Missbrauch an Jesuiten-Schulen Die Zahl der Opfer steigt weiter

Der Skandal um sexuelle Übergriffe an Jesuitenschulen zieht immer weitere Kreise. Die Berliner Anwältin Ursula Raue berichtete am Donnerstag von 115 bis 120 Opfern, die sich bislang bei ihr gemeldet hätten.

Der Skandal um sexuelle Übergriffe an Jesuitenschulen zieht immer weitere Kreise. Die Berliner Anwältin Ursula Raue berichtete am Donnerstag von 115 bis 120 Opfern, die sich bislang bei ihr gemeldet hätten. Dabei gehe es nicht nur um Missbrauchsfälle an Jesuitenschulen, sondern an Schulen bundesweit. Manche Fälle gingen zurück bis in die 50er Jahre. Sie riet dem Jesuitenorden, sich an den betroffenen Schule um Aufklärung zu bemühen und für gezielte Fortbildung der Lehrer zu sorgen.

In ihrem Zwischenbericht sprach die von den Jesuiten mit der Aufklärung beauftragte Bevollmächtigte von "systematischen" Übergriffen am Berliner Canisius-Kolleg in der Zeit des Pater Peter R.. Auf dessen Biografie und die des Pater Wolfgang S. habe sie sich bislang konzentriert. Die übrigen Fälle, etwa am Bonner Aloisius-Kolleg, seien noch nicht bearbeitet. Auch rechne sie mit noch mehr Opfern. 40 bis 50 der bekannten Fälle beträfen das Canisius-Kolleg, einige die Jesuitenschulen St. Blasien im Schwarzwald und St. Ansgar in Hamburg. In St. Blasien und St. Ansgar war in den 70er und 80er Jahren Pater Wolfgang S. tätig.

Laut Raue sind bislang mindestens zwölf Jesuitenpatres namentlich beschuldigt. Es seien auch einzelne Fälle von Vergewaltigung berichtet worden, darin seien nach ihren bisherigen Erkenntnissen aber keine Jesuiten verwickelt. Es seien auch Frauen als Täter genannt worden.

Zu den einzelnen Missbrauchsfällen sagte die Anwältin, Übergriffe mit Gewalt seien in der Minderheit gewesen, es gehe um Manipulationen an den Genitalien, zudringliche Zärtlichkeiten und Distanzlosigkeit. Dabei sei aber das Ausmaß der seelischen Verletzungen enorm groß. "Es sind Wunden, die nie verheilen", bilanzierte sie.

Raue hielt dem Orden vor, sich zwar um ihre Patres gekümmert zu haben, die Opfer aber eher ignoriert zu haben. "Eine Befassung mit der Seelenlage der anvertrauten Kinder und Jugendlichen habe ich bei dem Aktenstudium vermisst." Es sei an keiner Stelle um die Frage gegangen, wie es wohl der Schülern gehe, die mit den fragwürdigen "Erziehungsmethoden" der Patres konfrontiert waren.

Aus den Akten geht nach ihrer Darstellung hervor, dass Schul- und Ordensleitung zum Teil sehr früh von Missbrauchsfällen der beiden Patres wussten. Beide Männer wurden mehrfach an andere Schulen oder andere Einrichtungen versetzt. Die Übergriffe wurden aber nie schriftlich festgehalten. Nach ihrem Eindruck hat es bei im Kreis der Lehrer und andern Patres aber Mitwisser gegeben.

Der Skandal, der mit Enthüllungen am Canisius-Kolleg vor wenigen Wochen aufgedeckt worden ist, habe "Dimensionen angenommen, die bisher nicht zu erahnen waren", sagte Raue. Sie werde einen Arbeitsstab gründen, um alle Fälle aufklären zu können. Der aktuellen Schulleitung des Canisius-Kollegs und der Leitung des Jesuitenordens bescheinigte sie ein Interesse an Aufklärung und die Bereitschaft, sich den Vorwürfen zu stellen.

Bislang wollten nur wenige Opfer eine finanzielle Entschädigung, andere wünschten sich eine Entschuldigung, berichtete sie. Viele seien erleichtert darüber, dass sie ihre Geschichten endlich erzählen könnten. Alle bislang bekannten Taten sind verjährt.

Der Jesuitenorden sollte Institutionen, zum Beispiel einen Ombudsmann, als Ansprechpartner der Schüler einsetzen, sagte die Juristin. Auch sei eine gezielte Fortbildung der Lehrer notwendig, damit sie Signale von Kindern und Jugendlichen, die Opfer von Übergriffen und Gewalt geworden sind, erkennen könnten.

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