familie. Die Kinder haben sich immer gefreut, wenn ich kam", erzählt der Mann. Und: "Mich kann so schnell nichts erschüttern. Aber das schockt mich schon."
Tatsächlich lassen das in freundlichem Gelb gestrichene Wohnhaus, der gepflegte Kräuter- und Gemüsegarten sowie die üppige Blütenpracht der Geranien auf dem Holzbalkon auf den ersten Blick auf geordnete Verhältnisse schließen. Polizeisprecher Johann Schlackl stützt diesen Eindruck: "So ordentlich wie das Haus von außen wirkt, so ist es auch innen: Alles ist ordentlich gepflegt", schilderte er seine Eindrücke.
Psychologische Behandlung
Im "Roten Ochsen" ist freilich auch von "schwierigen Familienverhältnissen" die Rede. Der 37-Jährige, den alle im Dorf kannten, sei zwar nicht oft im Gasthaus gewesen. Aber wenn er kam, sei schon deutlich geworden, dass der Familienvater "nicht mehr derselbe war wie früher", lässt der Wirt durchblicken. Offenbar hat der Mann den Selbstmord seines Bruders vor einigen Jahren nicht verkraftet. Er war in psychologischer Behandlung. Jedenfalls habe seitdem in der Familie der Haussegen schief gehangen, wollen andere wissen.
Für einige scheint zumindest der Zeitpunkt des Familiendramas kein Zufall zu sein: Der Küchenhersteller in der Region, bei dem der 37- Jährige in der Produktion beschäftigt war, hat seit Anfang der Woche Werksferien. So auch sei es zu erklären, vermuten manche, dass das Familiendrama möglicherweise zwei Tage lang unentdeckt blieb. "Sonst hätte ja bestimmt gleich jemand von der Firma nachgefragt." Erst als am Donnerstag ein Nachbar gebeten wurde, bei der Familie nach dem Rechten zu sehen, wurde das grausige Verbrechen offenbar.